mitarbeiten (2/2013)

Ein ehrenamtliches Armutszeugnis?

Die Tafelbewegung in Deutschland feiert in diesem Jahr ihr zwanzigstes Jubiläum. Seit der Gründung der ersten Lebensmitteltafel 1993 in Berlin haben sich bundesweit über 900 Tafeln etabliert, etwa 50.000 freiwillige Helferinnen und Helfer engagieren sich in mehr als 3.000 Tafelläden und Ausgabestellen. Trotzdem – oder gerade deswegen – wird der öffentliche Diskurs zur Tafelbewegung kontrovers geführt. Zugespitzt geht es um die Frage, ob Tafeln zur Lösung des strukturellen Problems der Armut in Deutschland beitragen oder nicht doch eher ihre Fortschreibung befördern.

Die Tafeln in Deutschland sind längst eine etablierte Engagementform geworden, bei der unter oft hohem persönlichem Einsatz und mit großer Ausdauer überschüssige Lebensmittel an Menschen mit sehr geringem Einkommen verteilt werden. Betrachtet man die Ausbreitung der Tafeln in den letzten Jahren, dann lässt sich eine Erfolgsgeschichte in wachsenden Zahlen erzählen: mehr Freiwillige, mehr Ausgabestellen, mehr umgesetzte Lebensmittel, mehr Sponsoren, mehr Infrastruktur.

Für Stephan Lorenz, Soziologe an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, ist dieses Wachstum aber nur ein quantitatives Erfolgskriterium, kein qualitatives. Für letzteres müsse die gesellschaftliche Rolle der Tafeln genauer untersucht werden. In einem Beitrag für den eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft kommt er zum Schluss: die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums und die damit zusammenhängende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist keine Aufgabe für Freiwilligenarbeit. Denn der »Erfolg« der Tafelbewegung hängt auch mit der Tatsache zusammen, dass sich der Staat zunehmend aus seiner sozialen Verantwortung zurückzieht.

In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Mit der Tafelbewegung verbinden sich grundsätzliche Fragen zu unserem Verständnis von Gesellschaft und Gerechtigkeit. Stefan Selke begleitet als Wissenschaftler, Autor und Initiator des Tafelforums die Arbeit der Tafelbewegung seit vielen Jahren konstruktiv und kritisch. In seinem Gastbeitrag analysiert er die ambivalente Arbeit der Tafelbewegung und stellt einen Orientierungsrahmen zur Verfügung, der sich sowohl für lokale als auch für nationale Diskussionskontexte eignet. 

Gerd Häuser, Vorsitzender des Bundesverbandes der Tafeln, sieht die Arbeit der Tafeln als »soziale Graswurzelbewegung«. Zugleich skizziert er die Forderungen des Bundesverbandes an die Politik. Er stellt klar: Bürgerschaftliches Engagement ist kein Ersatz für staatliche Daseinsvorsorge; es gelte in Zukunft, durch eine andere Politik Armut zu verhindern und Wohlstand gerechter zu verteilen.

Der Themenschwerpunkt zur Tafelbewegung im Netz unter www.buergergesellschaft.de