mitarbeiten (4/1997)

Von der Bürgerbeteiligung zum Community Organizing?

Das Interesse an neuen Wegen der Bürgerbeteiligung erlebt derzeit einen regelrechten Boom. Als die Stiftung MITARBEIT in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Loccum jetzt zum zweiten Mal binnen einen Jahres zu einer Fachtagung über Modelle der kommunalen Bürgerbeteiligung einlud, konnten bei weitem nicht alle Anmeldungen berücksichtigt werden. Tatsächlich sind in den letzten Jahren vielerorts eine Reihe von spannenden Ansätzen erprobt worden. In Loccum wurden einige davon vorgestellt.

Je nach Akzentuierung zielen die Ansätze schwerpunktmäßig auf den Ausgleich divergierender Interessen (z.B. Mediation und Runder Tisch), die bessere Vertretung bisher unzureichend beteiligter Interessen (z.B. Anwaltsplanung), die Entwicklung von Kreativität und Kompetenz (z.B. Planungszelle und Zukunftswerkstätten), die Aktivierung im Stadtteil (z.B. Planning for real, Bürgerbüro) oder die Mitwirkung besonderer Zielgruppen (z.B. Planungsworkshops mit Frauen).

Von Interesse sind aber gerade auch ausländische Erfahrungen. Besondere Aufmerksamkeit zog diesmal das amerikanische Modell des Community Organizing auf sich. Die Veranstalter hatten Leo Penta eingeladen, der selbst fast zwei Jahrzehnte lang als Community Organizer in New York und Philadelphia tätig war und und zur Zeit eine Gastprofessur an der Katholischen Fachhochschule Berlin innehat. Penta arbeitet zusammen mit dem Forum für Community Organizing (FOCO), einem bundesweiten Zusammenschluß von in Gemeinwesenarbeit und Bürgerbewegungen engagierten Personen, am Aufbau einer ersten modellhaften Bürgerorganisation nach amerikanischem Vorbild in Deutschland.

Community Organizing zielt auf langfristige und kontinuierliche Veränderung in Städten oder Stadtteilen und baut als Basis dafür eine starke und tragfähige Organisation auf. Dazu wird zunächst ein Gründerkreis (Sponsoring Comitee) mit Schlüsselpersonen aus bis zu 50 wichtigen mediären Organisationen gebildet.
Erst wenn die personellen und materiellen Ressourcen sichergestellt sind – zur Wahrung der Unabhängigkeit wird die Annahme staatlicher Mittel abgelehnt – beginnt der Prozeß der Themenfindung. Grundlage bilden Tausende von Einzelgesprächen zur Identifikation relevanter Themen und Gewinnung weiterer Mitstreiter/innen.

Ziel ist es, Bürger/innen aus Unmündigkeit und Abhängigkeiten aller Art zu befreien und sie zu befähigen, ihre Interessen selbst in die Hand zu nehmen. »Tue niemals für andere, was sie für sich selbst tun können«, lautet dabei die oberste Grundregel.

Pentas Ausführungen lösten in Loccum ein sehr lebhaftes Echo aus. Viel Zustimmung erhielten das Prinzip der Selbstorganisation und die Breite des gewählten Ansatzes. Eher auf Skepsis und Rückfragen stießen dagegen die Rolle der sogenannten Schlüsselpersonen, die Frage der sozialen Reichweite und Dauerhaftigkeit der Aktivierung und vor allem die unmitelbare Übertragbarkeit auf bundesdeutsche Verhältnisse.  Verläßliche Antworten werden erst einige geplante Modellprojekte geben können.

Die Loccumer Tagung machte einmal mehr den starken Wunsch nach regelmäßigem Informationsaustausch und Vernetzung im Bereich der Bürgerbeteiligung deutlich. In der nächsten Zeit werden sich verschiedene regionale Arbeitsgemeinschaften bilden. Die Stiftung MITARBEIT wird zweimal jährlich einen Infobrief über neue Projekte und Entwicklungen zusammenstellen. Und fest steht auch, daß es im nächsten Jahr in Loccum wieder eine bundesweite Tagung zur kommunalen Bürgerbeteiligung geben wird. Voraussichtlicher Termin ist der  9. bis 11. Oktober 1998.

Zum Community Organizing ist im Verlag der Stiftung MITARBEIT der Band »Forward to the roots ... Community Organizing in den USA – eine Perspektive für Deutschland?« erschienen. Beispielhafte Modelle der kommunalen Bürgerbeteiligung wird der Reader »Kommunale Bürgerbeteiligung und Demokratie vor Ort« darstellen, der im Februar bei der Stiftung MITARBEIT erscheinen wird.

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