mitarbeiten (4/2013)

Mittenmang statt nur dabei

Menschen mit Behinderung wurden bislang stets eher als Objekte des Engagements gesehen und nicht als eigenständige Gestalter/innen unserer Gesellschaft. Eine neue Publikation wirbt nun für den Abbau von strukturell oder materiell bedingten Engagement-Barrieren und setzt sich für einen Paradigmenwechsel in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Beurteilung ein: Behinderte Menschen können Engagement aktiv mittragen. Um ihre Engagement- und Beteiligungspotenziale zu aktivieren, brauchen sie Unterstützung auf ihrem Weg »vom Klienten zum Freiwilligen«.

Das bürgerschaftliche Engagement für ausgegrenzte, diskriminierte und behinderte Menschen gehört zum zivilgesellschaftlichen Alltag, ihr eigenes Engagement steht dagegen weniger im Fokus. Dies zu ändern war das Ziel des in Schleswig-Holstein ansässigen Pilotprojekts »mittenmang«. Der plattdeutsche Name des Vereins ist dabei Programm: Beeinträchtigte, behinderte und ausgegrenzte Menschen sollen mittenmang, also mittendrin in der Gesellschaft sein.

Grundlegend für diese Idee des bürgerschaftlichen Engagements ist die Vorstellung einer Bürgergesellschaft, in der es auf alle ankommt, gepaart mit einem Gerechtigkeitsempfinden, das nicht akzeptieren will, dass Menschen von der Gesellschaft ausgeschlossen und an den Rand gedrängt werden.

Im Jahr 2005 als Pilotvorhaben gestartet, avancierte der Verein in den Folgejahren zu einem bundesweiten Leuchtturmprojekt. Im Rahmen der Landesinitiative »alle inklusive« des Sozialministeriums in Schleswig-Holstein wurde mittenmang als Referenzprojekt für Inklusion ausgewählt. Mittenmang zeigt: Beeinträchtigte und behinderte Menschen wollen und können sich für andere und für das Gemeinwesen engagieren. Mittenmang gibt diesem Personenkreis als Brückenbauer aktive Starthilfe beim Sprung vom »bedürftigen Objekt« sozialer Hilfen zum freiwillig engagierten Subjekt.

Die Publikation erzählt vor diesem Hintergrund eine engagement- und beteiligungspolitische Erfolgsgeschichte, deren Ergebnisse übertragbar sind auf andere Menschen Menschen am gesellschaftlichen Rand. Nicole D. Schmidt und Petra Knust, die beiden Initiatorinnen des Projekts, berichten über ihre Erfahrungen mit etwa 120 längerfristig engagierten Freiwilligen. Das Buch versteht sich dabei nicht als wissenschaftliche Arbeit, sondern als »Rezeptbuch« und Arbeitshilfe für Praktiker/innen. Gleichwohl liegt hier kein klassischer Erfahrungsbericht vor, sondern ein Text, der zur kritischen Reflexion und zur bürgergesellschaftlichen Aktion anregen will.

Klar ist: bürgerschaftliches Engagement stärkt Engagierte in ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Im Rahmen von mittenmang hat das engagierte Handeln einen inkludierenden Effekt. Dieser fußt auf der Überzeugung, dass Menschen an den Randzonen unserer Gesellschaft in der Lage sind, sich zu engagieren und mitzugestalten. Die Lebens- und Engagementgeschichten von mittenmang-Freiwilligen machen deren Ringen um ihren Platz in der Gesellschaft deutlich und zeigen, dass bürgerschaftliche Engagement die Betroffenen in die Gesellschaft hineinzuholen vermag.

Klar ist aber auch: Ohne eine qualitativ hochwertige Engagementbegleitung und ohne Empowerment geht das mittenmang-Konzept nicht auf. Die Autorinnen zeigen, wie die Freiwilligen im Engagement unterstützt werden und wie eine praxisnahe Fortbildung angelegt sein muss. Einen Schwerpunkt bilden dabei die eigens entwickelten inkludierenden Bildungsangebote, die alle Freiwilligen einbeziehen.

Ein zentrales Ergebnis des Projekts ist, dass eine vermeintlich »engagementabstinente« Gruppe Zugang zu einem weitgehend bildungsbürgerlich geprägten Handlungsfeld bekommen kann. Die Autorinnen plädieren für eine neue Definition bürgerschaftlichen Engagements. Ein erweiterter Engagementbegriff öffnet ihrer Ansicht nach den Blick für eine Vielzahl freiwilliger Aktivitäten in unterschiedlichen Communities und bahnt somit einen Weg für mehr gesellschaftliche Anerkennung derjenigen, von denen bislang angenommen wurde, dass sie überhaupt kein Interesse am bürgerschaftlichen Engagement haben. Engagement setze dann »nicht unbedingt eine mittlere oder hohe gesellschaftliche Statusposition voraus«. Zudem plädieren die Autorinnen dafür, zukünftig politische Bürgerbeteiligung und bürgerschaftliches Engagement zusammenzudenken und gendergerecht für gesellschaftlich »Randständige« zu öffnen.

Damit behinderte oder beeinträchtigte Menschen die Chance haben, dieses Freiheitsrecht wahrzunehmen, sind in der Praxis noch viele Barrieren zu überwinden. Die Autorinnen fordern beispielsweise Kommunen auf, Engagement-Barrieren abzubauen und Engagement-Begleitung finanziell abzusichern; dies gehöre »grundsätzlich in den Katalog der kommunalen Gleichstellungsmaßnahmen«. Ein Recht auf Teilhabe nach »Kassenlage der Kommunen« stelle keinen vertretbaren Weg dar.

Die Autorinnen plädieren für die »Institutionalisierung von Beteiligung«, um die Beteiligungsergebnisse, also Teilhabeerfolge, nachhaltig zu sichern. Es bedarf verlässlicher Strukturen und Formen, die nicht immer wieder aufs Neue erkämpft werden müssen. Als solche nennen sie zum Beispiel kommunale Orte wie Freiwilligenzentren oder Bürgerbüros, aber auch Politik gestaltende Partizipationsformen.

Nicole D. Schmidt/Petra Knust: mittenmang dabei! Bürgerschaftliches Engagement als Chance. Arbeitshilfen für Selbsthilfe- und Bürgerinitiativen Nr. 45, Verlag Stiftung Mitarbeit, Bonn 2013, 172 S., 10,– Euro, ISBN 978-3-941143-16-6, zu beziehen über den Buchhandel oder unter www.mitarbeit.de