mitarbeiten (3/2013)

Demokratie gemeinsam gestalten

In diesem Jahr feiert die Stiftung Mitarbeit ihren 50. Geburtstag. War die Gründung der Stiftung Mitarbeit im Jahr 1963 noch von der Sorge um eine »Demokratie ohne Demokraten« geprägt, zeigt der heutige Blick auf ein halbes Jahrhundert ereignisreicher Stiftungsarbeit, dass das aktive und beteiligungsorientierte Demokratieverständnis, das Grundlage unserer Arbeit ist, in Deutschland entschieden an Boden gewonnen hat.

Ein kurzer Blick zurück: Mit seinem Rücktritt als Kanzler endet im Oktober 1963 die Ära Adenauer; die »Spiegel-Affäre« hatte im Jahr zuvor eine Regierungskrise ausgelöst. In Frankfurt am Main beginnt nach jahrelangen Vorbereitungen der »Auschwitz-Prozess«, durch den die bundesdeutsche Vergangenheitsbewältigung ihren juristischen Höhepunkt erfährt. Der amerikanische Präsident John F. Kennedy wird bei seinem Besuch in Westberlin im Juni 1963 umjubelt, wenige Monate später stirbt er bei einem Attentat. Weltpolitisch gipfelt die Ost-West-Konfrontation im Herbst 1962 in der »Kubakrise«. In vielen Teilen der westlichen Welt zeigen sich erste Ansätze eines zivilgesellschaftlichen Aufbruchs, in der Bundesrepublik sind im Jahr 1963 die problematischen Startbedingungen der zweiten deutschen Demokratie noch kaum überwunden. Der von den Alliierten verordneten Demokratie steht die Mehrheit der Deutschen weiterhin distanziert bis skeptisch gegenüber, zugleich wirkte das Scheitern der Weimarer Republik langfristig nach. Die ersten Nachkriegsjahre standen ganz im Zeichen von Wirtschaftswunder und Wiederaufbau.

In dieser Gemengelage vordemokratischer und autoritärer Traditionsbestände wird am 8. Juni 1963 in Berlin die Stiftung Mitarbeit gegründet. Engagierte Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft mit zum Teil sehr unterschiedlichen politischen Überzeugungen wollen mit der Gründung der Stiftung ein Zeichen setzen und die Demokratie stärken. Die Gründungstagung steht unter der Überschrift »Mitdenken – Mithandeln – Mitverantworten«, die Initiatoren schreiben: »Wichtig ist, unseren Mitbürgern, besonders den Jugendlichen, überzeugende Antworten auf ihre kritischen Fragen angesichts der offensichtlichen Mängel unserer politischen Wirklichkeit zu geben und ihnen konkrete Ansatzpunkte für ihre eigene Mitwirkung zu zeigen. (...) Der Einzelne muss selbst erleben, dass er politisch nicht ohnmächtig ist, sondern durch tätige Mitarbeit die gemeinsamen Angelegenheiten mitgestalten kann.«

Im Berliner Ernst-Reuter-Haus findet der Festakt zur Gründung statt. Die einführenden Grußworte hält Willy Brandt, der als Regierender Bürgermeister von Berlin in der Anfangszeit der Stiftung – die damals noch »Die Mitarbeit – Stiftung für staatsbürgerliche Mitverantwortung« heißt – Mitglied des Stiftungskuratoriums ist. Den Festvortrag hält der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Waldemar Besson zum Thema »Bürgerliche Mitgestaltung – Fundament eines freien Gemeinwesens« – ein Motto, das leitmotivisch bereits die Arbeit der Stiftung in den kommenden Jahrzehnten vorwegnehmen sollte.

Ursprünglich als reines Finanzierungsinstitut gedacht, entwickelte sich die Stiftung Mitarbeit in der Folgezeit als Mittler zwischen verfasster Politik und freier Initiative zu einem prägenden Akteur der sich herausbildenden Zivilgesellschaft. 

50 Jahre Stiftung Mitarbeit: für den Politikwissenschaftler Prof. Dr. Roland Roth, der seit vielen Jahren an den Schnittestellen von Demokratieentwicklung, Bürgerbeteiligung und sozialen Bewegungen forscht, hat die Stiftung Mitarbeit rückblickend mit dafür gesorgt, dass sich entlang der Entwicklungspfade bundesrepublikanischer Demokratie- und Engagementgeschichte »demokratische Wachstumsringe« ausbilden konnten. Im Zentrum stehen dabei bis heute die Stärkung der Demokratie als Lebens- und Gesellschaftsform sowie die politische Aufwertung aktiver Bürgerschaft. Roland Roth beschreibt die »demokratiepolitischen Interventionen der Stiftung Mitarbeit« wie folgt: »Die politische Verantwortung und Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger in einer Zeit in den Mittelpunkt ihrer Aufklärungs- und Vernetzungsarbeit gestellt zu haben, als dies alles andere als selbstverständlich war, gehört zu den besonderen Verdiensten der Stiftung Mitarbeit. Die Förderung der individuellen politischen Mitarbeit gehört zu ihren Schwerpunkten von Anfang an. Sie kann für sich in Anspruch nehmen, dies bereits in einer Zeit getan zu haben, als es dafür weder die heute selbstverständliche Begrifflichkeit – Bürgerinitiative, Bürgergesellschaft, Zivilgesellschaft, bürgerschaftliches Engagement – noch die entsprechende politische Anerkennung gegeben hat«. Damit habe die Stiftung Mitarbeit zweifellos »zum Wachstum einer auf Eigeninitiative gegründeten demokratischen Alltagskultur beigetragen, deren Fehlen ausländische Beobachter zur Zeit ihrer Gründung noch beklagt hatten.«

50 Jahre Stiftung Mitarbeit: War die Gründung der Stiftung Mitarbeit im Jahr 1963 noch von der Sorge um eine »Demokratie ohne Demokraten« geprägt, formuliert heute eine zunehmend emanzipierte Bürgerschaft selbstbewusst ihren Anspruch, durch eigenes Engagement Gesellschaft mitzugestalten. Gesellschaftliche Mehrheiten wollen bei Fragen, die ihr Alltagsleben betreffen, beteiligt werden und auf politische Grundsatzentscheidungen Einfluss nehmen. Diese Erwartungen der Bürgerschaft an eine beteiligungsorientierte Demokratie stehen in einem deutlichen Missverhältnis zu den tatsächlichen Beteiligungsmöglichkeiten. Trotz unbestreitbarer Erfolge ist die Zahl partizipativer Erfolgsbeispiele überschaubar geblieben. Vielerorts fehlt es am politischen Willen, die gestiegenen Mitgestaltungs- und Begründungsansprüche der Bürgergesellschaft zu akzeptieren und auf Augenhöhe mit der Bevölkerung und ihren Initiativen zu kooperieren.

Vor diesem Hintergrund setzt die Stiftung Mitarbeit auch für die Zukunft auf die Kraft der politischen Beteiligung und des bürgerschaftlichen Engagements. Denn eines ist klar: das Engagement für eine lebendige Bürgergesellschaft und eine Vitalisierung der Demokratie verlangt auch in den kommenden Jahrzehnten – dies lässt sich unschwer prognostizieren – unsere Aufmerksamkeit und unseren vollen Einsatz.

Mehr Informationen zu 50 Jahren Stiftung Mitarbeit unter  www.mitarbeit.de/50_jahre_stiftung_mitarbeit.html