mitarbeiten (3/1998)

Kinder reden mit

Vielfältige Formen der Beteiligung Minderjähriger werden auf kommunaler, auf Landes- und Bundesebene erprobt, immer lauter werden die Forderungen, die Interessen der Kinder und Jugendlichen stärker zu berücksichtigen. Im Spektrum von Wohnumfeldplanung, Spielplatzgestaltung und genereller Politikplanung soll Kindern mehr Einfluß- und Entscheidungsmöglichkeiten eingeräumt werden. Gefordert werden die Umsetzung und der Schutz ihrer Rechte. Im Rahmen der Tagung der Stiftung MITARBEIT Kinder reden mit wurden Formen und Möglichkeiten der Kinderbeteiligung vorgestellt und Erfahrungen aus der Praxis diskutiert.

Seit Jahren setzen sich Einrichtungen wie das Deutsche Kinderhilfswerk (DKHW), der Deutsche Kinderschutzbund, die Kinderkommission des Deutschen Bundestages und die National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland für die Rechte und den Schutz von Kindern ein. Städte führen Kinderfreundlichkeitsprüfungen durch, landesweite Aktionen wurden initiiert wie beispielsweise Schleswig-Holstein – Land für Kinder. Daneben steht der Einsatz unzähliger Initiativen und Projekte für die Rechte der Kinder. Beispiele sind der Verein ProKids in Herten oder die Initiaitve gegen die Verletzung Ökologischer Kinderrechte in Berlin.

Daß die Anregungen und Ideen der nachwachsenden Generation zunehmend wahrgenommen und als berechtigte Mitsprache bei politischen Entscheidungen berücksichtigt werden, hängt wesentlich damit zusammen, daß Kinder heute – im Vergleich zu ihrer Elterngeneration – mit grundsätzlich veränderten ökologischen, ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen konfrontiert sind. Als Beispiele für den Wandel der Kindheit führte Götz Lehmann (DKHW, Berlin) an, daß Kinder vor 25 Jahren noch mehrheitlich in einem »traditionellen« Familieverbund aufwuchsen. Inzwischen hat nicht nur die Zahl der Alleinerziehenden drastisch zugenommen, auch neue Formen des Zusammenlebens haben sich entwickelt. Die Hälfte der Kinder wachsen als Einzelkinder auf, mehr als drei Millionen Kinder leiden unter allergischen und umweltbedingten Krankheiten. In den Familien der rund vier Millionen Arbeitslosen leben mehr als 1,7 Millionen Kinder, in Deutschland gibt es erstmals mehr Rentner als Kinder unter 14 Jahren.

In der Debatte um die Anforderungen an eine »Aktive Gesellschaft« (Etzioni) mit ausgeprägten Beteiligungsstrukturen wird zunehmend die (willkürlich) gesetzten Altersgrenze zur Volljährigkeit in Frage gestellt. Eine Heranführung von Kindern und Jugendlichen an das politische System gilt als ein wichtiger Schritt, die Politik(er)verdrossenheit zu überwinden und das gesellschaftliche Engagement zu stärken.

Dafür ist es notwendig ist, daß Kinder und Jugendliche schon früh erfahren, daß gesellschaftliches Engagement Früchte trägt. Frühzeitige Mitsprachemöglichkeiten bereiten den Boden für die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung. Werden Kinder in ihren Bedürfnissen ernst genommen, kann die Gesellschaft erwarten, daß diese Kinder als Erwachsene Verständnis für die Bedürfnisse anderer Menschen aufbringen.

Die Verfahren der Kinderbeteiligung und Umsetzung der Kinderpolitik lassen sich folgendermaßen unterscheiden: Kinderbeauftragte und Kinderanwälte – wie beispielsweise der Kinderbeauftagte der Stadt Eisenach oder die Kinderanwältin Till Eulenspiegel aus Düsseldorf – repräsentieren eher die Politik für Kinder. Politik mit Kindern findet sich im Bereich der Spielplatzplanung oder Wohnumfeldgestaltung. Eine Politik von Kindern repräsentieren Einrichtungen wie Jugendrat oder Kinder- und Jugendgemeinderat. Eine solche Politik wird vielleicht am deutlichsten in der Klage des Berliner Vereins der KinderRÄchtsZÄnker K.R.Ä.T.Z.Ä., der für die völlige Aufhebung der Wahlaltersgrenze streitet.

Unterscheiden läßt sich auch die Form der Partizipation: eine offene Form der Mitwirkungsmöglichkeit bietet ein Kinder- und Jugendforum, wie es beispielsweise in Bonn etabliert ist. Es bleibt Interessierten überlassen, ob sie sich engagieren oder nicht. An dem »Erwachsenenvorbild der repräsentativen Demokratie« orientieren sich dagegen eher die parlamentarischen Formen der Kinderbeteiligung wie das Jugendparlament Sankt Augustin. Eine Wahl oder Abordnung ist der Mitwirkung vorgeschaltet. Projektgebundene Beteiligungsaktionen sind thematisch und zeitlich begrenzt. Beispiel sind die Kinderwerkstatt Dessau oder die Kinder-haben-Rechte-Kampagne. Darüber hinaus werden verschiedene Verfahren der medialen Partizipation umgesetzt. So werden – beispielsweise bei der Kinderversammlung des Saarländischen Rundfunks – Kinder in Sendungen einbezogen, die auf die Vermittlung von Kinderinteressen zielen.

Die Kommunen verfolgen zum Teil gleichzeitig mehrere Wege zur Beteiligung der Minderjährigen. So gibt es Kinderbeauftragte in der Verwaltung, die bei politischen Entscheidungen Anhörungs- oder Stimmrecht haben. Parallel dazu werden Kinder- und Jugendforen durchgeführt, die einen Artikulationsraum zu einer vorher festgelegten Thematik bieten. Kinder, Verwaltung und Politik kommen ins Gespräch. Im konkreten Vorhaben der Spielplatzgestaltung werden dann – wie beispielsweise bei der Spielplatzplanung in Saarbrücken – die minderjährigen und erwachsenen Anwohner/innen zu einem Beteiligungsprojekt eingeladen, um Ideen für Spielflächen und -geräte zu entwickeln.

Die Diskussion während der Tagung ergab, daß Verfahren der Kinderbeteiligung oft mit fehlender Akzeptanz in der Verwaltung zu kämpfen haben oder an Interessenkonflikten zwischen Kindern und Erwachsenen scheitern. Einigkeit bestand auch darüber, daß sich Kinderpolitik daran messen lassen muß, daß die Mitwirkung der Kinder freiwillig erfolgt, die Formen der Kommunikation kindgerecht sind und die Beteiligung auf Erwachsenenseite ernst genommen wird. Zudem muß eine sinnvolle Kinderbeteiligungspolitik auch mit finanziellen Mitteln ausgestattet sein.

In einer Publikation der Stiftung MITARBEIT zur Kinderbeteiligung und Kinderpolitik werden Grundlagen und gesellschaftlicher Kontext der Kinder- und Jugendpartizipation vorgestellt und einige exemplarische Verfahren beschrieben. Die Broschüre wird im Sommer 1999 erscheinen.

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