mitarbeiten (1/2001)

Herausforderung für Bürger(innen)beteiligung – Soziale Ausgrenzung überwinden

Die Ambivalenzen könnten kaum größer sein. Auf der einen Seite wachsen die Partizipationsansprüche vieler Bürgerinnen und Bürger an die Politik. Die vorhandenen Beteiligungsmöglichkeiten sind dafür oft unzureichend. Dem stehen auf der anderen Seite gerade in Stadtteilen, in denen sich Problemlagen kumulieren, sozial ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen gegenüber, die für sich keinerlei Möglichkeiten sehen, Einfluß auf ihre Lebensbedingungen zu nehmen und sich apathisch oder sogar destruktiv verhalten. Können neue Modelle der Beteiligung Ausgrenzung überwinden helfen oder drohen sie, die Spaltung der Gesellschaft noch zu vertiefen? Dies war eine der zentralen Fragen bei der diesjährigen Tagung »Modelle der lokalen Bürger(innen)beteiligung«, wieder veranstaltet in Kooperation von Stiftung MITARBEIT und Evangelischer Akademie Loccum.

Für Maria Lüttringhaus vom Essener ISSAB-Institut ist die Sache klar: »Die Gleichbehandlung von Ungleichen verstärkt Ungleichheit – auch in der Frage der Partizipation.« Um die Partizipation benachteiligter Bevölkerungsgruppen zu fördern, bedürfe es zielgerichteter Maßnahmen und niederschwelliger Zugänge. »Es geht darum, die Themen des Alltags aufzugreifen und sie zum Ausgangspunkt von Beteiligungsprozessen zu machen.« Für diese stadtteilbezogene Arbeit sei neben Kontinuität wichtig, jeweils der Lebenswelt entsprechende aktivierende Versammlungs- und Einladungsformen zu »erfinden«. Praktische Beispiele hierfür entwickelte sie gemeinsam mit den Teilnehmenden in dem Workshop »Lebendige Bürger(innen)versammlung«.

Lüttringhaus konnte damit unmittelbar an Professor Jens Dangschat von der Technischen Universität Wien anknüpfen. Dangschat, renommierter Armuts- und Segregationsforscher, hatte zuvor in einem Einführungsreferat Probleme sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung in unseren Städten analysiert. »Die sozialen Klüfte in unseren Städten haben in den letzten beiden Jahrzehnten dramatisch zugenommen«, resümierte er. Auf eine fallweise »Bürgerbeteiligung von oben« setzt er keine Hoffnung. Empowerment bedeute, Menschen zu befähigen, ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen. Dies müsse von unten kommen.

In jedem Fall müssen sich neue Methoden der Bürger(innen)beteiligung daran messen lassen, ob es ihnen gelingt, nicht nur die ohnehin schon Aktiven zu erreichen, sondern gerade auch die Teilhabechancen ressourcenschwächerer Personen zu erhöhen.

Bemerkenswert waren auch diesmal in Loccum Spektrum und Vielfalt der vorgestellten methodischen Ansätze. Maria Streifinger und Ernst Weidl stellten das Weyarner Modell »Ein Dorf plant seine Schule«, Benno Trütken (forum b) und Hannah Kröner den »Planungszirkel Jugendengagement« in Fürstenau vor. In Methodenwerkstätten ging es um die Praxis des Quartiersmanagements (Hans-Georg Rennert und Brigitte Waschulewski, Kommunales Forum Wedding), Anwaltsplanung für Betroffene (Oliver Kuklinski, PlanKom, Hannover), Lokale Agenda-Arbeit (Silke Timm, Lokale Agenda 21 Dresden), aber auch um die Evaluation von Bürger(innen)beteiligung (Susanne Weber, Universität Marburg) und Direkte Demokratie in der Kommune (Andreas Paust, Mehr Demokratie e.V.). Den Abschluß bildete ein Panel zu Möglichkeiten elektronischer Demokratie mit Michael Macpherson (Democracy Forum Berlin) und Thomas Zittel (Universität Mannheim).

Eine ganz andere Form der Annäherung an die Thematik präsentierten Georg Pohl und Annette Ullrich vom Leipziger Netzwerk Südost. Unter dem Motto »Stadtentwicklung geht alle an« hat das Netzwerk Südost e.V. das Leipziger-Messespiel erfunden. Das Spiel ermöglicht, mit Knetmasse und Spielkarten Visionen für die Zukunft eines Stadtteils zu entwickeln – hier für die Alte Messe in Leipzig. Über mangelnde Beteiligung an diesem Spiel konnten sie sich zumindest während der Tagung nicht beklagen.

Die 2001er Tagung »Modelle der lokalen Bürger(innen)beteiligung« findet vom 7. bis 9. September wiederum in Loccum statt.

Nähere Informationen zum Leipziger-Messespiel sind erhältlich bei: Netzwerk Südost e.V., Stötteritzer Straße 43, D-04317 Leipzig; Telefon/-fax: (03 41) 9 90 23 09; E-Mail: nw-suedost@t-online. de. Zur Diskussion der sozialen Stadtentwicklung vgl. auch Monika Alisch/Jens Dangschat: Die Herausforderung der Solidarischen Stadt. Ursachen von Armut und Strategien für einen sozialen Ausgleich, Opladen 1998. Zur Diskussion aktivierender Ansätze im Stadtteil vgl. auch Rundbrief Bürgerbeteiligung Nr. 1/2000 (Schwerpunktthema »Soziale Stadt«). Die Stärkung stadtteilorientierter Ansätze hat auch das bundesweite Netzwerk Gemeinwesenarbeit und Soziale Stadtentwicklung zum Ziel, das von der LAG Soziale Brennpunkte Hessen e.V. und der Stiftung MITARBEIT koordiniert wird.

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