mitarbeiten (3/1996)

Ressource Bürgerbeteiligung besser nutzen

Wie können Bürgerinnen und Bürger besser an kommunalpolitischen Entscheidungen beteiligt werden? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Fachtagung der Stiftung MITARBEIT in der Evangelischen Akademie Loccum. Fazit: Bürgerbeteiligung ist eine Ressource, deren Potential oft bei weitem nicht ausgeschöpft wird.

Im Plenum und in Arbeitsgruppen widmeten sich die rund neunzig Teilnehmenden aus Kommunalpolitik und -verwaltung, Bürgerinitiativen sowie Wissenschaft und Fachinstituten neuen Formen der Interessenwahrnehmung und -vermittlung, der Mobilisierung bürgerschaftlicher Kreativität und Kompetenz sowie der Aktivierung von Bürgerinnen und Bürgern bei der Wohnumfeldverbesserung.

Als einen Ansatz zum Ausgleich widerstreitender Interessen stellte Dr. Walter Spielmann (Robert-Jungk -Bibliothek für Zukunftsfragen) das Salzburger Verkehrsforum vor. Professor Dr. Klaus Selle zeigte am Beispiel der Arbeit des Bürgerbüros Hannover, wie Bürgerinnen und Bürger bei der Wahrnehmung ihrer Interessen aktiv unterstützt werden können. Ergänzt wurde er dabei von Michael Tertilt, der über die Praxis der Anwaltsplanung in der Hannoverschen Nordstadt berichtete. Laurenz Hermann vom Forum Vauban e.V. schließlich informierte über Bürgermitwirkung bei der Planung eines sozial-ökologischen Modellstadtteils auf dem Gelände der ehemaligen Vauban-Kaserne in Freiburg i.Br. Das Projekt wurde unlängst auch auf der Habitat II als eines der deutschen Modellprojekte präsentiert.
Wie bürgerschaftliche Kreativität und Kompetenz mit der Methode Zukunftswerkstatt entwickelt werden können, machten Michael Laube vom Netzwerk Klimaschutz Niedersachsen und Hans-Martin Slopianka, Kreisverwaltung Nordfriesland, deutlich.

Zu kommunalem Klimaschutz und nachhaltiger Entwicklung fanden in Niedersachsen schon 16 solcher Zukunftswerkstätten statt. Heidi Sinning vom Büro für Orts- und Regionalentwicklung Hannover lenkte mit ihrem Beitrag über das Bürgergutachten ÜSTRA zum öffentlichen Personennahverkehr in Hannover (vgl. mitarbeiten 1/96) viel Aufmerksamkeit auf das von Prof. Peter Dienel in Wuppertal entwickelte Modell Planungszelle. Die schwedische Architektin Gunlaug Östbye stellte mit der Charrette-Methode einen bei uns bisher weniger bekannten Ansatz vor, bei dem sich Architektinnen und Architekten in den Dienst der Bürgerbeteiligung stellen und Ideen und Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger unmittelbar in Rohentwürfe umsetzen.

Einen weiteren Blick über die Landesgrenzen ermöglichte Rüdiger Rahs aus Duisburg mit einem Bericht über Formen der Bewohnerbeteiligung in Großbritannien. Praktische Beispiele für integrierte Beteiligungsansätze im Stadtteil, die gerade auch artikulationsschwächere Bevölkerungsgruppen einbeziehen und von ihnen in verschiedenen Ruhrgebietsstädten angewandt wurden, stellten Ariane Bischoff und Franz-Josef Ingenmey vom Büro BASTA aus Dortmund vor. Wie wichtig die Förderung von Selbsthilfepotentialen und Eigenengagement ist, unterstrich Helga Bluhm vom Verein BÜRGERaktive aus Bad Vilbel. Der Verein betreibt dazu seit acht Jahren ein eigenes Bürgerbüro.

Dr. Heinrich Richard, Erster Stadtrat aus Limburg an der Lahn, warb für mehr Kooperation und Vertrauen zwischen Kommunalverwaltung und engagierten Bürgerinnen und Bürgern. Nur so seien zukunftsfähige, sozial und ökologisch verträgliche sowie wirtschaftliche Verhältnisse zu schaffen.

Bei aller Unterschiedlichkeit der vorgestellten Ansätze – in einer Speakers Corner wurden noch weitere Modelle, wie u.a. planning for real und Open Space vorgestellt – waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einig, daß in der Bürgerbeteiligung weit mehr Möglichkeiten liegen, als bisher realisiert werden. Gewünscht wurden eine stärkere Vernetzung und ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch. Mehrere Teilnehmende wollen deshalb schon in den nächsten Wochen ein Grobkonzept für eine neue Bundesarbeitsgemeinschaft Bürgerbeteiligung entwickeln. Denn, so der allgemeine Tenor, »Bürgerbeteiligung braucht eine stärkere Lobby!«

Eine Kurz-Dokumentation der Tagung wird Ende 1996 vorliegen und kann gegen eine Gebühr von DM 5,– bei der Bundesgeschäftsstelle angefordert werden.

Weitere Themen

  • <LINK 178>Rechtlicher Schutz gegen Diskriminierung</LINK>
  • <LINK 179>Ost-West-Europäisches FrauenNetzwerk</LINK>