mitarbeiten (3/2003)

40 Jahre Stiftung MITARBEIT – Mitverantwortung in der Demokratie

Im Juni 1963 fand im Gemeindehaus der Jüdischen Gemeinde zu Berlin die Gründungsveranstaltung der Stiftung MITARBEIT statt. Fast auf den Tag genau vierzig Jahre später feierte die Stiftung an historischer Stelle ihr 40-jähriges Jubiläum. Unter den zahlreichen Gästen konnte die Stiftungsratsvorsitzende Dr. Diemut Schnetz mit Altbundespräsident Walter Scheel auch einen der Gründungskuratoren begrüßen. Den Festvortrag über »Mitverantwortung in der Demokratie« hielt Marianne Birthler, Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR und Mitglied des Stiftungsrates der Stiftung MITARBEIT.

Marianne Birthler stellte in ihrer Rede die Erinnerung an den 17. Juni 1953, den 20. Juli 1944 und an die Rolle der Bürgerbewegungen 1989 an den Anfang. »Der Widerstand gegen Diktaturen, die Freiheitsbewegungen sind das Beste, was Geschichte zu bieten hat. Wir brauchen die Erinnerung an beides als Ressource für eine lebendige Demokratie.«

Demokratie sei die menschenfreundlichste Art, das Zusammenleben in einer Gesellschaft zu organisieren. Allein mit demokratisch verfassten Strukturen und Institutionen sei diese aber noch keineswegs gesichert. »Demokratie ist nur dann lebendig und stark, wenn sie von freien und verantwortlichen Menschen gestaltet wird. Die Zivilgesellschaft ist nicht ohne Demokratie, die Demokratie nicht ohne Zivilgesellschaft denkbar.«

Zur Würde des Menschen gehöre es, weder Empfänger von Befehlen noch abhängig von Wohltaten zu sein, sondern für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Leben in Freiheit und Würde bedeute, auf Wirklichkeit zu setzen statt auf Ideo­logien, auf Emanzipation statt auf Erlösung. »Die Verantwortung jedes Einzelnen ist keine Ersatzspielwiese für die Politik, nicht einmal in erster Linie Dienstleistung am Nächsten. Jeder, jede von uns ist es sich selbst schuldig, kein Spielball derer da oben zu sein.«

Birthler unterstrich die herausragende Bedeutung zivilgesellschaftlichen Engagements für Werteent­wicklung und politische Kultur. Die Politik müsse dieses Engagement fördern, Hindernisse von Engagement abbauen und positiv auf aktiven Bürgersinn hinwirken. Nach Meinung Birthlers ist es wichtig, die neuen Formen der Bürger(innen)beteiligung an Entscheidungen weiter zu entwickeln.

In der anschließenden Diskussion, die von den Vorstandsmitgliedern Ulrike Rietz und Klaus Steinke moderiert wurde, nahmen Gremienmitglieder und Vertreter(innen) verschiedener Initiativgruppen zur Frage der Mitverantwortung und zu notwendigen Reformbedarfen in unserer Demokratie Stellung. Walter Scheel kritisierte die »Konsenssucht« und den fehlenden Mut, notwendige Entscheidungen auch mit knapper Mehrheit zu fassen. »Demokratie lebt davon, dass sie nicht nur diskutiert, sondern dass sie entscheidet.«

Die thüringische Landtagspräsidentin Christine Lieberknecht und die Heidelberger Oberbürgermeisterin Beate Weber betonten den Wert der Bürgerbeteiligung an Entscheidungen. Lieberknecht sprach sich dafür aus, die zahllosen Vorschriften und Verwaltungsrichtlinien, die Engagement behindern, zu überprüfen. Weber legte einen besonderen Akzent auf die Mitwirkungsmöglichkeiten Schwächerer in der Gesellschaft. Ernsthaftigkeit der Beteiligung und die Erfahrung, durch die Mitwirkung tatsächlich etwas bewirken zu können, seien dafür elementare Voraussetzungen.

Rosi Wolf-Almanasreh, langjährige Leiterin des Amtes für multikulturelle Angelegenheiten in Frankfurt am Main, zielte mit ihrem Beitrag in ähnliche Richtung. Gerade Migran­t(inn)en seien eine Gruppe, die bei vielen traditionellen Beteiligungsverfahren zu wenig berücksichtigt würden. Neben bürokratischen Strukturen sieht sie ein zentrales Demokratieproblem in der Macht etablierter Verbände, die auf ihren Privilegien beharrten.

Über Beispiele praktizierter Mitverantwortung in der Demokratie berichteten Friedemann Horn (Brückeschlag Leipzig) und Doris Voll (Bürgerstiftung Zwischenraum). Brückenschlag Leipzig bewirtschaftet in ihrem Projekt »Bunte Gärten« gemeinsam mit Asylsuchenden und Migrant(inn)en ein Gärtnereigelände. Ziel ist es, die Isolation der Bürger(innen) unterschiedlicher Nationalitäten zu überwinden und zu einer demokratischen Kultur beizutragen, in der Vielfalt und Unterschiedlichkeit als Bereicherung wahrgenommen werden. Die Bürgerstiftung ZwischenRaum unterstützt das bürgerschaftliche Engagement im Jena-Saale-Holzland-Kreis trägt und mit ihrer Vernetzungsarbeit erfolgreich dazu bei, »Zwischenräume zwischen Stadt und Land, zwischen arbeitslos und erwerbstätig, zwischen behindert und nichtbehindert zu überbrücken«.

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