mitarbeiten (1/2012)

Kultur für alle

Ob Kino, Konzert oder Kabarett: die Kulturloge Marburg e.V. ermöglicht Menschen mit geringem Einkommen den kostenlosen Besuch von Kulturveranstaltungen. Für diese beispielhafte Idee ist die hessische Initiative mit dem Freiherr-vom-Stein- Preis 2011 ausgezeichnet worden. Der Freiherr-vom-Stein-Preis wird seit 2007 gemeinsam von der Hamburger Alfred Toepfer Stiftung F.V.S., der Stiftung MITARBEIT und der Humboldt Universität Berlin verliehen. Er ist mit 25.000 Euro dotiert.

Wie lässt sich für Menschen mit geringem Einkommen kulturelle Teilhabe organisieren? Auf diese Frage hat die Kulturloge Marburg eine innovative Antwort gefunden. Das Konzept ist genauso einfach wie überzeugend: Nicht verkaufte Eintrittskarten werden kostenlos an bedürftige Menschen weitergegeben. Die Kulturloge Marburg arbeitet dafür mit fast fünfzig Kooperationspartnern zusammen, die Eintrittskarten zur Verfügung stellen. Mit der Idee und Ausarbeitung des Konzeptes fungiert der Marburger Verein als bundesweites Vorbild. Mittlerweile gibt es ähnliche Einrichtungen in Berlin, Hamburg, Gießen oder Essen, vielerorts sind sie in Planung. Mit dieser großen Resonanz hatte Hilde Rektorschek, Erste Vorsitzende des Vereins, nicht gerechnet, als sie das Projekt im Jahr 2010 mitgründete. Im Gespräch nennt sie beeindruckende Zahlen: Seit der Gründung hat der Verein bereits rund 3.000 Plätze bei Kulturveranstaltungen vermittelt, 1.100 Personen haben sich bisher als Kulturgäste bei der Kulturloge Marburg fest angemeldet. Besonderes Augenmerk legt die Initiative auf benachteiligte Kinder, die keinerlei Möglichkeit haben, selbst ihre Lebenssituation zu verändern. Das Angebot der Kulturloge macht es möglich, dass Familien gemeinsam kulturelle Veranstaltungen besuchen.

Dass die Arbeit der Kulturloge der Idee der Tafelbewegung ähnelt, ist dabei kein Zufall. Hilde Rektorscheck war vorher im Vorstand der Marburger Tafeln engagiert. Dort hat sie gelernt, dass Menschen, die die Angebote der Tafeln nutzen müssen, selbstverständlich »am Leben teilhaben möchten, aber auf eine würdevolle Art und Weise«. Als die Idee der Kulturloge entwickelt wurde, war für sie rasch klar, dass das Konzept nur dann nachhaltigen Erfolg haben könne und »ich nur dabei sein wollte, wenn die Gäste nicht von oben herab behandelt werden«. Für Hilde Rektorschek war es deshalb wichtig, mit dem Konzept niemanden bloßzustellen oder zu beschämen. Keine/r der Kulturgäste soll sich als Bittsteller/in fühlen. So wird soziale und kulturelle Teilhabe erreicht, ohne Menschen durch »Gutscheine« zu Objekten zu machen, ist Rektorscheck überzeugt. Wie funktioniert das Konzept in der Praxis? Die Kulturloge arbeitet eng mit den lokalen sozialen Initiativen und Beratungsstellen der knapp 81.000 Einwohner/innen zählenden Stadt Marburg zusammen. So gehört auch die Kultur- und Sozialdezernentin der Universitätsstadt zu den Unterstützer/innen des Vereins. Die Idee der Kulturloge basiert darauf, dass die Zielgruppen der Initiative – Alleinerziehende, Familien und Senior/innen mit kleinem Einkommen, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, chronisch Kranke – sich nicht selbst bei der Kulturloge anmelden müssen, sondern bei denjenigen Organisationen und Institutionen, mit denen sie ohnehin in Kontakt stehen. Bei diesen Kooperationspartnern können Kulturgäste ihre Anmeldeformulare für die Kulturloge abgeben; eine direkte Anmeldung bei der Kulturloge ist nicht möglich. Auf dem Anmeldeformular kreuzen die zukünftigen Kulturgäste an, für welche kulturellen Veranstaltungen sie sich interessieren. Die Sozialstationen leiten das Formular dann zur Registrierung an die ehrenamtlich engagierten Mitarbeiter/innen der Kulturloge weiter.

Die Konzentration auf den würdevollen, behutsamen und nachhaltigen Umgang überzeugt alle Beteiligten. Rektorscheck sagt: »Die Sozialstationen und die Kulturveranstalter erkennen eine Struktur hinter der Idee und sind von Anfang an vom Konzept begeistert. Es geht nicht um die willkürliche Vergabe von Freikarten, sondern es handelt sich um ein logisches System«. Die Mitarbeiter/innen der Kulturloge pflegen die erhaltenen Daten anschließend in eine Datenbank ein, mit deren Hilfe die passgenaue Karte für die Empfänger/in ausgewählt werden kann. DieKulturgäste sind in gewisser Weise »handverlesen«, so Rektorschek.

Die persönliche und zielgenaue Ansprache der Interessent/innen ist ein Markenzeichen der Kulturloge: »Eine individuelle Ansprache motiviert, wieder am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen«, erläutert Rektorschek das Vorgehen. Hat der potentielle Kulturgast Zeit und Lust, wird sein Name an den Veranstalter weitergegeben. Die Karten werden dann an der Abendkasse hinterlegt und dort abgeholt – niemand muss sich als Empfänger/in von sozialen Leistungen »outen«.

Der Slogan der Initiative »Plätze frei? Sei dabei!« ist vor diesem Hintergrund sowohl als Aufforderung für Veranstalter gedacht, ein Kartenkontingent zur Verfügung zu stellen, als auch für die Gäste der Kulturloge, die freien Plätze selbstbewusst zu besetzen. Und das ist ganz im Sinne der Initiatorin: »Nach einem Jahr Arbeit haben wir großes Vertrauen zu den Menschen gewonnen. Das macht mich sehr glücklich«, bilanziert Rektorscheck.

Mehr Informationen im Netz unter www.kulturloge-marburg.de