mitarbeiten (3/2000)

Kein Interesse an politischen Ritualen – Jugendliche suchen neue Formen

Wer die Einstellungen und Verhaltensmuster Jugendlicher analysiert, stößt auf wichtige Hinweise über gesellschaftliche Zukunftstrends. Davon ist der amerikanische Zukunftsforscher Frank Feather (»Think global – act local!«) überzeugt. Wendet man diesen Ansatz auf die Vorhersage zukünftiger Politikformen an, so dürften erhebliche Veränderungen bei den Formen politischer Beteiligung bevorstehen.

Man kann den Eindruck gewinnen, als sei Politik die Gegensphäre und das Gegenbild zu dem, was sich Jugendliche für sich selbst und für ihr unmittelbares Umfeld wünschen« war schon in der 1997er ShellStudie zu lesen. Und in der neuen Ausgabe wird noch einmal nachgelegt: die meisten Jugendlichen sind desinteressiert an einem »Ritual von Politik, das von ihnen als wenig relevant und ohne Bezug zum eigenen Leben empfunden wird«.

Dies bedeutet aber keineswegs ein grundsätzliches Desinteresse an Politik. Vielmehr suchen sich Jugendliche eigene Räume der politischen Teilhabe. Die politische Motivation setzt an der eigenen Lebenswelt an. Ein Beispiel sind selbstorganisierte oder verbandsnahe Jugendinitiativen, die Themen wie Arbeit und Arbeitslosigkeit, das lokale Kultur- und Infrastrukturangebot aufgreifen und spezifische Jugendinteressen vertreten.

Die Erfahrungen der Stiftung MITARBEIT bei der Betreuung von Jugendinitiativen im Rahmen des Programms Jugend für Europa bestätigen, dass sich in den letzten Jahren verstärkt Trends der Jugendkultur wie Graffiti oder Hip Hop verbinden mit gesellschaftspolitischen Themen wie Völkerverständigung, Emanzipation und Antirassismus. In diesen Projekten wird thematische Arbeit mit Aktivitäten verknüpft, die Spaß machen. Das Internet spielt überall eine wichtige Rolle und erleichtert überörtliche Vernetzung.

In solchen Initiativen ist allerdings nur ein geringer Anteil aller Jugendlichen aktiv. Die Erfahrung zeigt aber, dass oft kleine Anstöße, Strukturierungshilfen oder Foren zur Ideenformulierung reichen, um Eigeninitiative auch bei bisher weniger aktiven Gruppen zu wecken.

Zusammen mit dem Kulturpark Deutzen in Sachsen führte die Stiftung MITARBEIT beispielsweise im Mai eine zweitägige Visionswerkstatt mit 15 arbeitslosen und von Arbeitslosigkeit bedrohten Jugendlichen durch. Eines der Ergebnisse war eine Jobzeitung, mit der die neu gegründete Initiative Informationen für Jugendliche zum Thema Job zusammentragen und Kontakte zu Firmen aufbauen will. Die Zeitung wurde auch ins Internet gestellt. Willkommener Nebeneffekt: Die Jugendinitiative qualifiziert sich über ihre Arbeit und verbessert auf diesem Weg ihre Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt.

Handlungsorientierte Ansätze entsprechen dem Bedürfnis Jugendlicher nach kreativer Problemlösung eher als langatmige Versammlungstristesse. Zugleich entsteht Gelegenheit zur Übernahme von Verantwortung und Entwicklung von Selbstbewusstsein. Im baden-württembergischen Nürtingen etwa gehören Zukunftswerkstätten mit Jugendlichen fast schon zum Alltag der Jugendhilfeplanung. Das gemeinsam mit der Stiftung MITARBEIT entwickelte stadtteilorientierte Konzept sieht vor, dass Jugendliche gemeinsam mit Erwachsenen planen, möglichst direkt mit der Umsetzung der erarbeiteten Vorschläge begonnen wird und die Jugendlichen aktiv bei der Umsetzung beteiligt werden.

Es zeigt sich, dass nur wer Jugendliche ernst nimmt, ernsthaft mit ihrem Engagement rechnen kann. Eine 24-Länder-Studie für den Schulbereich hat ergeben, dass auch international mehr von der Förderung politischer Bildung Jugendlicher geredet, als praktisch dafür getan wird. Die schulische Vermittlung braucht Unterstützung durch offene Beteiligungsangebote. Politisches Lernen braucht politische Praxis.

Projekt- und themenspezifische Mitwirkungsmöglichkeiten, sichtbare Ergebnisse und ihre zeitnahe Umsetzung sind Erfolgsgründe für die politische Partizipation von Jugendlichen. Wichtig ist auch das Erlebnis, dass das eigene Engagement in der Gruppe wichtig ist. Politikformen der Zukunft werden sich daran messen lassen müssen, inwieweit sie diesen Anforderungen entsprechen.

Weitere Themen

  • <LINK 129>Gewaltfreie Konfliktlösung</LINK>
  • <LINK 130>Jugendliche führen Jugendliche</LINK>