mitarbeiten (2/2005)

Was für ein Europa wollen wir?

Entwicklung der Demokratie in Europa

Schon 1993 lud die Stiftung MITARBEIT erstmals zu einem Fachgespräch »Wieviel Demokratie verträgt Europa? Wieviel Europa verträgt die Demokratie?« ein. Zwei Jahre später war sie Mitinitiatorin eines europäischen Netzwerks (InterCitizensConferences) von Bürgerbewegungen und Demokratieorganisationen. Viele Forderungen aus der bei seiner Gründung verabschiedeten Loccumer Erklärung, wie z.B. die Erweiterung der EU, sind längst realisiert. Das Demokratiedefizit der Europäischen Union ist aber geblieben, und die Kluft zwischen den Entscheidern und den Bürgerinnen und Bürgern eher noch größer geworden.

Zentrales Dilemma bleibt nach wie vor das Fehlen einer europäischen Öffentlichkeit. Das gilt gleichermaßen für die Medien wie für die Zivilgesellschaft. Nur wenige zivilgesellschaftliche Organisationen bilden sich speziell zum Thema »Europa« oder gar »Europäische Union«. Für die meisten Organisationen ist »Europa« nur ein Thema unter vielen. Inhaltlicher Arbeit an Themen gebührt Vorrang gegenüber abstrakter »Ebenen«arbeit. Für andere, die global arbeiten, ist Europa eine Zwischenebene und die Beschäftigung mit der EU eher künstlich.

Die bestehende EU-Struktur begünstigt gut organisierte Lobbyisten. Es besteht die Gefahr, dass nur die organisationsstarken Verbände übrig bleiben, die über eine professionelle Struktur und eine Vertretung am Sitz der EU-Kommission verfügen. Um so wichtiger sind neue und offenere Verfahren der Bürger(innen)beteiligung auf europäischer Ebene.
Der vorliegende Entwurf einer Europäischen Verfassung enthält auch aus der Sicht vieler  Kritiker wichtige Fortschritte auf dem Weg zu einem demokratischeren Europa. Zu nennen sind z.B. die verbindliche Grundrechte-Charta, die Unionsbürgerschaft (kommunales und EP-Wahlrecht, Petitionsrecht), die Stärkung des Europäischen Parlaments und die generelle Informationsfreiheit für alle Behördenvorgänge. Die EU-Institutionen sollen einen regelmäßigen und offenen Dialog mit der Zivilgesellschaft führen.

Zudem gelang es der Bewegung für Direkte Demokratie, die Europäische Volksinitiative im Verfassungsentwurf zu verankern. Eine Million EU-Bürgerinnen und Bürger aus einer noch zu definierenden »signifikanten Zahl von Mitgliedsstaaten« kann per Initiative die Europäische Kommission auffordern, Gesetzesvorschläge zu einem bestimmten Thema zu unterbreiten.

Den Fortschritten stehen aber auch erhebliche Defizite gegenüber. Die Bürgerinitiative Mehr Demokratie e.V. hat ein Positionspapier unter dem Titel »Kritik der Europäischen Union aus demokratiepolitischer Perspektive« vorgelegt, in dem einige Mängel aufgelistet und dargelegt  werden: die Bürger/innen können keine Referenden und Volksentscheide initiieren, es gibt kein Initiativrecht des EU-Parlaments und die EU ist stark exekutivlastig. Zudem findet die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in einem »demokratiefreie Raum« statt.

Neben diesen kritischen inhaltlichen Einwänden stellt sich das Problem, dass eine Verfassung allein keine europäische Identität schaffen kann. Dies gilt um so mehr, als die europäische Verfassung in 15 der 25 Mitgliedsländer nicht vom Volk bestätigt, sondern nur vom Parlament ratifiziert werden soll. Die Europäische Integration muss deshalb besser in den Bevölkerungen verankert werden, damit die EU kein Top-Down-Thema bleibt. Notwendig sind Visionen von dem Europa, das wir wollen. Die Zahl der Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union zu erhöhen, ist als Zielsetzung zu wenig. Zudem muss geklärt und deutlich werden, welche Aufgaben und Gegenwartsfragen am besten auf europäischer Ebene anzugehen sind. Im Ergebnis wird die Europäische Integration an ihrer Wirksamkeit und nicht an ihren Idealen gemessen.

Schließlich muss Europa erlebbar und erfahrbar werden. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen, Kommunen und Regionen leisten durch den alltäglichen Austausch und die Zusammenarbeit mit ihren Partnern bereits heute einen großen Beitrag. Es gilt, dieses Bildungsvermögen zu nutzen und neue Wege zu einem Europa der Bürgerinnen und Bürger zu entwickeln.

Nähere Informationen zum Projekt »Europäisches Bildungsvermögen durch Bürgerinitiativen und Erwachsenenbildung« unter http://www.europahausburgenland.net. Die Teilnehmer/innen der Studienzirkel kommen vom 19. bis 22. Mai in Eisenstadt zusammen.
Das Positionspapier »Kritik der Europäischen Union aus demokratiepolitischer Perspektive« (Michael Efler & Percy Rohde) von Mehr Demokratie e.V. kann unter
www.mehr-demokratie.de angefordert werden.