mitarbeiten (1/2003)

Bundestagung »Modelle der lokalen Bürger(innen)beteiligung« – Auf dem Weg zur Bürgerkommune?

Wenn die Stiftung MITARBEIT und die Evangelische Akademie Loccum zur jährlichen Tagung »Modelle der lokalen Bürger(innen)beteiligung« einladen, brauchen sie sich um den Zuspruch keine Sorgen zu machen. Auch bei der siebten Tagung war die Akademie bis auf den letzten Platz ausgebucht. Mehr als 150 Interessierte aus Bürgerinitiativen, Kommunalpolitik und -verwaltung, Planerinnen und Planer, Moderatorinnen und Moderatoren und andere politisch Interessierte nutzten das Forum zur Information und zum Erfahrungsaustausch über neue Wege und Ansätze, lokale Demokratie lebendiger zu gestalten.

Einer der Höhepunkte war das Referat »Auf dem Weg zur Bürgerkommune?« von Roland Roth, Professor an der Hochschule Magdeburg-Stendal. »Bürgerkommune« bedeute, so Roth, mehr als bürgerorientierte Kommunalpolitik. Es gehe darum, alle Akteure einzubeziehen, die auf das örtliche Zusammenleben Einfluss haben. Dazu gehören z.B. Unternehmen und Gewerkschaften, Lokalzeitungen, Selbsthilfegruppen, Vereine und andere Akteure des Dritten Sektors.

»Bürgerschaftliches Engagement gedeiht nicht in kleinen Séparées in einer ansonsten bürokratisierten und fremdbestimmten Welt. Engagierte Bürgerschaft wird sich umso nachhaltiger entwickeln können, wenn es gelingt, zentrale Lebensbereiche – von den Kindereinrichtungen, über die Schule, das Gesundheitswesen, das Arbeitsleben bis zu den Alteneinrichtungen – beteiligungsfreundlich zu gestalten.«

Nach wie vor sei die Kommune der zentrale Ort aktiver Bürgerschaft. Die Zukunft bürgerschaftlichen Engagements werde deshalb wesentlich davon abhängen, ob es gelingt, dafür günstige lokale Bedingungen zu schaffen. Notwendige Voraussetzung sei eine starke kommunale Selbstverwaltung, die ermöglicht, dass möglichst viele der politisch beeinflussten alltäglichen Lebensbedingungen kommunal gestaltet und verantwortet werden können.

Tatsächlich werde diese Fähigkeit seit langem strukturell reduziert: durch die finanzielle Lage der Kommunen, die Überregulierung durch Länder, Bund und EU, die zunehmende Komplexität und Politikverflechtung sowie wachsende Anforderungen an die Kommunen bei gleichzeitig schrumpfendem Handlungsrepertoire. Roth stellt dieser Entwicklung das Fernziel einer möglichst weit gehenden »Kommunalisierung der Politik« gegenüber. Alle aktuellen Reformschritte sollten an dieser Rückverlagerung von Entscheidungskompe­tenzen gemessen werden.

Trotz der angeführten Restriktionen kommunaler Politik sind nach Meinung von Roland Roth auch heute viele kleine Schritte in Richtung Bürgerkommune möglich. Ein Beispiel sind die zahlreichen Netzwerke wie z.B. CIVITAS, an denen sich bundesweit Gemeinden und Landkreise beteiligen. »Diese Initiativen dürfen zwar nicht mit einer breiten Reformbewegung verwechselt werden, aber sie können über »best practice« Anregungspotenzial für andere Kommunen bieten.«

Die kommunale Stärkung bürgerschaftlichen Engagements habe gegenwärtig vor allem dann eine Chance, wenn sie als gesamtstädtisches Projekt von zentralen Akteuren in der Kommunalpolitik (Bürgermeister, Ratsmehrheit, Dezernenten) zumindest mitgetragen werde. Gefordert seien ressortübergreifende Initiativen, die von der Agenda 21 bis zur Kultur, vom sozialen Ehrenamt bis zum Naturschutz reichen und zugleich ein möglichst breites Spektrum von Akteuren der lokalen Zivilgesellschaft (Vereine, Unternehmen, Protestinitiativen) zusammenbringen. Im Politikstil müsse eine solche Förderpolitik nicht autoritativ, sondern unterstützend, vernetzend und moderierend angelegt sein.

Ausdrücklich unterstrich Roth die Bedeutung direktdemokratischer Elemente bei diesem Prozess. Wie vielfältig die Ansätze und Möglichkeiten neuer Beteiligungsverfahren sind, machten während der Tagung die Methodenwerkstätten deutlich. Hier ging es diesmal schwerpunktmäßig um Bürger(innen)beteiligung via Internet, Soziokulturelle Ansätze in der Stadtteilarbeit, Quartiersentwicklung in sozialen Brennpunkten, Geschlechterdemokratische Beteiligung, Nachhaltige Stadtteilentwicklung und Interessenausgleich im ländlichen Raum.

Das Referat von Prof. Dr. Roland Roth kann in der Bundesgeschäftsstelle angefordert werden (info(at)mitarbeit.de). Das neue Methodenhandbuch »Praxis Bürgerbeteiligung« wird die Stiftung MITARBEIT zusammen mit Agenda-Transfer Mitte des Jahres herausgeben. Es wird die Arbeitshilfe »Wege zur Zukunftsfähigkeit« ersetzen, die zurzeit noch als kopiertes Exemplar sowie als CD-Rom bestellt werden kann.

Die diesjährige Tagung »Modelle der lokalen Bürger(innen)beteili­gung« findet vom 5.–7. September 2003 statt

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