Projekt des Monats (03/2017)

»Gelebte Geschichte« – Stadtgespräch zwischen den Generationen in Krefeld

Das Projekt richtete sich an Studierende der Hochschule Niederrhein, die außer der Lage des Campus kaum Bezug zur Stadt haben, sowie an Senior/innen, die Krefeld einst als attraktiven Samt- und Seide-Standort erlebt haben. Sie entwickelten gemeinsam einen Aktionstag mit verschiedenen Interventionen im öffentlichen Raum mit gelebten Geschichten zur Stadtentwicklung, die auch die Bewohner/innen mit einbezog. In regelmäßigen Treffen und Workshops mit kreativen Schreibtechniken und designbasierten Methoden entstand eine Ausstellung. Dabei wurden die Studierenden von zwei Mitarbeiterinnen der Hochschule intensiv betreut. Das Vorhaben förderte den Austausch zwischen den Generationen und eine neue Wahrnehmung auf die Stadt als gestaltbaren Raum.

Mit dem Projekt »Gelebte Geschichte« ermöglichte die Initiative zweier Mitarbeiterinnen der Hochschule Niederrhein zusammen mit dem Katholischen Hochschulzentrums LAKUM Krefeld eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Stadt und der Veränderbarkeit von Raum und Gemeinschaft. Das Vorhaben reagierte auf zwei Probleme: Die Krefelder Innenstandt kämpft mit einer hohen Leerstandsquote. Viele Studierende pendeln zur hiesigen Hochschule, wohnen aber in anderen Städten, die sie als attraktiver erachten. Wie auch andernorts gibt es in Krefeld isolierte soziale Gruppen wie die älteren Menschen in der Stadt.

Hieraus leitete sich das Projektziel ab: Es sollte eine Verbindung hergestellt werden zwischen den Menschen, die das Krefeld der Vergangenheite als reiche Samt- und Seidenstadt erlebt haben, und den jungen Studierenden, die lediglich den Weg vom Bahnhof zum Campus kennen. Grundlage für die Verbindung sollten die persönlichen Geschichten der Älteren sein. Dies soll den Jungen Zugang zu einer neuen Wahrnehmung auf die Stadt verschaffen: Krefeld wird als sozialer und gestaltbarer Raum erfahrbar.

Teilnehmer/innen

Das Projekt wurde an der Hochschule Niederrhein mithilfe von Plakaten, auf den Websites der Hochschule sowie per E-Mail an den fachbereichsübergreifenden Studierendenverteiler beworben. Die Projektteilnehmenden wurden aufgrund des großen Interesses per Los bestimmt. Fest beteiligten sich schließlich 18 Studierende. Sie trafen auf zwölf Krefelder Senior/innen, die u.a. über die ansässige Caritas angesprochen wurden. Die Studierenden erhielten einen Einblick in die verschiedenen Einrichtungen des Trägers und lernten die Menschen vor Ort kennen. Diese lebten entweder in einer der Wohnstätten oder engagierten sich ehrenamtlich bei der Caritas. Die Hälfte der Studierenden suchte ihre Kontakte an anderen Orten in der Stadt. So lernten sie etwa einen ehemaligen Aktiven des Krefelder »Jazzkellers« kennen. Andere Teilnehmer/innen trafen einen älteren Kommunalpolitiker in einer Gaststätte auf dem Weg zu einer Stadtratssitzung und führten mit ihm in der Folge Gespräche an mehreren Orten in der Stadt. Außerdem dabei waren etwa ein Krefelder Künstler und eine Mitarbeiterin der Krefelder Bahnhofsmission.

Die unterschiedlichen Interessen der Studierenden an den Geschichten der Alten, sowie die verschiedensten Wege der Kontaktaufnahme führten dazu, dass ein breites Spektrum an Persönlichkeiten in das Projekt eingebunden wurde. Die älteste Gesprächspartnerin war 96 Jahre alt. Die Studierenden wurden mit Lebens- und Problemlagen konfrontiert, die sie ohne das Projekt nicht erfahren hätten. Durch begleitende Coachings konnten die Begegnungen ausgewertet und reflektiert werden. Die Jungen entwickelten durch die Begegnungen mit der älteren Generation Empathie und lernten, sich in die Perspektive der Senior/innen hineinzuversetzen. Für die weniger mobilen Älteren bot das Projekt neue soziale Kontakte. Sie gaben ihre Geschichten weiter und erlebten, dass sie Teil der Stadtgeschichte werden.

Ablauf

Innerhalb der ersten Workshops definierte jede/r studentische Teilnehmer/in, was ihn /sie bei der Begegnung mit einem älteren Menschen interessiert: Mit welchen Aspekten der Vergangenheit der Person und damit auch Krefelds möchte ich mich auseinandersetzen? Dabei ergab sich eine Sammlung ganz unterschiedlicher Themen: berufliche Werdegänge, Zuwanderungsgeschichten, besondere Orte oder das kulturelle Leben im Krefeld der Vergangenheit. Diese Vorgehensweise ermöglichte Beziehungen, die sich an den Interessen der Gesprächspartner/innen orientierten.

Die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen der Hochschule Niederrhein unterstützten die Teilnehmenden bei der eigenverantwortlichen Projektumsetzung. Sie führten zudem Interview- und Schreibübungen mit den Studierenden durch, behandelten in einem Workshop das Thema Krefeld bzw. Konzeptionen von Urbanität. Die Studierenden werteten die Interviews in angeleiteten Gruppengesprächen aus und es entwickelte sich in einem mehrmonatigen Prozess nach und nach eine Idee für die abschließende Ausstellung des Projektes im öffentlichen Raum. Die Konzeption wurde in weiteren Gesprächen mit den Senior/innen besprochen und deren Ideen einbezogen. In Kleingruppen begannen die Studierenden Aktionen zu gestalten, die auf besondere Orte und Begebenheiten hinweisen oder ein neues Licht auf Krefeld werfen. Die Bevölkerung sollte dadurch in die bis dahin projektinterne Diskussion eingebunden werden. Der Designprozess, den die Studierenden durchlaufen haben, und die angewandten Methoden können jederzeit auch auf andere Projekte und Fragestellungen übertragen werden. Die Zusammenführung von Generationen oder verschiedener Bevölkerungsgruppen kann dabei als Katalysator der Ideenfindung und Gestaltung dienen.

Am Aktionstag, der mit vielen Interventionen in der Innenstadt umgesetzt wurde, haben die studentischen Teilnehmer/innen mehrere Formate betreut:

Mach jetzt! In einem zentral gelegenen Leerstand wurde eine interaktive Ausstellung eingerichtet. Auf einer Karte waren »Lieblingsorte« der Senioren markiert und Besucher/innen konnten diese ergänzen. Ein Beamer warf an diesem Tag geschriebene Twitterbeiträge mit dem Hashtag #krefeldlebt an die Wand. Auf diese Weise wurden die Aktivitäten in der Innenstadt zentral zusammengefasst. Stündlich fanden in der Fußgängerzone vor dem Leerstand Lesungen der Studierenden statt. Es handelte sich um Reflexionen zur Stadt und um die Geschichten aus den Gesprächen mit den Senior/innen. Verteilt über die Krefelder Innenstadt fanden sich Gesprächszitate der Senior/innen als Kreidespray auf Bürgersteigen wieder.

Mach bunt! Unter der Uhr – UdU ist ein Ort mit viel(en) Geschichte(n) – und Bauzäunen. Auf einer großen weißen Fläche konnten Passant/innen schreiben und malen, welche Geschichten, Symbole und Orte sie mit Krefeld verbinden. Die gestaltete Fläche wurde anschließend für zwei Wochen im Leerstand für Passanten sichtbar ausgestellt.

Macht Spaß! Wäre es nicht schön, in Krefeld anzukommen und wie früher ein wildes buntes Treiben vorzufinden? Kinder, Jugendliche und Passant/innen bemalten mit bunter Straßenmalkreide den großen gepflasterten Vorplatz des Krefelder Hauptbahnhofs. Ein grauer Durchgangsplatz wurde zur belebten Leinwand von Jung und Alt.

Mach laut! Studierende luden an einem mobilen Stand zur Erinnerung und Auseinandersetzung mit Krefeld ein. Gesammelt wurden Zitate auf Plakaten mit den schönsten und lebendigsten Erinnerungen. Passanten notierten, welche Orte, Erlebnisse und Geschichten sie mit Krefeld verbinden.

Mach lecker! Ein langer Tisch und viele spannende Menschen, die um ihn herum sitzen. Zum Abschluss des Aktionstages kamen Projektbeteiligte an einer Tafel und auf Picknick-Decken zu einem gemeinsamen Abendessen zusammen. Es wurde erzählt, gelacht, geschwelgt, gegessen und Pläne geschmiedet.

Erfolge & Herausforderungen

Die Resonanz der Medien am Aktionstag war sehr positiv: Die zwei wichtigsten regionalen Zeitungen und der WDR berichteten. Die Studierenden stellten aber auch fest, dass die reale Umsetzung eines Projektes bedeutet, sich auch der Kritik einer breiten Masse auszusetzen. Einige Begegnungen mit Bürger/innen und deren Kritik oder Desinteresse führten zu leichter Frustration.

Mit viel Eigeninitiative hatten die studentischen Teilnehmer/innen zuvor das Gespräch mit den Älteren gesucht und dadurch eine Seite von Krefeld kennengelernt, die ihnen vorher verschlossen war. Häufig entstand Bewunderung für ihre Gesprächspartner/innen. Manchmal wollten die älteren Menschen aber auch ganz bestimmte Dinge erzählen und weitergeben. Das waren dann nicht immer zwingend auch die Themen, die die Studierenden interessierten. Manchmal war auch die Terminfindung ein Problem. Die Studierenden sind in ihrem Studienalltag stark eingebunden. Die Senior/innen haben einen anderen Lebensrhythmus und standen etwa abends um 21 Uhr nicht mehr für ein Gespräch bereit. Leider konnten einige Ältere aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Ausstellung teilnehmen. Diejenigen, die dabei waren, haben sich sehr über das Aufsehen gefreut, für das der Aktionstag in der Innenstadt gesorgt hat. Sie haben mit Passant/innen intensiv diskutiert und sich beim »Dinner auf dem Ostwall« mit anderen ausgetauscht.

Das Hashtag #krefeldlebt lebt weiter und trägt dazu bei, dass positive Erlebnisse in und mit Krefeld öffentlich geteilt werden.

Kontakt und weitere Informationen

Dr. Janina Tosic & Jeannette Weber
E-Mail: janina.tosic(at)fh-muenster.de / jeannette.weber(at)hsnr.de 

Katholisches Hochschulzentrum LAKUM
Matthias Hakes
Ispelstraße 67
47805 Krefeld
E-Mail: mh(at)lakum.de
Web: www.lakum.de

Fotos: Jimmy Elias

Ansprechpartner für das Programm »Werkstatt Vielfalt«

Björn Götz-Lappe & Timo Jaster
Stiftung Mitarbeit
Ellerstraße 67
53119 Bonn
Tel. (02 28) 6 04 24-12/-17
Fax. (02 28) 6 04 24-22
E-Mail:goetz-lappe(at)mitarbeit.de
jaster(at)mitarbeit.de