Projekt des Monats (01/2017)

»Meine erste Bibliothek« – Buchpatenschaften verbinden Kulturen und Generationen

Das Patenschaftsprojekt für Jung und Alt richtete sich an Grundschüler/innen mit Migrationshintergrund – viele aus sozial benachteiligten Familien – sowie Erwachsene hauptsächlich im Rentenalter aus dem bürgerlich-konservativen Milieu, die zuvor kaum Kontakte zu Migrantenfamilien hatten. Die Paten trafen sich mit den Kindern zu einer wöchentlichen Lesestunde in der Schule. Die gemeinsam gelesenen Bücher bildeten einen Grundstock für eine eigene kleine Bibliothek für jedes Kind. Paten, Kinder und deren Eltern besuchten zudem gemeinsam kulturelle Angebote. Das Vorhaben unterstützte die Kinder in ihrer schulischen und sprachlichen Integration und förderte den Austausch zwischen unterschiedlichen kulturellen Milieus und zwischen den Generationen. Ziel war es, mit der Projektarbeit anhaltende freundschaftliche Beziehungen zwischen allen Beteiligten zu stiften.

Grundschulkinder lesen mit ihrem erwachsenen Buchpaten und entdecken dabei gemeinsam die Welt der Bücher und der kulturellen Vielfalt. Ziel des Projektes in Bonn-Bad Godesberg war es, das Buch in Familien zu tragen, in denen es bislang nicht zuhause ist. Die Kinder durften die gelesenen Bücher als Geschenke behalten, um sich damit nach und nach ihre »erste Bibliothek« aufzubauen. So können auch Geschwister davon profitieren

Lesetandems

Im Förderzeitraum wurden 33 Kinder an der Gotenschule und 27 Kinder an der Lyngsbergschule jeweils aus den zweiten Klassen in das Projekt aufgenommen. Alle Kinder kommen aus Familien mit einer Migrationsgeschichte. Die meisten haben ihre Wurzeln in der Türkei, in den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens und den Ländern des nördlichen Afrikas. Einige Kinder kamen aus den Staaten der Kaukasusregion und des Balkans, einige wurden in Bonn geboren. Die Lehrkräfte schlugen ausschließlich diejenigen Kinder für die Lesetandems vor, die bisher kaum Zugang zu außerschulischer kultureller Bildung hatten, die Unterstützungsbedarf bei der Sprach- und Lesekompetenz erkennen ließen oder deren Selbstbewusstsein mit einer 1:1-Ansprache gestärkt werden konnte.

Die Kinder trafen auf Buchpatinnen und Buchpaten aus dem Umfeld der Schulen. Interessierte Personen wurden über die kommunale Freiwilligenagentur, über die Schulfördervereine und Schulelternvertretungen, mit Faltblättern oder Informationsständen für das Engagement gewonnen. Als besonders wirksam hat sich darüber hinaus die direkte Ansprache über bereits engagierte Paten erwiesen. Eine überraschend positive Resonanz brachte der Zeitungsartikel eines Teilnehmers, der seine persönliche Empfindungen und Eindrücke als Buchpate schilderte. Auf diesen Artikel hin meldeten sich innerhalb einer Woche zwölf Interessierte, die selbst Buchpaten wurden.

Lesestunden und kulturelle Veranstaltungen

Der Verein Kultur verbindet e.V. fördert seit 2008 die kulturelle Freizeitgestaltung für migrantische Kinder und Jugendliche. Seine Mitarbeiterinnen koordinierten das Projekt und hielten dabei engen Kontakt zu den Patinnen und Paten sowie zu den Leitungen und Lehrer/innen an den beteiligten Schulen.

Bei einem ersten Treffen besprachen Lehrer/innen und interessierte Buchpaten zunächst die Auswahl und Zuteilung der Kinder. Anschließend lernten sich Paten, Kinder und deren Eltern im Rahmen einer Startveranstaltung kennen. Schon beim diesem ersten Treffen wählte das Tandem das erste Buch aus und setzte sich an einem Tisch zusammen. Dies war der Auftakt für eine bis zu dreijährige Patenschaft (2.-4. Klasse). Es kam nur ein einziges Mal vor, dass ein Kind nicht mehr weiter mit dem Paten lesen wollte.

Die regelmäßige Lesearbeit fand zu festen Zeiten parallel zum Unterricht einmal in der Woche für 30 bis 45 Minuten statt. Kind und Patin suchten sich hierfür einen ruhigen Raum im Schulgebäude. Für viele Kinder waren diese Einheiten echte Highlights in der Woche, auf die sie sich bereits freuten (»Kommt denn morgen der Pate wieder?«).

Darüber hinaus wurden die Paten mit den Kindern und ihren Familien einmal im Monat zu einer Kulturveranstaltung eingeladen. Über die gemeinsam verbrachte Zeit sollten Kontakte und Freundschaften geknüpft werden. Kultur verbindet e.V. verfügte für die Ausflüge bereits über einige Kooperationspartner wie die Bonner Kunst- und Ausstellungshalle, die Beethovenhalle sowie verschiedene weitere Museen und Träger außerschulischer Bildungsangebote wie Theater oder Buchhandlungen.

Für ein Lesefest bereiteten die Paten zusammen mit den Kindern kurze Texte vor. Die Kinder präsentierten ihre Lieblingsbücher und lasen aus ihnen. Mit einer Buchhandlung organisierten die Projektverantwortlichen zudem eine Schreibwerkstatt als Ferienworkshop und eine Veranstaltung für Kinder und Paten in den Verkaufsräumen. Dabei wurde eine Geschichte vorgelesen und dann unter Beteiligung von Kindern nachgespielt.

Zum Ende eines jeden Schuljahres fand im Rahmen einer kleinen Leseveranstaltung die Übergabe von Holzbücherkisten statt. Die Kisten waren zugleich Belohnung und Ansporn für die Kinder, denn sie boten Platz für viele weitere Bücher. Im neuen Schuljahr wurden weitere Schüler/innen aus den neuen zweiten Klassen in das Projekt aufgenommen.

Buchpatinnen und Buchpaten

Viele Paten – einige von ihnen waren Eltern anderer Grundschüler/innen, andere etwa pensionierte Lehrer/innen – haben die Lesearbeit mit einem Kind begonnen, dann aber im Laufe des Projektes noch ein zweites Kind übernommen. Sie zeigten über die wöchentlichen Treffen hinaus viel Engagement bei der Betreuung ihres Patenkindes, begleiteten sie zu Kulturveranstaltungen und bauten Beziehungen zu deren Familien auf. Dies startete etwa mit der Einladung zu einer Tasse Tee oder einem Gespräch vor der Haustür. Einige Paten luden die Kinder auch zu sich nach Haus ein, wo diese mit den eigenen Kindern spielen konnten. Eine Patin unterstützte eine Flüchtlingsfamilie aus Albanien bei Behördengängen und der ersten Orientierung in Bonn. Dem mit diesen Aktivitäten verbundenen interkulturellen Austausch öffneten sich sowohl die Paten als auch die Kinder und deren Familien. Die Projektkoordinatorinnen klärten u. a. bei regelmäßigen Patentreffen Rückfragen zu religiösen und kulturellen Wertvorstellungen. Dies zeigt, dass das Projekt einen gegenseitigen Austausch von Erfahrungen und Perspektiven anregte. In einigen Fällen enstanden Freundschaften, die über die Teilnahme des Kindes am Projekt fortbestehen.

Einbindung der Eltern

Im Laufe des Projektes nahmen immer mehr Eltern an den Begleitveranstaltungen teil. Beim letzten Bücherkistenfest waren die Eltern von 14 der insgesamt 16 Kinder mit dabei. Dies belegte, dass die Eltern das Angebot schätzten und die Bedeutung von Büchern für die Entwicklung der Kinder erkannt hatten. Die Projektkoordinatorinnen nahmen telefonisch Kontakt zu Familien der Patenkinder auf, wenn Anfragen und Einladungen an die Eltern unbeantwortet blieben. So konnten sie etwa auf zeitliche und logistische Probleme oder auf Sprachschwierigkeiten reagieren. Eine große Offenheit unter den Eltern erreichten die Projektkoordinator/innen von Kultur verbindet e.V. auch über ihre gute Vernetzung mit Migrantenorganisationen vor Ort. Nicht zuletzt warb das Projekt an den Schulen für sich. Kinder sprachen Buchpaten auf dem Schulhof an (»Können Sie auch mit mir lesen?«) und Eltern wünschten sich dies dann oft auch für ihre Kinder.

Erfolge & Perspektiven

Das Projekt zeigte in seiner Vielgestaltigkeit nicht nur die Bedeutung und die Nachfrage nach kultureller Bildung, sondern auch nach interkulturellem Austausch. Das Interesse der teilnehmenden Kinder an Büchern steigerte sich erkenntbar. Ein Buchpate resümmiert: »So verschieden die Kinder auch sind: gemeinsam ist ihnen ihre Neugier, ihre Aufgeschlossenheit und der Eifer, mit dem sie beim Lesen sind.« Die Kinder nahmen auch in wachsender Zahl regelmäßig an den kulturellen Veranstaltungen teil. So musste z.B. der Workshop »Elektroautos basteln« in kürzester Zeit zweimal angeboten werden, da sich so viele Kinder angemeldet hatten.

Das Projekt »Meine erste Bibliothek« wird fortgesetzt, da es mit fortlaufender Zeit sein ganzes Potential entfaltet – wenn andauerende Beziehungen und Netzwerke zwischen Verein, Schulen, Paten und Familien der Schüler/innen entstehen. Als eine Weiterentwicklung ist die Besetzung von Stellen speziell für die Elternbetreuung geplant. Auch sind parallel zu den Kulturveranstaltungen mit den Kindern eigens Programmpunkte für Eltern und Paten angedacht.

Kontakt und weitere Informationen

Kultur verbindet e.V.
Frauke Rheingans
Bernkasteler Straße 21
53175 Bonn
E-Mail: info( at )kulturverbindet-bonn.de
Web: www.kulturverbindet-bonn.de

Ansprechpartner für das Programm »Werkstatt Vielfalt«

Björn Götz-Lappe & Timo Jaster
Stiftung Mitarbeit
Ellerstraße 67
53119 Bonn
Tel. (02 28) 6 04 24-12/-17
Fax. (02 28) 6 04 24-22
E-Mail:goetz-lappe(at)mitarbeit.de
jaster(at)mitarbeit.de