Projekt des Monats (11/2016)

»Geschichte der Immigration in Cuxhaven« – Ein Filmprojekt mit Jugendlichen

Das Medienprojekt richtete sich an Jugendliche mit und ohne familiären Migrationshintergrund, die gemeinsam eine Stadtführung über die Geschichte der Immigration in Cuxhaven entwickelten. Die Teilnehmenden interviewten Familienmitglieder und andere Menschen, die ihnen zum Thema Immigration berichteten. Mit medienpädagogischer Begleitung erkundeten sie konkrete Orte, erstellten sieben Dokumentarfilme, in denen sie subjektive Geschichten mit historischen Ereignissen verbanden. Die Filme wurden im Internet veröffentlicht und mittels einer Faltkarte mit QR-Codes zu einer multimedialen Stadtführung aufgearbeitet. Bei zwei öffentlichen Aufführungen präsentierten die Jugendlichen ihre Filme dem städtischen Publikum. Anschließend wurden die Filme im maritimen Museum und in Schulen präsentiert. Das Vorhaben förderte die Medienkompetenz sowie den Dialog über die Wandlungen der Stadtgeschichte als Ergebnis der Vielfalt von Menschen und Kulturen.

Cuxhaven – die Stadt an der Elbmündung war einst ein wichtiger Standort der deutschen Hochseefischerei. In den 1950er und -60er Jahren sind viele Gastarbeiter in die Stadt gezogen. Mit welchen Motiven und Hoffnungen sind sie und ihre Familien nach Deutschland gekommen? Was haben sie hier erlebt und wie ist es den nachfolgenden Generationen ergangen?

Die jugendlichen Projektteilnehmer/innen haben sich auf die Suche nach persönlichen Erfahrungen und Geschichten gemacht. Als Ergebnis enstanden sieben Filme mit einer Länge von jeweils fünf bis zehn Minuten (Hier ansehen!).

Teilnehmende

Besonderen Schwung bekam das Projekt durch die große Resonanz aus der Cuxhavener Bevölkerung. Durch einen Zeitungsartikel erfuhren etwa Schüler/innen und Lehrpersonal der Bleickenschule vom Projekt und meldeten zwei komplette Klassen an. So wuchs die Teilnehmerzahl von anfänglich acht Jugendlichen auf 45. Auf den Zeitungsartikel hatten sich bereits zuvor interessierte Jugendliche gemeldet. Auch aus vergangenen Projekten des Vereins waren Teilnehmer/innen dabei. Aufgrund der großen Teilnehmerzahl entschieden sich die Projektverantwortlichen, in Kleingruppen zu arbeiten. Jede Klasse kam für fünf Tage in das Haus der Jugend und arbeitete in Kleingruppen an ihren verschiedenen Filmthemen. Jeden Dienstagnachmittag trafen sich die anderen Jugendlichen und arbeiteten an zwei weiteren Kurzfilmen. Diese Gruppe kümmerte sich auch um die Öffentlichkeitsarbeit für die Abschlusspräsentation und vertrat das Projekt mit Pressekonferenzen nach außen.

Projektstart

Bevor mit den Projektworkshops begonnen wurde, kontaktierten die Projektleiter/innen verschiedene Organisationen und Einrichtungen, um sie für das Projekt ins Boot zu holen. Als Kooperationspartner konnten die portugiesische Gemeinde, die Stadtbibliothek und das Stadtarchiv, das Haus der Jugend, zwei Museen und ein Busunternehmen gewonnen werden. Diese boten z.B. Räumlichkeiten, Recherchemöglichkeiten und stellten in einigen Fällen Interviewpartner/innen für die Aufnahmen.

Nach einer Einführung in die Grundlagen des Dokumentarfilms recherchierten alle Teilnehmenden zum Thema »Immigration in Cuxhaven«. Im Mittelpunkt standen Themen und Geschichten aus dem unmittelbaren Umfeld der Jugendlichen, zu denen sie einen emotionalen Zugang haben.

Nach der Themenwahl konnte mit der Produktion begonnen werden. Die Jugendlichen sprachen während der Recherchephase Menschen in der Öffentlichkeit an und fanden viele Interviewpartner/innen. Überrascht waren sie über deren Offenheit. »Ich dachte, dass viele gar nicht vor die Kamera wollen«, sagt etwa Jan. »Aber alle, wirklich alle, waren bereit und wollten gar nicht mehr aufhören, zu erzählen.« Diese große Resonanz führte dazu, dass das Projekt viel größer wurde, als zunächst geplant. Durch zusätzliches, freiwilliges Engagement aller Beteiligten konnte der gesteigerte Aufwand aufgefangen werden. Die Teilnehmer führten schließlich Interviews mit insgesamt 17 Partner/innen und nahmen dabei rund 5 Stunden Videomaterial auf.

Persönliche Geschichten als Ausgangspunkt

Bei den Filmen sind die jugendlichen Reporter immer von einer persönlichen Geschichte ausgegangen und haben diese dann in einen historischen Kontext eingebettet. Die Mutter eines Teilnehmers aus der Türkei erzählte etwa von einem Brand in der Cuxhavener Fischhalle, in der ihre Eltern früher arbeiteten und über der sich auch ihre Wohnung befand. Die Recherche ergab, dass von diesem Brand auch viele weitere Gastarbeiter betroffen waren.

Zwei Schüler/innen aus der Türkei erforschten mit ihrer Gruppe, warum ihre Familien damals nach Cuxhaven kamen und produzierten einen Kurzfilm über das Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei.

Eine Schülerin aus einer spanischen Familie vermittelte den Kontakt zu ihrer Mutter, einer Freundin der Familie und ihrer Großmutter. Diese berichteten über die Situation von alleinstehenden Frauen, die als Gastarbeiterinnen nach Cuxhaven kamen und im Frauenwohnheim im Elfenweg unterkamen. Da die Großmutter nach Spanien zurückgekehrt war, wurde das Interview mit ihr per Skype geführt.

Eine Cuxhavenerin, deren Vater aus Spanien stammt und beim Untergang des Fischtrawlers »München« ums Leben kam, meldete sich ebenfalls in Folge des Zeitungsberichts zum Projekt. Die Jugendlichen arbeiteten die tragische Geschichte filmisch auf. Sie war der Impuls dafür, sich näher mit dem Thema der Gastarbeiter auf der Cuxhavener Fischfangflotte zu beschäftigen.

Die Großeltern eines anderen Teilnehmers sind nach dem zweiten Weltkrieg aus dem damaligen Ostpreußen geflüchtet. Die Jugendlichen fanden heraus, dass die Stadt Cuxhaven eine Partnerschaft mit dem heutigen Piła (deutsch: Schneidemühl) in der polnischen Woiwodschaft Großpolen pflegt. Über den Kontakt mit dem Verein »Heimatstube«, der die Partnerschaft mit organisiert, wurde eine Interview-partnerin gewonnen. Sie erzählt sehr eindringlich über ihre Flucht aus Schneidemühl.

Die Situation einer portugiesischen Familie, deren Mitglieder als Gastarbeiter nach Cuxhaven kamen und die in der Fischindustrie arbeiteten, stand in einem weiteren Film im Mittelpunkt. Der letzte Film handelt vom Kosovokrieg und den Fluchtgründen der Familie eines teilnehmenden Schülers.

Filmschnitt, Animationen und App

Im Anschluss an die Recherchen wurden einfache Animationen erstellt, um Hintergründe filmisch zu erklären. Die Technik wurde dabei soweit wie möglich von den Teilnehmer/innen selbst übernommen. Den Filmschnitt machte die Teamer mit einer kleinen Gruppe von interessierten Teilnehmer/innen. Aufgrund der großen Menge an Filmkonzepten dauerte der Schnitt länger als geplant.

Für jeden Film suchte die Gruppe ein Ort in der Stadt, der direkt oder indirekt mit dem Film zu tun hat. Im Workshop »Öffentlichkeitsarbeit« programmierten die Schüler/innen mithilfe der Applikation »Actionbound« einen Stadtrundgang. Die Filme wurden online gestellt und mit der App verknüpft. Interessierte werden nun von ihrem Smartphone per GPS von einer zur nächsten Station geführt und können sich die Filme direkt vor Ort ansehen.

Abschlusspräsentation

Da sich die Produktion der Filme zunächst verzögerte, konnte die Abschlusspräsentation nicht wie geplant stattfinden. Stattdessen wurden die Filme in einer grob geschnittenen Version zunächst im Haus der Jugend präsentiert. Die große Abschlussveranstaltung wurde dann einige Monate später in den Räumlichkeiten des Museums »Windstärke 10« nachgeholt. Der Cuxhavener Oberbürgermeister begrüßte die Besucher/innen. Nach einer kurzen Einführung fuhren die Gäste mit Doppelstockbussen zu den einzelnen Orten in der Stadt. Dort stellten die jeweiligen Kleingruppen ihre Kurzfilme mit Hintergrundinformationen vor. Anschließend konnten die Filme über die bordeigenen Bildschirme angeschaut werden.

Nach dem Tag der Abschlussvorführung wurden die Filme in Form einer Miniausstellung an verschiedenen Orten wie dem Museum »Windstärke 10« oder in Schulen präsentiert.

Kontakt und weitere Informationen

Verein zur Förderung der Medienpädagogik
(in Kooperation mit Creaclic GbR)
Zum Bahnhof 17
28876 Oyten
E-Mail: h.f.h.boehm(at)gmx.de / Martin.E.Boehm(at)web.de  
Web: http://communautencuxhaven.tumblr.com/

Ansprechpartner für das Programm »Werkstatt Vielfalt«

Björn Götz-Lappe & Timo Jaster
Stiftung Mitarbeit
Ellerstraße 67
53119 Bonn
Tel. (02 28) 6 04 24-12/-17
Fax. (02 28) 6 04 24-22
E-Mail:goetz-lappe(at)mitarbeit.de
jaster(at)mitarbeit.de