»Um die Welt gekocht« – Auf kulinarischer Weltreise in Chemnitz

Das Projekt richtete sich an Jugendliche im Alter von 10 bis 18 Jahren aus einheimischen und zugewanderten Familien, die in benachbarten Chemnitzer Stadtteilen unter teilweise schwierigen sozialen Verhältnissen leben. Nach einem ersten offenen Kennenlerntreffen wurde ein Interviewleitfaden zum Thema Essen entwickelt. Dieser wurde bei Befragungen von Familienmitgliedern und anderen Menschen aus der Nachbarschaft zu Essensgewohnheiten, Tischsitten und speziellen Koch- und Backrezepten eingesetzt. Daran schlossen sich regelmäßige »Koch- und Backstuben« an, in denen jede/r Jugendliche zum/zur Expert/in wurde und die anderen Jugendlichen mit den kulturellen und kulinarischen Besonderheiten des jeweiligen Herkunftslandes vertraut machte. Die Teilnehmer/innen erstellten ein Kochbuch mit Fotos und Rezepten. Das Vorhaben förderte Verständnis und Verständigung zwischen unterschiedlichen Lebenswelten und das Bewusstsein für eine gesunde Ernährung.

Das Projekt »Um die Welt gekocht«, durchgeführt vom Begegnungszentrum Aufatmen e.V., richtete sich an Jugendliche aus einheimischen und zugewanderten Familien, die in angrenzenden Chemnitzer Stadtteilen teilweise unter schwierigen sozialen und materiellen Verhältnissen leben. Ziel war es, den Jugendlichen über die beschäftigung mit Koch- und Tischsitten verschiedener Nationen positive Erfahrungen mit unterschiedlichen (Ess-)Kulturen zu ermöglichen. Es entstand ein Kochbuch, das vom Chapati aus Kenia über Tikka Masala aus Indien bis zum Lángos aus Ungarn jede Menge internationaler Spezialitäten beinhaltet.

Gewinnung der Teilnehmer/innen

Es wurden Kinder und Jugendliche aus dem Begegnungszentrum, in benachbarten Jugendeinrichtungen, in einer Schule und an Treffpunkten von Jugendlichen im öffentlichen Raum angesprochen. Darunter fanden sich Teilnehmer/innen sowohl aus Zuwandererfamilien als auch aus alteingesessenen Familien. Rund 30 Kinder und Jugendliche machten schließlich mit.

Ideentreffen & Interviews

Mithilfe einer Mindmap und dem gemeinsamen Sammeln von Ländern und Informationen darüber wurden potenzielle Teilnehmer/innen an das Projekt herangeführt: Was stellt sich jeder unter dem Projekt vor? Aus welchem kulturellen Kontext kommt ihr? Welche kulturübergreifenden Kontakte können darüber hinaus genutzt werden?

Bei einem ersten offiziellen Ideentreff kochten die Jugendlichen zur Einführung zusammen mit einer »Köchin« aus England. Es wurden englische Tischsitten besprochen und ein Spiel auf Englisch gespielt. Parallel fand eine Ideensammlung statt, bei der die Teilnehmenden auf einer Tischdecke Gedanken und Fragen sammelten. Diese wurden in den weiteren Treffen wieder aufgegriffen.

Basierend hierauf entwickelten die Beteiligten einen Interviewleitfaden. Fragen waren etwa: Aus welchem Kulturkreis kommt deine Familie? Was schätzt du besonders an dieser Kultur? Was sind spezielle Koch- oder Backrezepte von dort? Welchen Stellenwert hat (regelmäßiges) Essen? Die Kinder befragten hiermit Familienmitglieder oder Gäste aus verschiedenen Ländern.

Koch- und Backstube

Es fanden wöchentliche Treffen der »Koch- und Backstube« mit den Kindern und Jugendlichen statt. Je ein/e Jugendliche/r übernahm die Expertenrolle, unterstützt durch Mitarbeiter/innen. Aufgabe war es, den anderen Projektteilnehmenden von den kulturellen Begebenheiten »ihres Landes« zu berichten, Erfahrungen aus den Interviews weiterzugeben und eine kurze Einführung in das entsprechende Koch- oder Backrezept zu geben. So kochte z.B. Phan* gemeinsam mit anderen Teenagern vietnamesisch und Viktoria* übernahm die Rolle der Expertin, als russisch gekocht wurde. (* Name geändert) Auch die Interviewten waren in einigen Fällen mit dabei.

Eine Kleingruppe bereitete das jeweilige Menü vor. Eine weitere Gruppe deckte entsprechend der kulturellen Gewohnheiten den Tisch und stellte Dekorationen her. Eine Teilnehmer/in war währenddessen als Fotograf/in unterwegs und hielt eindrückliche Momente für das Kochbuch fest. Da nicht alle Kinder oder deren Familien aus anderen Ländern nach Chemnitz kamen, wurde z.B. auch sächsisch, erzgebirgisch, schwäbisch oder bayrisch gekocht.

Die Kinder hinterfragten spezielle Sitten, wie das Essen mit den Händen – z.B. im Sudan, Kenia oder Indien – häufig ersteinmal, doch wandten diese anschließend mit Freude an. Für Verwirrung sorgte die Tatsache, dass bei manchen Gerichten nicht ganz klar war, aus welchem Land sie ursprünglich kommen. So konnte z.B. nicht abschließend geklärt werden, ob die Idee für die Pizza wirklich ursprünglich aus Italien stammt. Diese Aspekte wurden jedoch nicht als trennend, sondern eher als verbindend und überraschend wahrgenommen. Ein kulturübergreifendes Thema ist die Vermeidung von Abfällen. Die Initiative »Foodsharing Chemnitz« sensibilisierte die Jugendlichen bei einem Besuch für die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten von Lebensmitteln.

Das ultimative Kochbuch

Für das gemeinsame Kochbuch überarbeitete die Gruppe ihre Rezepte, wählte Fotos aus und passte Details an. Eine Fotografin kam zu Besuch, die eine Kleingruppe von Teilnehmer/innen darin anleitete, wie sie bei Fotos gute Ausschnitte und Perspektiven auswählen können. Mit einer professionellen Kamera hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, sich auszuprobieren.

Ein Grafikbüro übernahm die Anfertigung des Kochbuches. Die Teenager hatten die Möglichkeit, sich einzubringen und die Arbeit im Grafikbüro kennenzulernen. Dabei durften sie sich z.B. bei der Bildbearbeitung am PC und an der Schneidemaschine ausprobieren. Zum Abschluss prüfte die Gruppe den ersten Entwurf des Kochbuches. Die Kinder waren fasziniert von der kreativen Arbeit und berichteten später denjenigen, die nicht teilgenommen hatten, von ihren Erlebnissen.

Mitte Oktober wurde damit begonnen, das selbständige Anwenden des Kochbuchs zu fördern. Die Jugendlichen einigten sich demokratisch darauf, aus welchem Land welches Rezept am jeweiligen Tag gekocht werden sollte. Mit der Zeit unterstützten sich die Teenager gegenseitig dabei, zu schauen, welche Lebensmittel noch vorhanden waren und welche besorgt werden mussten.

Zum Einkaufen gingen ein bis zwei Jugendliche, begleitet durch einen Mitarbeiter. Den Teilnehmer/innen wurde so Handwerkszeug für den Umgang miteinander und mit dem Kochbuch vermittelt. Stand zu Anfang noch »1 Liter Salzwasser« auf dem Einkaufszettel, so haben die Kinder und Jugendlichen mit der Zeit gelernt, dass eigentlich nur Salz gekauft werden muss. Wollte ein Jugendlicher zu Beginn im Geschäft Sprühsahne für Spaghetti Carbonara kaufen, so kennt er jetzt den Unterschied zwischen Schlag- und Sprühsahne.

Dass die Erfahrungen aus dem Projekt nicht nur bei den Teenagern geblieben sind, zeigt der Kontakt zu den Eltern und den Familien: So erzählte ein Elternpaar, dass ihre drei Söhne, die im Begegnungszentrum ein und ausgehen, ausschließlich aus diesem Kochbuch kochen wollen. Andere Eltern verschenkten weitere Kochbücher an Verwandte.

Veranstaltungen & Öffentlichkeitsarbeit

Das Projekt wurde bei einem Fest der verschiedenen Chemnitzer Stadtteile vorgestellt. Der Stand des Begegnungszentrums Aufatmen e.V. bot einen Geruchstest für Kinder an. Es galt, sechs verschiedene Gerüche aus der Küche richtig zu bestimmen. Den Stand betreute eine pädagogische Fachkraft gemeinsam mit einer Teilnehmerin aus dem Projekt. Mitte Oktober wurden alle Kinder und Jugendlichen zu einem Projektfest eingeladen. Neben einer Diskussion zum Thema »Vorurteile« stellte die Überreichung der Kochbücher an die Teilnehmer/innen den Höhepunkt des Tages dar. Die Begeisterung über das gemeinsam gestaltete Buch war groß.

Das Vorhaben »Um wie Welt gekocht« ist mit dem Auslaufen der Projektförderung nicht beendet. So wird das Kochbuch weiterhin beim gemeinsamen wöchentlichen Kochen im Begegnungszentrum und in den Famlien zum Einsatz kommen.

Kontakt und weitere Informationen

Begegnungszentrum Aufatmen e.V.
Annika Werschkull
Wilhelm-Firl-Str. 11
09122 Chemnitz
E-Mail: info( at )aufatmen-chemnitz.de
Web: www.aufatmen-chemnitz.de

Ansprechpartner für das Programm »Werkstatt Vielfalt«

Björn Götz-Lappe & Timo Jaster
Stiftung Mitarbeit
Ellerstraße 67
53119 Bonn
Tel. (02 28) 6 04 24-12/-17
Fax. (02 28) 6 04 24-22
E-Mail:goetz-lappe(at)mitarbeit.de
jaster(at)mitarbeit.de