mitarbeiten (2/1996)

»Erst reisen die Daten, dann reisen die Menschen«

Immer mehr Initiativen und Projekte nutzen die Möglichkeit, Nachrichten und Texte per Computer weltweit zu verbreiten. In einem Interview äußerte sich Peter Lokk, einer der beiden Autoren der neuen Broschüre der Stiftung MITARBEIT »Computer einsetzen: Schreiben, Gestalten, Organisieren und Kommunizieren mit dem PC«, zu den Chancen und Risiken der Datennetze.

Wie sieht der praktische Nutzen der neuen Datennetze und Online-Dienste für die Initiativ- und Projektarbeit aus?
Datennetze bieten die Möglichkeit, mit anderen Initiativen in Kontakt zu kommen. Wenn sich eine Umweltinitiative beispielsweise in eine Konferenz im Soli-Net – dem gewerkschaftlichen Netzwerk – oder in die Umweltforen im CL-Netz begibt, dann wird diese Initiative hier zahlreiche kompetente Ansprechpartner/innen finden, die aus dem Umweltbereich kommen.

Es ist also möglich, die Anfrage so spezifisch und gezielt zu stellen, daß man in der Regel brauchbare Antworten für seine Arbeit bekommt?
Es gibt zwei Möglichkeiten. Man kann die Überschriften und Texte in den News-Groups durchsuchen. Oder man kann eine konkrete Anfrage stellen. Daraufhin antworten Menschen und daraus ergibt sich oft auch ein persönlicher Kontakt, der dazu führt, daß gemeinsam an der Lösung des anstehenden Problems oder Vorhabens weitergearbeitet wird.

Wie schätzen Sie die Verbreitung innerhalb des Initiativenbereiches ein?
Wir erreichen mit unserem CL-Netz vor allem die Macherinnen und Macher. Gerade die Aktiven können sich kennenlernen, miteinander diskutieren und  den Hierarchieweg in den Institutionen vermeiden.'

Sind die Bürgernetze von unten demnach nur etwas für eine Minderheit der ohnehin Aktiven?
Wir rechnen beim CL-Netz momentan mit 100 000 Teilnehmern in Deutschland und sechs europäischen Ländern. Es nimmt nur ein kleiner Teil der Bevölkerung an unseren Netzen teil. Ich würde den Nutzen aber sehr viel höher ansetzen, weil sehr viele Multiplikator/innen mitarbeiten, die die Informationen, die sie in den Netzen finden, weiterverarbeiten, die Seminare veranstalten und eigene Medien erstellen. Der Nutzen ist um einiges höher, aber die Anzahl der Teilnehmer/innen ist nicht besonders hoch.

Entstehen auf diese Weise neue Diskussions- und Informationskanäle oder werden nur andere ersetzt?
Es entstehen neue Kanäle. Denn diese Menschen hätten sich sonst nie kennengelernt. Bei unserem Brett »Klima« beispielsweise diskutieren Leute aus der Schweiz, aus Bremen, aus Hannover, München, Nürnberg, Osnabrück. Menschen, die sich sonst allenfalls durch Zufall auf einer Fachtagung kennengelernt hätten. Wir sprechen hier von einem virtuellen Diskussionszirkel, der im allgemeinen dazu führt, daß sich diese Menschen gezielt bei nächster Gelegenheit auch persönlich treffen. Erst reisen die Daten, dann reisen die Menschen. Die persönliche Auseinandersetzung, das persönliche Gespräch wird durch die Datennetze in keiner Weise aufgehoben. Ganz im Gegenteil.

Gibt es denn überhaupt negative Entwicklungen?
Bei einem Werkzeug ist es immer die Frage, wie man es nutzt und welche Nutzung gefördert wird. Ich habe bis jetzt von den »Datennetzen von unten« gesprochen. Diese Bürgernetze sind nur ein kleiner Ausschnitt der gesamten Netzangebote. Die Angebote des WorldWideWeb bestehen zum großen Teil aus sogenannten Shopping Malls (Shopping-Centern). Die Masse der Bevölkerung soll als »information poor« die Netze zum Konsum nutzen. Es soll bestellt, gekauft, gespielt werden und für jede Minute, die man im Netz ist, sollen die Kassen der großen Provider klingeln. In der Tendenz führt das dazu, daß die Menschen zu Hause vereinzeln.

Besteht nicht die Gefahr, daß durch unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten eine neue Ungleichheit entsteht?
Wenn es nicht gelingt, durch intensive Medienbildung den Bürger/innen die kreativen Möglichkeiten der Datennetze nahezubringen, wird ein großer Teil der Gesellschaft zu »information poor« verkommen. Wir fordern eine Bildungsinitiative, weil bereits jetzt sehr viele Menschen die Medien nur noch konsumieren. Wenn die Entwicklung sich so fortsetzt, wird die Gesellschaft im Jahr 2010 zu etwa einem Drittel aus »information rich« bestehen: das sind die Menschen, die Zugang zu strukturierter Information haben und für die Informations-Manager, Journalisten, Sekräterinnen arbeiten, um ihnen die Informationen aufzubereiten. Diese »information rich« werden sich an der Politik beteiligen, die gesellschaftlichen Leitlinien vorgeben und neue Konsumwünsche und Lebensträume konstruieren. Die übrigen zwei Drittel der Gesellschaft werden das Lesen verlernt haben, an Politik nicht mehr teilnehmen und nur noch konsumieren. Diese »information poor« werden in virtuellen Welten die Lebensträume und Konsumwünsche ausleben, welche die »information rich« für sie ersonnen haben – vorausgesetzt natürlich, es ist genügend auf dem virtuellen Bankkonto.

Was würden Sie Initiativen empfehlen, die noch keinen Zugang zu den Datennetzen haben?
Wir vermitteln den Kontakt zu einer Gruppe vor Ort. Wir sind dezentral organisiert, unsere Gruppen machen eigene Veranstaltungen zu unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten. Interessierte sollten sich bei einer solchen Veranstaltung vor Ort informieren, sich einfach mal die Bürgernetze von unten ansehen und sich überlegen, in welcher Form sie sich einbringen können.

Kommunikation und Neue Medien e.V., Peter Lokk/Gabriele Hoffacker, Postfach 19 05 20, D-80605 München, Telefon (0 89) 1 67 51 06, Telefax (0 89) 13 14 06, E-Mail: CL-Service(at)link-m.muc.de, Telefon der Mailbox LINK-M (0 89) 1 68 96 80.

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