mitarbeiten (1/2013)

»Die Institutionalisierung von Beteiligung ist ein zentraler Punkt«

Martina Handler ist seit 2004 bei der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik (ÖGUT) verantwortlich für den Themenbereich Partizipation. Die promovierte Politikwissenschaftlerin und ausgebildete Mediatorin skizziert im Gespräch mit der Redaktion die beteiligungspolitische Situation in unserem Nachbarland.

Wie funktioniert Bürgerbeteiligung in Österreich? Welche Verfahren gibt es?

Martina Handler: Bürgerbeteiligung in Österreich ist ein sehr weites Feld (lacht). Es gibt hier die ganze Bandbreite. Es gibt natürlich die gesetzlich vorgeschriebenen formalen Verfahren, aber auch sehr viele informelle Prozesse. Bereits 2008 hat der österreichische Ministerrat »Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung« beschlossen und der österreichischen Bundesverwaltung zur Anwendung empfohlen. Die Standards wurden gemeinsam von Politik, Verwaltung, Expert/innen und NGOs entwickelt und sind als Service, Unterstützung und praxisnahe Orientierung für Bürger/innen und Verwaltungsmitarbeiter/innen gedacht. Diese Standards sind sehr gut geworden und haben ohne Zweifel Einfluss auf die Qualität von Beteiligungsverfahren. 

Welche Standards sind darin festgeschrieben? Können Sie ein Beispiel nennen?

Ich glaube, es war ein sehr großer Schritt, dass diese Qualitätsstandards erarbeitet wurden. Das Papier legt zum einen Leistungsstandards für Politik und Verwaltung fest, damit sie Bürger/innen und Interessengruppen in die Entscheidungsfindung bestmöglich einbeziehen können. Es geht um Standards zur Vorbereitung und Durchführung des Beteiligungsprozesses, aber auch um Standards zu Monitoring und Evaluierung. Welche Fristen sind sinnvoll? Wann muss die Konsultation angesetzt werden?

Sie fungieren zum anderen als Maßstab, an dem Bürger/innen und Interessengruppen die Qualität des Verwaltungshandelns in Bezug auf Öffentlichkeitsbeteiligung messen können. Das Dokument richtet sich also sowohl an Verwaltungsmitarbeiter/innen, die Bürgerbeteiligungsverfahren abwickeln und aufsetzen, als auch an Bürgerinnen und Bürger, die sich auf das Dokument berufen können, wenn sie das Gefühl haben, bei Bürgerbeteiligungsprozessen nicht entsprechend einbezogen zu sein.

Diese Standards ergänzen die gesetzlichen Bestimmungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung und sollen abgestimmt auf konkrete Themenbereiche auch bei der Beteiligung der Öffentlichkeit an der Entwicklung von Plänen, Programmen oder Rechtsakten angewandt werden. 

In Deutschland gibt es Diskussionen, die Bürgerbeteiligung partizipativer und bürgerfreundlicher zu machen, die Bürgerinnen und Bürger frühzeitiger einzubinden. Gibt es diese Diskussion in Österreich auch?

Ja, das ist auch in Österreich ein wesentlicher Kritikpunkt, als Bürger/in nicht rechtzeitig einbezogen zu sein. Was auch sehr stark diskutiert wird: gibt es genug Spielraum für Beteiligung? Oftmals ist es ja so, dass im Vorfeld schon viele Entscheidungen gefallen sind und dadurch der Raum für Entscheidungen, der Raum für Beteiligung, die Manövriermasse im Beteiligungsverfahren gering ist. Trotzdem hat sich in den letzten zehn Jahren doch einiges verändert, es ist auf allen Ebenen ein gewisses Qualitätsbewusstsein für Beteiligung vorhanden.

Gleichzeitig finden auch heute noch Prozesse statt, die Frustrationen auslösen. Insbesondere an der Schnittstelle zur Politik gibt es da immer wieder Reibungspunkte und Kommunikationsprobleme: Werden im Zuge der Beteiligung Entscheidungen erarbeitet oder sind das Ideenfindungsprozesse? Was passiert mit den Ergebnissen? Wie werden sie umgesetzt? Deshalb ist es wichtig, zu Beginn des Beteiligungsprozesses für alle Beteiligten klarzustellen: Was ist das für ein Prozess, was wird passieren? Und vor allem: Wie wird politisch damit umgegangen?

Gibt es in Österreich Überlegungen, Bürgerbeteiligung in den Kommunen durch Leitlinien und beteiligungsfreundliche Regelwerke zu stärken?

Was die Institutionalisierung von Beteiligung auf kommunaler Ebene anbelangt, ist im Vergleich zu Deutschland noch relativ wenig spürbar. Allerdings gibt es meiner Beobachtung nach auf kommunaler Ebene seit einiger Zeit zunehmend Druck auf die Politik, dass es mehr Beteiligung geben muss, und zwar regelmäßig und institutionalisiert. Ich glaube, dass dieses Bewusstsein sich immer mehr verstärkt.

Allerdings gibt es in Österreich sehr große Unterschiede, nicht nur in den Kommunen, sondern auch in den einzelnen Bundesländern. Wenn ich nach Vorarlberg oder Oberösterreich blicke, dann gibt es dort im Beteiligungsbereich sehr viele innovative und qualitativ hochwertige Prozesse, zur Verkehrsplanung oder Regionalentwicklung beispielsweise. Es hängt sehr stark auch an Personen, die das Thema z. B. in der Landesregierung engagiert vorantreiben. 

Wenn Sie nach vorne schauen: Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Punkte, die weiterentwickelt und vorangebracht werden müssen?

Für mich ist einer der ganz zentralen Punkte die eben angesprochene Schnittstelle zur Politik. Ich glaube, es braucht ganz intensive Bewusstseinsbildung in der Politik und in den Gemeindeverwaltungen in Bezug auf Beteiligung, es braucht Know-how und Kompetenz. Und es muss klar sein, was Beteiligung für die Politik bedeutet und was die Missachtung der Ergebnisse von Beteiligungsprozessen im Endeffekt für das politische System bedeutet.

Das Thema Institutionalisierung von Beteiligung wird sicher ein weiterer zentraler Punkt sein. Wir beim ÖGUT sind an dem Thema schon lange dran, aber es ist etwas, was sich ganz schwer umsetzen lässt. Es gibt in der Politik große Angst vor Kontroll- und Machtverlust, vor Einschränkungen der Entscheidungsfreiheit. In Bezug auf Beteiligung tut man sich da ein wenig schwer, doch manchmal muss man bereit sein, Risiken einzugehen.

Zur Person: Martina Handler verantwortet bei der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik (ÖGUT) den Themenbereich Partizipation.  Die ÖGUT befasst sich seit 1985 als überparteiliche Plattform mit der nachhaltigen Ausrichtung von Wirtschaft, Gesellschaft und Verwaltung. Ein Schwerpunkt dabei ist das Themenfeld »Soziale Nachhaltigkeit und Zivilgesellschaft«. Mehr Informationen im Netz unter www.oegut.at und www.partizipation.at.