mitarbeiten (1/2014)

Empowerment für die Demokratie

Community Organizing ist Organisationsarbeit in Stadtteilen, Städten oder Regionen. Durch den Aufbau einer Beziehungskultur und durch gemeinsames Handeln tragen Bürgerinnen und Bürger zur Lösung von Problemen in ihrem Umfeld bei. Community Organizing ist dabei stets den Prinzipien von Demokratie und Selbstbestimmung verpflichtet. Das gemeinsam vom Forum für Community Organizing (FOCO) und der Stiftung Mitarbeit herausgegebene Handbuch Community Organizing, das in Kooperation mit dem Deutschen Institut für Community Organizing (DICO) erarbeitet wurde, stellt das demokratische und aktivierende Potential der Methode vor.
  

Die Idee des Community Organizing (CO) stammt aus den USA. Der amerikanische Bürgerrechtler und Soziologe Saul David Alinsky gründete im Jahr 1939 die Industrial Areas Foundation, die sich im Laufe der Zeit zum größten Netzwerk für Community Organizing in den USA entwickeln sollte. Ihr gehören heute lokale Organisationen in 21 Bundesstaaten der USA an, ebenso weitere assoziierte Organisationen in Kanada, Großbritannien und Deutschland. Alinsky erlangte landesweite Bekanntheit durch seine Projekte in verschiedenen (Arbeiter-)Stadtteilen von Chicago. Mithilfe von Bürgerforen, unter deren Dach sich die lokalen Einrichtungen, Vereine und Organisationen zusammenschlossen, verbesserte er gegen viele Widerstände die Lebensbedingungen der dort in prekären Verhältnissen lebenden Menschen. Der von Alinsky entwickelte radikal-demokratische Ansatz des Community Organizings blieb in Deutschland lange Zeit unbekannt.

Erst Anfang der 1970er Jahre begann die von ihm entwickelte Methode auch hierzulande im Kontext der Gemeinwesenarbeit Fuß zu fassen. Seit den 1990er Jahren gibt es ernsthafte praktische Versuche, Alinskys Konzept auf die spezifischen Bedingungen in der Bundesrepublik zu übertragen.

Ob Bürgerplattformen oder Gemeinwesenarbeit: Im Rahmen des Handbuchs beleuchten verschiedene Autorinnen und Autoren Theorie und Geschichte des Community Organizing. Sie erklären Formen der Prozessgestaltung und werfen einen Blick auf die vielfältge Praxis des Community Organizing in Deutschland. Kurze Interviews mit szenekundigen Akteur/innen runden das umfangreiche Handbuch ab.

Community Organizing stellt die Machtfrage. Folgerichtig gehört Macht zu den Schlüsselbegriffen von CO. Der Begriff ist dabei nicht negativ besetzt, im Gegenteil: Ziel im Community Organizing ist es immer, möglichst viele Menschen und Organisationen zusammenzubringen, um gemeinsam stärker zu werden und asymmetrische Machtverteilung vor Ort aufzubrechen. Dies kann im Einzelfall durchaus mit Hilfe einer konfrontativen Strategie geschehen. Auch wenn Community Organizing im Grundsatz auf Kooperation angelegt ist, sind Konflikte geradezu dessen Lebenselixier. Community Organizing ist eine konfliktorientierte Methode, was jedoch nicht mit einem aggressiven oder gar destruktiven Vorgehen gleichgesetzt werden darf, wie dies oft kritisch gegenüber CO eingewendet wird.

Neben einer guten Strategieplanung spielen deshalb Konflikttaktiken im Community Organizing eine wichtige Rolle. CO folgt dabei klassischerweise einem Organisationszirkel oder einer Organisationsspirale. Diese lässt sich grob in vier Phasen einteilen: persönliche Gespräche; Versammlung, Machtanalysen und Nachforschungen; Aktionen und zum Schluss Organisationsaufbau. Diese Phasen können frei oder im Kontext des Aufbaus einer »Community Organization« stattfinden.

CO lebt in der Hauptsache von öffentlichen Beziehungen zwischen Menschen. Zum Start eines CO-Prozesses werden diese Beziehungen beispielsweise in einem Stadtteil untersucht und dort, wo sie wenig entwickelt sind, neu belebt und aufgebaut.

Eine wichtige Rolle spielen dabei die vor Ort, in der Nachbarschaft oder im Stadtteil verwurzelten Schlüsselpersonen. Diese gilt es für einen erfolgreichen CO-Prozess zu gewinnen. Nachbarschaften, Stadtteile und Betroffenengruppen besitzen immer eigene Traditionen und Geschichten. Deshalb ist es im CO wichtig, die Erfahrungen, Bräuche und Wertvorstellungen eines Stadtteils und seiner Bewohner/innen zu kennen. Denn der Aufbau einer Community Organization fängt realistischerweise mit dem an, was an Traditionen in einer Gemeinschaft vorgefunden wird. Hier zeigt sich auch ein Unterschied zu Bürgerinitiativen, die nur auf Zeit und zu einem bestimmten Zweck gebildet werden: CO baut dauerhafte Organisationsstrukturen auf, die es möglich machen, die Arbeit zu verstetigen und immer wieder neu aufzunehmen.

Ein Beispiel: seit dem Jahr 2000 existiert im Berliner Stadtteil Schöneweide die erste deutsche Bürgerplattform »Menschen verändern ihren Kiez – Organizing Schöneweide«. Die Bürgerplattform – ein zivilgesellschaftliches Bündnis aus Schulen, Kitas, Kirchen, Kleingärten, Sportvereinen und Senioreneinrichtungen – soll es den beteiligten Organisationen ermöglichen, selbstbewusst und unabhängig von staatlichen oder parteipolitischen Einflüssen eigene Themen und eigene Lösungsvorschläge mit Politik und Verwaltung zu verhandeln.

Die Bürgerplattform agiert mit professioneller Begleitung durch Community Organizer sowie finanzieller Unterstützung der Mitgliedergruppen und der lokalen Wirtschaft. Die Bürgerplattform arbeitet erfolgreich und hat sich mittlerweile als feste Größe im lokalpolitischen Diskurs etabliert. 

Eine weitere Stärke von Community Organizing liegt in der Verknüpfung von Selbstorganisation mit der Erfahrung der Selbstwirksamkeit.  So setzen sich beispielsweise zwei preisgekrönte Initiativen in Stuttgart mit großem Erfolg dafür ein, erwerbslosen Menschen mit Hilfe des Community Organizing wieder eine Stimme zu geben. Hier zeigt sich: Community Organizing kann dazu führen, dass marginalisierte Bevölkerungsgruppen wieder erfahren, dass sie als Bürgerinnen und Bürger etwas bewegen können. Insofern ist die Methode bestens geeignet, Demokratie und Zivilgesellschaft vor Ort zu beleben. 

Forum für Community Organizing FOCO/ Stiftung Mitarbeit (Hrsg. in Kooperation mit Deutsches Institut Community Organizing DICO): Handbuch Community Organizing. Verlag Stiftung Mitarbeit, Bonn 2014, 248 S., 12,– Euro, ISBN 978-3-941143-15-9, zu beziehen über den Buchhandel oder www. mitarbeit.de