mitarbeiten (1/2011)

Kein Mensch ist illegal: Die Malteser Migranten Medizin

Die Malteser Migranten Medizin (MMM) ist mit dem Freiherr-vom-Stein-Preis für gesellschaftliche Innovation 2010 ausgezeichnet worden. In den Anlaufstellen der MMM engagieren sich ehrenamtlich arbeitende Ärztinnen und Ärzte für Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus und Menschen ohne Krankenversicherung. Sie übernehmen die medizinische Erstuntersuchung und Notfallversorgung. Der Freiherr-vom-Stein-Preis wird seit 2007 gemeinsam von der Hamburger Alfred Toepfer Stiftung F.V.S., der Stiftung MITARBEIT und der Humboldt Universität Berlin verliehen. Er ist mit 25.000 Euro dotiert.

Irreguläre Migrant/innen oder Menschen ohne rechtlichen Aufenthaltsstatus, undokumentierte oder unkontrollierte Migrant/innen, Statuslose, Sans-papiers oder Clandestinos: in Deutschland leben schätzungsweise bis zu eine Million Menschen in der Illegalität. »Illegale Migrant/innen« sind in der Regel ausländische Staatsangehörige, die weder über ein Aufenthaltsrecht in Deutschland noch über eine Duldung verfügen und denen im Falle der Entdeckung Abschiebung, Ausweisung oder strafrechtliche Ahndung drohen. Menschen ohne Papiere sind eine besonders verletzliche Gruppe, die aus Not oder um ihre Lebensgestaltung aktiv in die eigenen Hände zu nehmen, unerlaubt in andere Länder reisen, um dort zu arbeiten oder bei ihrer Familie zu leben. Viele flüchten auch vor Gefahren, die in Europa nicht als Asylgrund anerkannt werden.

Irreguläre Migrant/innen leben in Deutschland in einer Art »Schattenwelt«. Aus Angst vor Entdeckung schotten sie sich vom öffentlichen Leben ab. Der Zugang zu Ressourcen steht zwar im Prinzip auch Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus offen, die Mitteilungspflicht öffentlicher Stellen verhindert in der Praxis jedoch häufig, dass statuslose Migrant/innen Bildungsangebote, Rechtsschutz und medizinische Versorgung in Anspruch nehmen.

In Deutschland hat sich ein breites Netzwerk der zivilgesellschaftlichen Hilfe und Unterstützung für Menschen ohne Aufenthaltstitel ausgebildet. So gibt es eine Vielzahl von Hilfsorganisationen und Initiativen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die prekäre Lebenssituation irregulärer Migrant/innen zu verbessern. Hier setzt das Angebot der Malteser Migranten Medizin an: sie sorgt ganz praktisch und unbürokratisch für die medizinische Grundversorgung von statuslosen Migrantinnen und Migranten.

Die erste Einrichtung des Malteser-Ordens zur medizinischen Versorgung von Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus und Versicherungsschutz wurde 2001 in Berlin eröffnet. »Der Bedarf war enorm«, berichtet Angelika Haentjes-Börgers, zuständige Abteilungsleiterin Migration bei den Maltesern. Neben anderen Großstädten und Ballungsräumen wie München, Köln, Frankfurt am Main, Leipzig oder Hamburg haben sich mittlerweile im gesamten Bundesgebiet weitere Standorte und Anlaufstellen der MMM etabliert, die bislang von mehr als 27.000 Patient/innen aufgesucht wurden. Da viele Migrant/innen weder eine Praxis noch ein Krankenhaus aufsuchen wollen oder können, helfen die Malteser dort unter Wahrung der Anonymität. Vernetzungen und Kooperationen mit Kirchen, Verbänden und Vereinen ermöglichen weitere Hilfe.

Woher erfahren Menschen ohne Krankenversicherung von der Malteser Migranten Medizin? »Das Angebot zur anonymen kostenlosen Erstbehandlung hat sich in den Migranten-Communities schnell herumgesprochen«, so Haentjes-Börgers. Die Mund-zu-Mund Propaganda ist dabei die häufigste Form der Verbreitung. Die sprachliche Verständigung zwischen Ärzt/innen und Patient/innen ist bisher nur selten zum Problem geworden, auch wenn die Patient/innen mittlerweile aus 182 verschiedenen Ländern kommen.

In den ehrenamtlich arbeitenden medizinischen Teams sind Ärztinnen und Ärzte verschiedener Fachrichtungen engagiert, wobei es an engagementbereiten Mediziner/innen nicht zu mangeln scheint. Im Gegenteil: »Wir können momentan gar nicht alle Ärzte einsetzen, die an einer Mitarbeit interessiert sind«.

In der Rückschau hat sich in den vergangenen zehn Jahren nach den Worten von Haentjes-Börgers viel entwickelt. Die gesellschaftliche und politische Sensibilität für das Thema Statuslose ist gestiegen, davon ist sie überzeugt. Dennoch wünscht sie sich, dass die MMM irgendwann nicht mehr gebraucht wird. Um die Situation irregulärer Migrant/innen und insbesondere deren gesellschaftliche Teilhabechancen zu verbessern, bedarf es in Deutschland jedoch eines Umdenkens: Aufenthaltsgenehmigungen für Geduldete, eine anderen europäischen Ländern vergleichbare Legalisierungskampagne oder die Umsetzung von Härtefallregelungen sind mögliche Lösungsvorschläge.

Informationen zur Malteser Migranten Medizin und zum Freiherr-vom-Stein-Preis im Netz unter www.mitarbeit.de/aktuelle_projekte.html
Information zum Thema Flüchtlinge und Engagement: Freiwilliges Engagement für Flüchtlinge und von Flüchtlingen. Beiträge zur Demokratieentwicklung von unten Nr. 24, Verlag Stiftung MITARBEIT, Bonn 2010, ISBN 978-3-941143-05-0, 132 S., 10,– €, zu beziehen über den Buchhandel oder www.mitarbeit.de.