mitarbeiten (4/2012)

»Kommunen müssen Leitlinien für Bürgerbeteiligung entwickeln«

Einige Kommunen in Deutschland haben in partizipativen Prozessen ein Regelwerk erarbeitet, nach dem sie zukünftig Beteiligungsprozesse in ihrer Kommune organisieren wollen. Ziel ist es, eine verlässliche Grundlage für die zukünftige Zusammenarbeit von Bürgerinnen und Bürgern, Gemeinderäten und Verwaltung zu schaffen. Die Stadt Heidelberg hat solche Leitlinien für Bürgerbeteiligung auch in einer Satzung des Gemeinderates und in einer Verwaltungsvorschrift verankert. Der Soziologe und Verwaltungswissenschaftler Prof. Dr. Helmut Klages erläutert am Beispiel Heidelberg die ersten Ansätze einer Institutionalisierung der Bürgerbeteiligung in Deutschland.

Frage: Herr Professor Klages, Sie beschäftigen sich intensiv mit Bürgerbeteiligung und Bürgerbeteiligungsprozessen. Was zeichnet eine qualitätsvolle, realistische Bürgerbeteiligung aus?

Prof. Dr. Helmut Klages: Die Situation ist in gewisser Weise paradox: obwohl sich Bürgerinnen und Bürger zunehmend von der Zuschauerdemokratie verabschieden und sich an den sie betreffenden Angelegenheiten beteiligen wollen, stehen wir in der Praxis häufig vor dem Problem, dass kommunale Beteiligungsangebote von den Bürgerinnen und Bürgern eher skeptisch, misstrauisch und mit wenig Interesse aufgenommen werden.

Diesem Verhalten entspricht auf Verwaltungsebene und in der Politik oftmals die fehlende Bereitschaft, sich auf Bürgerbeteiligung einzulassen. Für eine qualitätsvolle Bürgerbeteiligung müssen wir also zuerst diesen Teufelskreis durchbrechen. Dies geht nur, indem wir das gegenseitige Misstrauen überwinden und Verfahren entwickeln, die für alle beteiligten Akteure vertrauenswürdig sind. Alle Beteiligten müssen beim Start einer Bürgerbeteiligung die Gewissheit haben, durch die Beteiligung etwas zu gewinnen.

Im Prinzip geht es also darum, einen Win-Win-Prozess für alle Beteiligten zu organisieren. Wie lässt sich das realisieren?

Wesentlich ist, eine Vertrauensgrundlage zu schaffen. Dazu ist es nötig, dass Verwaltung und Politik einen institutionellen Rahmen schaffen, in dem Beteiligungsprozesse bürgerfreundlich organisiert werden können und die von dem Willen getragen sind, den Bürgerinnen und Bürgern dauerhaft eine Stimme zu geben. Die Bürger/innen müssen wissen, dass Beteiligung keine Eintagsfliege ist, sondern regelmäßig bei allen Prozessen praktiziert wird, die für die Bürgerinnen und Bürger wichtig sind.

Die Institutionalisierung von Bürgerbeteiligung steht in Deutschland gerade erst am Anfang. Sie begleiten zurzeit die Stadt Heidelberg dabei, kommunale Leitlinien für Bürgerbeteiligung zu entwickeln. Können Sie das Vorhaben kurz skizzieren?

Wir haben diesen Prozess unter unmittelbarer Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, von Verwaltung und Politik als Trialog aufgebaut. Die Leitfrage war: Wie  können wir erreichen, dass Bürger/innen frühzeitig in die Planung großer städtischer Vorhaben, die für die Lebensqualität sehr vieler Bürger/innen von Bedeutung sind, einbezogen werden können? In Heidelberg wird es deshalb in Zukunft sog. »Vorhabenberichte« geben. In diese Berichte werden verwaltungsseitig alle Projekte aufgenommen, die eine Mehrzahl von Bürger/innen interessieren und betreffen. Die Vorhabenberichte werden veröffentlicht und den Bürger/innen in adäquater Weise zugänglich gemacht. Bei großen Vorhaben wird zusätzlich ein Koordinierungsausschuss eingesetzt, der nicht nur einen Projektplan, sondern auch die Planung für die Bürgerbeteiligung selbst entwirft.

In diesem Ausschuss werden die Bürgerinnen und Bürger kontinuierlich vertreten und über alle wichtigen Phasen eines Projektes hinweg eingebunden sein. Das ist wichtig, denn – siehe Stuttgart 21 – größere Planungsprojekte können ja unter Umständen über Jahre laufen. Der Koordinierungsausschuss sorgt auch dafür, dass die Ergebnisse der Beteiligung gesichert werden. Zum Schluss sollen die Bürger/innen sagen können: ›Wir sind dabei gewesen, wir haben das Projekt Phase für Phase begleitet.‹ Am Ende des Prozesses wird dann natürlich eine Entscheidung des gewählten Stadtrats stehen müssen, eine Entscheidung allerdings, die möglichst von allen Beteiligten einvernehmlich mitgetragen wird.

Um so ein anspruchsvolles und komplexes Modell umzusetzen, sind große Veränderungen und Anstrengungen nötig. Wenn wir nach vorne schauen: was müssen Politik und Verwaltung tun, damit qualitätsvolle Bürgerbeteiligung zu einer kommunalen Selbstverständlichkeit wird?

Im Augenblick sind in der Tat nur relativ wenige Kommunen bereit, solch ein voll entwickeltes Beteiligungsverfahren umzusetzen. Zwar gibt es auch anderswo in Deutschland ermutigende Ansätze; so hat auf Bundesebene beispielsweise der Deutsche Städtetag inzwischen damit angefangen, sich dieses Themas anzunehmen. Heidelberg gehört aber immer noch, wenn man so will, zu den Pionierkommunen. Wünschenswert wäre natürlich, dass möglichst viele Kommunen dem Heidelberger Vorbild folgen.

Ich bin überzeugt: Kommunen müssen Leitlinien für Bürgerbeteiligung entwickeln. Die brauchen ja nicht identisch mit Heidelberg zu sein, denn in jeder Stadt liegen die Verhältnisse wieder ein bisschen anders. Aber ich hoffe doch, dass innerhalb der nächsten Jahre eine Bewegung in Gang kommt, die dazu führt, dass solche Beteiligungschancen möglichst flächendeckender Standard in Deutschland werden und dass dadurch die Entwicklung einer starken kommunalen Demokratie gefördert und beschleunigt wird.

Das vollständige Gespräch mit Prof. Dr. Helmut Klages finden Sie als Videomitschnitt unter www.mitarbeit.de/rueckblick.