Projekt des Monats (01/2018)

»Als ich 13 war« – Generationen im Gespräch über ihre Jugendzeit

Dieses intergenerative Medienprojekt führte Schüler/innen einer Montessori-Schule und Senior/innen aus einer Wohngemeinschaft für Demenzerkrankte zusammen. In wöchentlichen Treffen führten die beiden Altersgruppen Gespräche zu Themen wie Familie und Freundschaft. Die Älteren lernten darüber den Alltag der jugendlichen Teilnehmer/innen kennen und wurden wiederum angeregt, über ihre eigene Jugendzeit, die trotz der Demenzerkrankung oft noch im Langzeitgedächtnis präsent ist, zu berichten. Die Interaktion regte sie geistig an, was sich positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken konnte. Die Jugendlichen erfuhren dabei aus erster Hand, wie sich Jugendkulturen wandeln und setzten sich mit dem Älterwerden auseinander. Sie sammelten und recherchierten die Geschichten der Älteren weiter. Abschließend wurden die Berichte in einem Kurzfilm dokumentiert und mit weiteren Projektmaterialien und Tonaufnahmen ausgestellt.

Intergenerationeller Austausch

Das Leben im Berlin der 1930er und 40er Jahre, Erwachsenwerden in Pommern, Schlesien oder Schottland, der Alltag, aber auch Migration und Vertreibung in jungen Jahren: Rund ein Dutzend Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse einer Montessori-Schule, die das Fach »Soziales Engagement« belegten, wollten tiefer in die Jugendzeit älterer Menschen eintauchen. Mit großem Interesse meldeten sie sich zum intergenerationellen Projekt »Als ich 13 war« der Memoriafilm gUG an. Parallel stellten die Pflegedienstleitung und eine Pflegekraft eines Berliner Seniorenheims gemeinsam mit der Projektleiterin (Journalistin) die Gruppe der teilnehmenden Senior/innen zusammen. Dabei achteten sie auf die unterschiedlichen Fähigkeiten der Älteren und die Schweregrade ihrer Krankheiten, vor allem der Demenz. Neun Bewohner/innen mit leichter bis mittlerer Demenzerkrankung waren dabei. Die Gruppe bestand zunächst aus acht Frauen. Später kam noch ein Mann hinzu. Dies stellte sich schließlich als eine sehr gut geeignete Gruppengröße für das Vorhaben heraus.

Der Donnerstag wurde als wöchentlicher Besuchstag der Schülerinnen im Seniorenheim bestimmt. Am Mittwoch arbeitete die Projektleiterin mit den Jugendlichen im Schulunterricht. Die Vorbereitungsphase mit der Gruppe der Jüngeren umfasste insgesamt drei Wochen. In dieser Zeit wurden die Schüler/innen über die Themen Alter, Tod und Alterskrankheiten, respektive Alzheimer-Demenz, informiert und vorbereitet. Noch vor dem ersten Treffen der beiden Generationen besuchten die Schüler/innen den örtlichen Pflegestützpunkt, in welchem sie vom Fachpersonal über Altenpflege und den Tagesablauf für Bewohner/innen wie Pflegende informiert wurden. Auf weitere Informationsmaterialien wie Texte, Bücher, Filme etc. konnten die Teilnehmer/innen jederzeit zugreifen.

Die Pflegedienstleitung war auch während der ersten Besuche der Schülerinnen anwesend. Die Gruppe der Jugendlichen bestand zu diesem Zeitpunkt zum größten Teil aus Jungen, die sehr interessiert daran waren, mit älteren Menschen in Kontakt zu kommen. Die Treffen fanden zunächst immer in der gemeinsamen Küche der Senior/innen-WG und stets zur Kaffeezeit statt. Gemeinsam wurde gegessen, getrunken und Ratespiele gespielt (Redewendungen vervollständigen, Zeichnungen an einer Tafel erraten etc.). Jede/r Schüler/in saß neben einem/r Senior/in. Während der Spiele hatten alle Beteiligten viel Spaß und kamen ohne Hemmungen ins Gespräch. Die älteren Teilnehmenden erkundigten sich bei den jüngeren über deren Noten in der Schule und das Freizeitleben. Die Jugendlichen befragten die Älteren zu deren Schulzeit.

Die Jugendzeit der Älteren

Beim dritten Termin wählten die Jugendlichen ihre jeweiligen »Lieblingssenior/innen« aus und recherchierten zu deren Jugendzeit. Ein Problem hierbei war, dass die Schüler/innen die Themen im Geschichtsunterricht frei wählen konnten. So waren sie zwar über das chinesische Kaiserreich oder den Ersten Weltkrieg, aber nicht über die weitere deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts informiert. Deshalb lernten sie in einem Schnelldurchlauf anhand interaktiver Methoden zeitgeschichtliche Ereignisse und das Leben im geteilten Deutschland kennen. So erfanden sie etwa jeweils eine fiktive Biografie und banden historische Ereignisse mit ein. Als Unterstützung hierfür durften sie die Senior/innen während der Besuche befragen. Die Jugendlichen lernten während der Projektzeit in der Schule, wie sie am besten über das Internet recherchieren und beschafften sich hier auch weitere Materialien für den geplanten Abschlussfilm. Sie lernten die digitale Bildbearbeitung, den Umgang mit Tonaufnahmen und wie man Bilder und Musik zu einem Film zusammen stellen kann.

Die Besuche im Seniorenheim fanden inzwischen nicht mehr in der gemeinsamen Küche, sondern in den jeweiligen Zimmern der Bewohner/innen statt. Die Gespräche zwischen Jung und Alt wurden von den Schüler/innen nun teilweise mit einem Tonaufnahmegerät mitgeschnitten. Für den Abschlussfilm hatten die Schülerinnen eine Art Fragenkatalog vorbereitet, mit welchem sie noch fehlende Informationen oder Themen, die sie interessierten, einbrachten. So erzählte eine Seniorin, die in der DDR gelebt hatte, wie sie kurz vor dem Bau der Mauer einen Mann kennenlernte, sich in ihn verliebte und ihren ersten Kuss mit ihm erlebte. Kurz darauf sahen sie sich nie wieder, doch die Seniorin konnte sich noch sehr gut an den Mann erinnern. Die Jugendlichen reagierten sehr beeindruckt. Der einzige teilnehmende Senior erzählte mit seinem englischen Akzent ebenso spannende Geschichten aus seinem aufregenden Leben, das in einer Industriestadt in Schottland begann.

Die Kommunikation zwischen Jung und Alt war gelegentlich ein Thema während des Projekts. So waren die Jugendlichen durch ihre Schule gewohnt, alle Erwachsenen zu dutzen. Die Senior/innen reagierten zunächst verwundert darauf – jedoch nicht verärgert. Die Jugendlichen setzten sich mit der Reaktion der Älteren auseinander. Auch für die Symptome einer Demenzerkrankung waren die Jugendlichen zu Projektende sensibilisiert. Diese waren während der Besuchszeit wenig spürbar. Die meisten Älteren befanden sich im Anfangsstadium, so dass sie sich gut verständigen konnten und froh waren, über ihre Jugendzeit erzählen zu können. Hierbei machten sie kaum »Fehler«, weil sie sich sehr gut erinnern konnten. Ein etwas schwererer Fall von Demenzerkrankung einer Seniorin führte kurzzeitig zu leichter Verwirrung bei ihrem jugendlichen Gesprächspartner. Sie verwechselte häufig die Jahreszahlen.

Während des Projekts war deutlich zu beobachten, wie sich der Kontakt zwischen beiden Gruppen veränderte und in fast allen Fällen eine Annäherung stattfand. Ein Jugendlicher blieb oft über die Besuchszeit hinaus im Gespräch und auf dem Zimmer »seiner« Seniorin. Sie hatten einige Gemeinsamkeiten gefunden, wie die Scheidung der Eltern in der Jugendzeit. Der Schüler empfand den Austausch als emotional sehr hilfreich. Auch andere Schüler/innen thematisierten gegenüber den Alten ihre aktuellen Sorgen in Bezug auf Liebe, Freundschaft, Familie und ihre Zukunft. Bei den Terminen in der Schule und während des Medienworkshops werteten die Jugendlichen die Besuche mit der Projektleiterin aus und erzählten, worüber sie zurzeit mit den Senior/innen sprachen.

Projektabschluss

Gemeinsam fassten die Schüler/innen mit der Projektleitung den Entschluss, keine Videointerviews zu führen, da sie das Gefühl hatten, es wäre zu viel für die Senior/innen. Stattdessen arbeiteten sie mit den Tonaufnahmen der Gespräche und stellten aus Fotos und Bildmaterial einen Film zusammen. Als Projektabschluss bereiteten die Schüler/innen eine Ausstellung in der Schule vor. Sie entwarfen Informationstafeln über Alterskrankheiten und wählten Fotografien aus dem Projekt aus, die auf Leinwand gedruckt wurden. Die Ausstellung startete am Tag der offenen Tür. Dort wurden auch der Film sowie weitere Fotografien und Gesprächsmitschnitte der Schüler/innen präsentiert. Die von den Jugendlichen entworfene Ausstellung wird an weitere Schulen des Verbandes der Montessori-Schulen Berlin weitergegeben. Die Projektergebnisse liegen außerdem der Evangelischen Hochschule Berlin zur Auswertung vor.

Rückmeldungen

Zu Projektende gaben alle Jugendlichen ein persönliches Feedback zum Projekt. Sie fühlten sich von den Senior/innen akzeptiert und waren von ihnen positiv überrascht. Vor allem wenn sie gemeinsam spielten, aber auch in den Gesprächen empfanden sie die Alten als humorvoller und offener, als sie es sich zu Projektbeginn gedacht hatten. Das Feedback der Senior/innen fiel ebenso positiv aus. Vor allem das gemeinsame Spielen, die Einzelgespräche, das Interesse der Jugendlichen an ihren Erinnerungen und nicht zuletzt die gemeinsamen Spaziergänge im Garten des Seniorenheims empfanden sie als sehr bereichernd.

Kontakt und weitere Informationen

Memoriafilm gUG
c/o Caroline Narr
Grüntaler Straße 38
13359 Berlin
E-Mail: Caroline.Narr(at)memoriafilm.de
Web: http://memoria-film.com/

Fotos: Caroline Narr

Ansprechpartner für das Programm »Werkstatt Vielfalt«

Björn Götz-Lappe & Timo Jaster
Stiftung Mitarbeit
Ellerstraße 67
53119 Bonn
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Fax. (02 28) 6 04 24-22
E-Mail:goetz-lappe(at)mitarbeit.de
jaster(at)mitarbeit.de