mitarbeiten (3/2012)

Die ungleiche Bürgergesellschaft

Dass soziale Herkunft, Einkommen und Bildung in Deutschland maßgeblich die Berufs- und Lebenschancen beeinflussen, ist ein offenes Geheimnis. Die
Erkenntnis, dass sozial Benachteiligte in allen Formen gesellschaftlicher Partizipation unterrepräsentiert sind, gilt auch für die Bürgergesellschaft und das politische Engagement. Politische Formen der Partizipation werden von diesen Bevölkerungsgruppen kaum genutzt. Klar ist deshalb: Bei der Debatte um eine Stärkung der Demokratie und den Ausbau der Bürgerbeteiligung muss die soziale Dimension stärker berücksichtigt werden.

Die Überzeugung, politisch etwas bewirken und verändern zu können, prägt das Engagement- und Partizipationsverhalten. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass Beteiligungsangebote häufig nur von solchen Akteursgruppen genutzt werden – beispielsweise von Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen – die von der Wirksamkeit ihres Engagements überzeugt sind. Für Sebastian Bödeker, Forscher am Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung, ist die Lage eindeutig: Soziale und wirtschaftliche Ausgrenzung führen nicht zu einer gesteigerten Bereitschaft zu Protest und politischem Engagement, sondern zu politischer Apathie. Die der politischen Gleichheit verpflichtete Demokratie braucht aber auch die Mitwirkung derjenigen Menschen, die sich aufgrund ihrer Lebenssituation, ihrer Bildung oder gesellschaftlichen Stellung nicht oder nur in geringem Maße artikulieren.

Doch wie lässt sich die Zunahme der sozialen Selektivität im Bereich der politischen Partizipation überwinden? Bödeker macht deutlich, dass es Wege aus dieser Schieflage gibt. Investitionen in Bildung, Sozialreformen oder institutionelle Veränderungen des politischen Systems seien demnach zwar gutund wichtig, wirkten aber eher langfristig. Um den Abbau von Partizipationsunterschieden und die aktive Einbeziehung sozial benachteiligterMenschen in die vorhandenen Partizipationsstrukturen zu erreichen, fordert Bödeker eine stärkere Sozialraumorientierung in der Beteiligungspraxis:»Wer das Engagement sozial Benachteiligter fördern will, muss die Anknüpfungspunkte hierfür im unmittelbaren Nahbereich der Menschen suchen.«

Zugleich fordert er dazu auf, die Lebenssituation sozial benachteiligter Menschen durch Empowerment-Prozesse zu verbessern. Die Interessen benachteiligter Bevölkerungsgruppen müssten durch lebensweltnahe Themen und durch die Auswahl geeigneter beteiligungsorientierter Verfahren methodisch besser erfasst und stärker in der Politik berücksichtigt werden. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen müssten in Zukunft besser auf die Bedürfnislagen sozial benachteiligter Gruppen eingehen.

Der Beitrag von Sebastian Bödeker als PDF online unter www.buergergesellschaft. de.