Projekt des Monats (07/2018)

»Neue Horizonte« – Dürener Migrantinnen erzählen

Im Projekt »Neue Horizonte – Dürener Migrantinnen erzählen« beleuchtete eine Gruppe junger Frauen die Lebenswirklichkeit von Migrantinnen internationaler Herkunft. In wöchentlichen Treffen wurden mit der Methode teilstrukturierter Interviews Migrationsmotive und -geschichten und das Leben in der neuen Heimat thematisiert. Gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen des lokalen Stadtmuseums, welches das Projekt initiiert hatte, werteten die jungen Frauen die Gespräche aus und bereiteten eine Präsentation der Inhalte vor. Eine multimediale Ausstellung zeigte die Perspektiven der portraitierten Migrantinnen auf ihren Alltag in Düren mit schönen, kuriosen und gelegentlich tränenreichen Erfahrungen. Die Besucher/innen des Stadtmuseums konnten anhand von Gegenständen, Textzitaten, Audio- und Filmbeiträgen wiederum einen neuen Blick auf ihre Stadt werfen.

Düren ist bunt, Düren ist vielfältig. In der Theorie ist das vielen bewusst. Aber wer hat sich mit einem der vielen Menschen aus aller Welt schon einmal länger unterhalten und seine Sicht auf das Leben in Düren kennengelernt? Eine Gruppe junger Frauen aus der nordrhein-westfälischen Stadt hat genau dies getan. Im Rahmen des Projekts »Neue Horizonte – Dürener Migrantinnen erzählen« des Dürener Stadtmuseums interviewten sie ein halbes Jahr lang über 20 Dürenerinnen internationaler Herkunft – von Migrantinnen, die schon seit Jahrzehnten in der Stadt leben bis hin zu Neuankömmlingen – und fragten nach: wie die Frauen nach Düren gekommen sind, wie sie die Stadt und das Leben wahrnehmen und wie ihnen die Menschen begegnen.

Begegnungen und Gespräche

Die Teilnehmerinnen trafen sich ab August 2017 wöchentlich in kleineren und größeren Runden. Die jungen Dürenerinnen befragten dabei die Frauen in intensiven Gesprächen. Viele Kontakte entstanden durch dieselbe Schlüsselperson, die sich im Kreis Düren für Integration einsetzt und durch ihr Engagement etliche Migrantinnen für das Projekt begeistern konnte.

Teilstrukturierte Interviews als klassische Methode der ethnografischen Forschung ermöglichten den jungen Fragestellerinnen einerseits die Orientierung an Leitfragen. Andererseits boten sie Raum für spontane Entwicklungen im Gesprächsverlauf. Hierbei war es von großer Bedeutung, eine Wohlfühl-Atmosphäre zu schaffen. Einige Gespräche fanden daher im Stadtmuseum, andere aber auch bei den Teilnehmerinnen zu Hause oder an ihrem Arbeitsplatz statt.

Die Frauen berichten von ihren schönen, kuriosen, aber manchmal auch tränenreichen Erfahrungen mit dem Weggehen und Ankommen. Es sind Geschichten von Liebe und Heirat, von Arbeitsmigration und getrennten Familien, von einer Rückkehr in die deutsche Heimat, von heimlicher Flucht und von Kulturschocks. Um die Geschichten und Anekdoten der Befragten besser aufbereiten zu können, wurden bei den Gesprächen Audioaufnahmen angefertigt.

Die umfangreichen Ergebnisse aus zahlreichen Gesprächsterminen konnten dann ab Jahresbeginn 2018 mit ständiger Hilfestellung durch das Muse-umsteam ausgewertet und für die Ausstellung aufbereitet werden.

Vielfältige Geschichten

Ob Türkei, Polen, Kongo, Albanien, Russland, Brasilien, die Dominikanische Republik, Kasachstan oder Italien: So unterschiedlich wie die Herkunftsländer der Frauen, so vielfältig sind auch ihre Geschichten und Erlebnisse. So berichtete eine junge Frau, die aus Brasilien nach Deutschland kam, wie überrascht sie vom ersten schneereichen Winter war, den sie in  Düren erlebte. Eine Teilnehmerin, die vor rund 20 Jahren aus dem Kongo nach Deutschland kam, verbrachte ihre ersten Monate im Land in einer Schwesterngemeinschaft. Das traditionelle deutsche Abendbrot empfand sie zu diesem Zeitpunkt als gewöhnungsbedürftig, weshalb sie gemeinsam mit anderen ausländischen Frauen in der Gemeinschaft einen geheimen Kühlschrank betrieb, aus dem sich die Frauen nach dem offiziellen Abendbrot mit einem »richtigen« warmen Abendessen versorgten.

Viele der befragten Frauen teilen die besondere Erfahrung, dass sie sich mittlerweile sowohl in ihrer Herkunftskultur als auch in Deuschland heimisch fühlen. Eine Wahrnehmung, die eine Teilnehmerin dazu brachte, die Rückkehr in ihr Heimatland wieder rückgängig zu machen, da sie dort feststellte, wie stark sie zwischenzeitlich in Deutschland Wurzeln geschlagen hatte.

Drei Frauen aus der Türkei mussten in jüngster Zeit aus politischen Gründen nach Deutschland flüchten. Beide machten die Erfahrung, dass das berufliche und familiäre Leben innerhalb kürzester Zeit vor dem Aus stand. In einem Fall wurde der Ehemann ohne Begründung oder Gerichtsprozess inhaftiert. Beide Frauen leben nun als anerkannte politische Flüchtlinge in Düren.

Eine Teilnehmerin, die mit 19 Jahren aus dem polnischen Kattowitz nach Deutschland gekommen war, und heute in Düren lebt, reflektiert den Umgang vieler Deutscher mit zugewanderten Menschen kritisch: » Deutsche müssen sich daran gewöhnen, in einem Land zu leben, in das viele Ausländer kommen. Auch, wenn wir schon einige Jahre hier leben und die Sprache sprechen, sind wir trotzdem auf der anderen Seite. Ich glaube, das bleiben wir auch immer.«

Eine Dürenerin mit türkischen Wurzeln berichtete eindrucksvoll von Diskriminierungserfahrungen, die sie als Schülerin machen musste: » Damals in meiner Schulzeit wollten viele Lehrer nicht, dass türkische Kinder höhere Schulen besuchten. Das habe ich sehr gespürt. Ich habe Noten auf dem Zeugnis gehabt, die einfach nicht gerecht waren. Deshalb habe ich die Fachoberschule für Sozialpädagogik nicht gemacht, obwohl ich es wollte. Das Selbstvertrauen haben sie mir weggenommen. Ich weiß nicht, wieso.«

Eine andere Teilnehmerin, geboren in der Dominikanischen Republik, bringt ihre persönliche Perspektive auf die kulturelle Vielfalt in Düren auf den Punkt: »Ich habe eigentlich zwei Persönlichkeiten: eine Deutsche und eine Dominikanische. Aber ich empfinde das als Vorteil. Ich habe eine andere Mentalität als viele Leute hier, aber ich finde, das ergibt eine interessante Mischung.«

Die Ausstellung

Aus unzähligen Gesprächsstunden entstand schließlich eine multimediale Ausstellung. Diese vermittelte »Neue Horizonte«, öffnete Augen und Herzen, indem sie Frauen aus verschiedenen Ländern und Kulturen mit ihren Erfahrungen ein Forum gab. Sie nahm die Besucher/innen des Stadtmuseums mit auf eine Reise in die Lebenswelten der befragten Frauen und zeigte neue Perspektive auf das (Zusammen-)Leben in Düren. Die Ausstellung bot einen Anlass, um einiges über den Alltag und die Besonderheiten in der eigenen Stadt zu lernen.

Der Perspektivwechsel wurde sowohl multimedial als auch ganz praktisch erlebbar. So konnten die Besucher/innen zum Beispiel interaktiv herausfinden, ob sie dem deutschen Einbürgerungstest gewachsen sind, oder sich die Ausstellung mithilfe von Audioguides erschließen. Besonders eindrücklich wurde die Ausstellung dann dort, wo sehr persönliche Exponate der Teilnehmerinnen gezeigt wurden, z.B. das Foto einer türkischen Familie in ihrer ersten Dürener Wohnung, ein Flugticket für die langersehnte Ausreise aus Kasachstan oder eine Puppe aus dem brasilianischen Karneval.

Erfolge und Wirkung

Die Ausstellung fügte sich als ein neues Element – und auch als historisch jüngster Abschnitt – in den stadtgeschichtlichen Ausstellungsrundgang des Museums ein. Die Geschichte der eingewanderten Frauen wurde damit selbst zu einem Teil der Dürener Stadtgeschichte. Neben der Ermöglichung von Begegnungen zwischen jüngeren und älteren Frauen unterschiedlicher kultureller Herkunft hat die Ausstellung auch dazu beigetragen, das Stadtmuseum selbst als Kulturort bei neuen Zielgruppen bekannt zu machen.

Kontakt und weitere Informationen

Trägerverein Stadtmuseum Düren e.V.
Sarah Höner, Lisa Haßler
Arnoldweilerstr. 38
52351 Düren
Web: www.stadtmuseumdueren.de
Mail: info(at)stadtmuseumdueren.de

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Björn Götz-Lappe & Timo Jaster
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