mitarbeiten (3/2011)

»Bürgerbeteiligung braucht gute Ideen und Akteure«

Joachim Scholz ist seit Oktober 2008 Oberbürgermeister der 27.000 Einwohner/innen zählenden Stadt Neckarsulm im Landkreis Heilbronn. Im Gespräch mit der Redaktion erläutert er sein Konzept, die lokale Demokratie in Neckarsulm durch Bürgerbeteiligung zu stärken.

Herr Scholz, Sie haben Bürgerbeteiligung in Ihrer Kommune zur Chefsache gemacht. Was erhoffen Sie sich von mehr Bürgerbeteiligung?
Scholz: Ich erhoffe mir, dass sich die Bürgerinnen und Bürger noch stärker mit ihrer Stadt identifizieren, wenn sie die Möglichkeit haben, ihre Themen in den Gemeinderat einzubringen und sich später auch an der Umsetzung ihrer Ideen beteiligen können. Das ist ein sehr spannender Prozess, weil die Leute dann konkret sehen können, was aus ihren Vorschlägen in der Praxis wird.

Können Sie ein Beispiel aus Ihrer Kommune nennen?
Scholz: Das Thema »Wohnen im Alter« ist beispielsweise ein Thema, das bei uns bisher noch nicht implementiert war und das wir jetzt gemeinsam mit engagierten Bürgerinnen und Bürgern angehen. Ich denke, es gibt viele Beispiele und Ideen, die die Menschen einbringen können, man muss sie nur lassen. Wenn die Menschen die Gewissheit haben, dass ihre Vorschläge willkommen sind, ist vieles möglich.

Wie wird so ein Projekt dann in Politik und Verwaltung umgesetzt?
Scholz: Grundsätzlich müssen Gemeinderat und Verwaltung bereit sein, sich für eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger zu öffnen. Wir versuchen dann, das Engagement der Bürger/ innen durch unsere Expertise und Fachabteilungen zu unterstützen. Wir haben projektbezogen feste Ansprechpersonen in der Verwaltung installiert, die den Kontakt zu den engagierten Bürger/innen und zu den Fachabteilungen halten und den Fortgang des Projektes begleiten. Wichtig ist, die Politik und den Gemeinderat von Anfang an einzubinden. Der Gemeinderat muss darauf vertrauen können, dass er durch Bürgerbeteiligung nicht infrage gestellt wird, er muss das Hauptorgan in der Stadt bleiben. Es geht für alle Seiten um eine Kooperation auf Augenhöhe. Bisher machen wir da sehr gute Erfahrungen. Und unsere politischen Akteure haben gelernt zu akzeptieren, dass es in der Kommune Meinungen und Ideen gibt, die man durchaus zulassen kann.

Kommunale Beteiligung ist immer auch abhängig von den rechtlichen Rahmenbedingungen.
Scholz: Stimmt. Die Verfassung in Baden-Württemberg schreibt Bürgerbeteiligung in den klassischen Bereichen vor, auch bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden gibt es nur einen relativ engen Bereich, in dem sich die Bürger/innen beteiligen können. Wir gehen da wirklich weiter. Die Menschen in Neckarsulm sollen Vorschläge einbringen. Und das, was umsetzbar ist und was politisch passt, wird gemacht. Wenn sie die Menschen wirklich teilhaben lassen wollen, braucht es nicht unbedingt Gesetze, es braucht gute Ideen und es braucht gute Akteure.

Was tun sie, um die Menschen ins Boot zu holen, die sich am politischen Prozess nicht beteiligen wollen oder können?
Scholz: Da kommt es darauf an, über welches Thema wir reden. Grundsätzlich gilt: sie müssen auf diese Menschen zugehen. Sicher beteiligen sich dann immer noch nicht alle, weil es einfach Menschen gibt, die sich aus unterschiedlichen Gründen nicht beteiligen wollen. Aber sie müssen denjenigen Angebote machen, die sich beteiligen wollen, es aber ohne Unterstützung nicht schaffen. Dazu ist es häufig nötig, sich mit der lokalen Zivilgesellschaft zu vernetzen und die Vereine und Initiativen vor Ort einzubeziehen, die oft bessere Zugänge zu diesen Menschen haben als Politik und Verwaltung.

Wie wichtig ist es, Bürgerbeteiligung nachhaltig in einer Kommune zu verankern?
Scholz: Selbstverständlich ist es immer schön, wenn Prozesse langfristig und nachhaltig angelegt sind und Kommunen Rahmenbedingungen für Engagement und Beteiligung schaffen. Aber Fakt ist auch: die Bürgerinnen und Bürger entscheiden selber mit darüber, wie nachhaltig Bürgerbeteiligung ist. Solange die Menschen sagen, ja, Bürgerbeteiligung ist in meiner Kommune sinnvoll und notwendig und deshalb machen wir mit, solange sollen diese Prozesse laufen. Bürgerbeteiligung muss auch eingefordert werden. Doch eigentlich mache ich mir da keine Sorgen: ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Ideen es in der Bürgerschaft gibt. Deshalb bin ich da ganz entspannt.

Ein Video-Ausschnitt des Interviews steht im Netz unter www.mitarbeit.de/1109.html.