Projekt des Monats (09/2017)

»Gemeinsam neue Wege gestalten« – Von unüberwindlichen Gräben zu interkulturellen Willkommensgärten

Bei diesem Gartenbauprojekt gestalteten Jugendliche aus dem südlichen Weimarer Land und geflüchtete Jugendliche aus Apolda über zehn Monate hinweg jeweils an einem Samstag gemeinsam die Verteidigungsanlage eines Schlosses zu einem Willkommensgarten. Zunächst standen Kennenlernaktionen wie Fussballspielen, Gruppenspiele und Pizza backen auf dem Programm. In den Folgemonaten bepflanzten die Teilnehmer/innen Beete, machten Wege zugänglich, gestalteten mehrsprachige Schilder und setzten sich mit der Migrationsgeschichte von Pflanzenarten auseinander. Ein Kernanliegen des Projektes war es, die Jugendlichen jenseits der handwerklichen Tätigkeiten über ihren Alltag und ihre Wünsche für die Zukunft ins Gespräch zu bringen. Nach Abschluss der Gartengestaltung wurde der Öffentlichkeit ein neu gestalteter Rundweg in Verbindung mit einem Buffet der Nationen präsentiert.

Waldmeister, Bärlauch, Rose und Ulme sind nur einige der Pflanzenamen, die 16 junge Menschen im Waldgartenprojekt des Vereins für Schloss Tonndorf e.V. gleich dreisprachig auf kleine Holzschilder notierten. Auf Arabisch, Lateinisch und Deutsch geben die Pflanzentafeln Auskunft über die botanische Vielfalt im verwunschenen Gelände des Burggrabens rund um das historische Gebäude.

Ziel des Projektes »Gemeinsam neue Wege gestalten« war die Begegnung und Vernetzung von jungen Geflüchteten aus den Gemeinschaftsunterkünften in Apolda mit jungen Menschen aus der Region um Tonndorf. Gleichzeitig wurden allen Teilnehmenden ökologische Grundgedanken vermittelt und Naturerleben ermöglicht. Die Geflüchteten konnten bei der gemeinsamen Gartenarbeit zudem ihren deutschen Wortschatz sowie ihre Kenntnisse über Land und Leute erweitern.

Insgesamt zehnmal trafen sich acht junge Männer aus Eritrea, Afghanistan und Irak mit Gleichaltrigen aus der Region. Der über Jahrzehnte zugewachsene Waldgarten wurde im Projekt durch vieler Hände Arbeit in eine idyllische Nasch- und Entdeckungsreise verwandelt. Nun müssen viele der essbaren Stauden und Gehölze noch wachsen, bevor es für alle Besucher/innen etwas zu kosten gibt.

Hinter dem verantwortlichen Verein steht eine rund 60-köpfige, genossenschaftlich organisierte Lebensgemeinschaft, die sich um den Erhalt und die Gestaltung des Schlosses Tonndorf und des dazu gehörenden 15 Hektar großen Grundstücks kümmert. Der Verein trug sich mit dem Gedanken, Geflüchtete aufzunehmen und wollte mit dem Projekt erste Begegnungen initiieren.

Mit einem Plan und engagierten Gärtner/innen

In Vorbereitung des Projektes wurde ein Gartendesign für den nördlichen Burgraben nach den Permakulturprinzipien für Waldgärten in Auftrag gegeben. Im Anschluss daran wurde intensiv nach interessierten Teilnehmer/innen gesucht. Hierfür nahmen die Projektverantwortlichen sowohl mit der Leitung der Gemeinschaftsunterkünfte in Apolda als auch mit Lehrer/innen der umliegenden Schulen Kontakt auf. Ergänzend wurden Netzwerke und Mailinglisten aktiviert und eine Pressemitteilung herausgegeben.

Es stellte sich heraus, dass die ursprünglich anvisierte Zielgruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge institutionell so gut betreut und integriert ist, dass sie neben Schulunterricht, Fußballverein und anderem gar keine Zeit für das Projekt übrig hatten. Stattdessen wurden junge Erwachsene eingeladen. Die Teilnahmeliste war sehr schnell gefüllt. Die Anmeldung junger Menschen aus der Region verlief etwas schleppender. Am Projekt beteiligten sich schließlich Schüler des Marie Curie Gymnasiums in Bad Berka, Studentinnen der Urbanistik in Weimar sowie ein junger ehemaliger Schlossbewohner. Zu jedem Termin ging eine Erinnerung per E-Mail an alle Beteiligten.

Als größte Schwierigkeit stellte sich die verbindliche  Teilnahme der ortsansässigen Jugendlichen heraus. Aufgrund vieler paralleler Termine war es den wenigsten von Ihnen möglich, eine durchgängige Teilnahme an jedem der Treffen zu gewährleisten. An fast jedem Termin stießen aber spontan weitere Mitwirkende hinzu, die vom Projekt gehört hatten. Daher ließen die Projektverantwortlichen die Idee fester Tandems fallen und organisierten die Arbeiten stattdessen in offener und gemeinschaftlicher Atmosphäre.

Mit Hacke, Kochlöffel und viel Freude

Die monatlichen Projekttage, die immer samstags stattfanden, wurden durch Sport und Spiele, Rundgänge, Führungen, eine biografische Theaterwerkstatt, kleinere Ausflüge und das gemeinsame Kochen und Essen ergänzt. So rollte der Ball auf der Schlosswiese und alle haben gelernt, dass Rosinen auf arabisch »Kischmisch« heißen und wie man Chai mit Kardamom kocht. Die jeweiligen gärtnerischen Arbeiten waren durch den Jahreszeitenkreislauf mitbestimmt. Je nach Interesse und Begeisterung konnte der Umgang mit Hacke, Spaten, Säge oder Akkuschrauber geübt werden. Es gab die Möglichkeit, fachgemäß Rosen und Stauden pflanzen zu lernen oder eine Trockenmauer zu errichten. Die allermeisten Teilnehmenden haben es genossen, Steine und Baumstämme zu schleppen, Wurzeln zu roden, Erde und Wasser zu beschaffen und dabei im positiven Sinne ins Schwitzen zu geraten.

Jegliche Befürchtungen der Projektverantwortlichen, es könne Schwierigkeiten mit der Akzeptanz der Projektleitung durch eine Frau oder Grenzverletzungen durch die Teilnahme von Frauen geben, erwiesen sich im Nachhinein, laut eigener Aussage, als Vorurteile und vollkommen unbegründet. Sehr schnell war in der Gruppe eine herzliche Nähe und echte Anteilnahme zu spüren.

Während der Laufzeit des Projektes wurde bewusst auf jegliche Pressearbeit verzichtet, um einen geschützten Rahmen zu kreieren, in dem Begegnung und Spaß im Vordergrund stehen können und kein Präsentationsdruck herrscht. Für das Abschlussfest wurde dann ein Plakat und eine Pressemitteilung erstellt, mit welchen der Termin als Teil der zeitgleich stattfindenden »Offenen Gärten Weimar« bekanntgegeben wurde. Die Teilnehmer/innen luden gemeinsam mit dem Verein zur öffentlichen Begehung des neuen Rundwegs ein. Es gab eine Führung der Jugendlichen und ein internationales Buffet mit den Lieblings- und Nationalgerichten der Beteiligten. Ein irakischer Teilnehmer verarbeitete hierfür – dem Grundgedanken des essbaren Gartens folgend – frische Weinblätter aus dem Burggraben des Schlosses.

Der Garten als Kultur- und Begegnungsraum

Der Verein hat mit dem Projekt durchweg positive Erfahrungen gemacht und beschloss nach Projektschluss etwa, eine Bundesfreiwilligendienststelle für Geflüchtete einzurichten. Es zeigte sich, dass die Verbindung von Arbeit, Natur und Ökologie als attraktives Begegnungsthema gestaltet werden kann und sich junge Menschen mit viel Freude für eine schöne Sache engagieren. So manche räumliche Gestaltungsaufgaben  wie die Instandsetzung vonSpielplätzen, Schulhöfen oder Bachrenaturierungen ließen sich mit einem ähnlichen Konzept gemeinschaftlich umsetzen.

Am Projektende war der Burggraben erstmalig in der Geschichte der Gemeinschaft auf Schloss Tonndorf vollumfänglich begehbar und konnte mit einer ansprechenden Beschilderung für den Besucherverkehr freigegeben werden. Die neuhinzugezogenen Jugendlichen machten die Erfahrung, den Ort des Ankommens mitzugestalten, und fanden öffentliche Anerkennung.

Ausblick

Alle Beteiligten fragten am letzten Tag wiederholt danach, ob und wann das Projekt fortgesetzt werden kann. Entsprechend möchte der Verein das gemeinschaftliche Gärtnern verstetigen. Zwar ist das Prinzip »Jeder bekommt sein eigenes Beet«, das in vielen interkulturellen Gärten praktiziert wird, am Schloss nicht umsetzbar, wohl aber monatliche Aktionstage, bei denen zum gemeinsamen Gärtnern, Ernten, Kochen und Speisen eingeladen wird.

Das Angebot soll zukünftig stärker für Familien geöffnet werden. Im nahen Bad Berka entsteht etwa eine syrische Community mit mehreren Familien, für die eine weitere Vernetzung mit Menschen aus der Region interessant sein könnte.

Kontakt und weitere Informationen

für Schloss Tonndorf e.V.
Lea Hinze
Das Schloss 156
99438 Thüringen
E-Mail: kultur(at)schloss-tonndorf.de
Web: www.schloss-tonndorf.de

Ansprechpartner für das Programm »Werkstatt Vielfalt«

Björn Götz-Lappe & Timo Jaster
Stiftung Mitarbeit
Ellerstraße 67
53119 Bonn
Tel. (02 28) 6 04 24-12/-17
Fax. (02 28) 6 04 24-22
E-Mail:goetz-lappe(at)mitarbeit.de
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