mitarbeiten (1/2008)

»Diese Jugendlichen können Verantwortung mittragen«

Mustafa Bayram ist für seine Kölner Initiative Coach e.V. mit dem Freiherr-vom-Stein-Preis für gesellschaftliche Innovation 2007 ausgezeichnet worden.  »Coach« ist eine Bildungs- und Beratungsstelle für Jugendliche mit Migrationshintergrund und deren Eltern. Der Freiherr-vom-Stein-Preis wurde von der Alfred Toepfer Stiftung  zum ersten Mal gemeinsam mit der Stiftung MITARBEIT und der Humboldt Universität Berlin verliehen. Im Gespräch erläutert Mustafa Bayram, wie Jugendliche politisch, sozial und persönlich handlungsfähig werden und ihre Kompetenzen zu einer stärkeren gesellschaftlichen Teilhabe entwickeln können.

Herr Bayram, mit »Coach e.V.« in Köln haben Sie sich einen »Lebenstraum« erfüllt. Was ist das Besondere bei »Coach e.V.«?
Wir holen die Jugendlichen da ab, wo sie sind, jeder Jugendliche wird von uns individuell begleitet. Die Jugendlichen erfahren hier Respekt, wir akzeptieren sie, egal wer sie sind und was sie tun. Sie können so lange mit uns arbeiten, wie sie uns brauchen. Sie werden so lange von uns begleitet, wie es nötig ist. Das ist unser Vorteil, das ist unser Konzept.

Wie kommen die Jugendlichen zu Ihnen?
Wir sind seit 1991 in Köln-Ehrenfeld und seit 2 Jahren als Coach e.V. hier tätig. Die Schüler erreichen uns häufig durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Darüber hinaus empfehlen uns Lehrer, Experten, Therapeuten und Ärzte den Schülern.

Arbeiten Sie nur mit türkeistämmigen Jugendlichen?
Ungefähr 70% der Jugendlichen haben einen türkischen Migrations­hintergrund. Die restlichen 30 % sind polnischer, italienischer, afghanischer, marokkanischer, algerischer und deutscher Herkunft.

Wie verläuft die Zusammenarbeit mit den Eltern und wie gewinnen Sie deren Unterstützung?
Für den Erfolg unserer Arbeit ist es sehr wichtig, dass wir die Eltern dafür gewinnen, mit uns zusammenarbeiten zu wollen. Sobald ein Schüler mit uns arbeiten will, laden wir die Eltern dazu und erklären ihnen, welche Ziele wir mit ihren Kindern verfolgen und was wir erreichen möchten. Wenn die Eltern das verstanden haben, machen wir ihnen klar, dass die Arbeit nur Erfolg haben kann, wenn sie mitarbeiten. Die Eltern sind dann ständig mit uns in Kontakt. Sowohl für die Schüler als auch für die Eltern bieten wir Bildungsseminare zu verschiedenen Themen an.

»Fördern und fordern« ist eine griffige Formel in der Bildungsdebatte. Wie setzen Sie das in Ihrer Arbeit um?
Als ich vor Jahren mit dieser Arbeit begonnen habe, war es mein Ziel, eine Insel aufzubauen für diese Kinder und Jugendlichen. Einen Ort, an dem sie sich wohl fühlen und glücklich sein können. Das war mein Traum. Wir haben gesehen, dass diese Jugendlichen in unserer Gesellschaft Aufgaben übernehmen und Verantwortung mittragen können. Aber dafür brauchen sie Fähigkeiten. Wir orientieren uns an dem, was sie leisten können. Wir fangen mit kleinen Schritten an. Es geht darum, dass sie ihre Fähigkeiten mit uns gemeinsam verbessern und Neues erlernen können. Alle Bausteine und Module unserer Arbeit dienen dazu, dass sich die Jugendlichen ganzheitlich entwickeln.

Geht unser Bildungssystem ausreichend auf die Bedürfnisse von Schüler/innen mit Migrationshintergrund ein? Welche strukturellen Änderungen müssen beispielsweise in der Ausbildung von Lehrer/innen getroffen werden?
So wie das Bildungssystem im Moment ist, kann die Schule kann gar nicht auf die Bedürfnisse von benachteiligten Jugendlichen, egal welcher Nationalität, eingehen. Damit die Lehrer auf die Bedürfnisse eingehen können, ist es wichtig, dass die Lehrer in ihrer Ausbildung das Rüstzeug bekommen, um mit solchen Situationen umgehen zu können. Es geht darum, in der Lehrerausbildung interkulturelle Kompetenz zu vermitteln. Unser Projekt zeigt, dass dies möglich ist. Wir arbeiten fast ausschließlich mit deutschen Lehramtstudenten, die irgendwann ins deutsche Schulsystem übergehen werden. Und sie können sehr gut mit diesen Jugendlichen arbeiten und die Jugendlichen können sehr gut mit ihnen arbeiten. Nur müssen sie sich für diese Arbeit befähigen, indem sie sich damit beschäftigen, was das für Menschen sind, mit denen sie arbeiten, welchen kulturellen Hintergrund sie haben.

Als Dozent an der Kath. FHS NW in Köln setzen Sie sich mit der Thematik »Interkulturelle Erziehung für eine multikulturelle Gesellschaft« auseinander. Wie können Respekt, Toleranz und interkultureller Dialog gestärkt werden? Welche Anforderungen ergeben sich an die Zivilgesellschaft?
Die Schulen und alle Bereiche der Gesellschaft müssen sich öffnen. Die Migranten/innen müssen in allen gesellschaftlichen Bereichen mitarbeiten und mitgestalten können. Wir können voneinander sehr viel lernen. Es gilt, in interkulturellen Teams Konzepte gemeinsam zu erarbeiten. Und wenn wir diese Konzepte dann auch noch gemeinsam ausführen, können wir Erfolg haben. Wichtig ist, dass die erarbeiteten Angebote nachhaltig sind. Die Arbeit muss kontinuierlich weitergehen.
Wir werden die multikulturelle Gesellschaft gemeinsam erreichen, sofern wir das möchten. Das wird aber nicht einfach sein und eine Menge Arbeit erfordern. In diesem Land leben verschiedenen Nationalitäten, aber wir müssen gemeinsam die Probleme lösen, wir müssen uns gemeinsame Ziele setzen, um der jetzigen Situation gerecht werden zu können.

Hat die Auszeichnung durch den Freiherr-vom-Stein-Preis Einfluss auf ihre Arbeit gehabt?
Ja, mit Sicherheit. Es war das richtige Signal zum richtigen Zeitpunkt. Es war ein »Türöffner«. Wir haben jetzt die Möglichkeit, unsere Arbeit zu präsentieren und mittelfristig zu sichern. Wir werden nun ganz anders wahrgenommen. Und uns wird auf einmal eine ganz andere Form von Respekt entgegengebracht.