mitarbeiten (1/2014)

Beteiligen, wenn noch Spielraum vorhanden ist

Damit Bürgerbeteiligung bei konfliktbeladenen Planungsprozessen erfolgreich sein kann, müssen die Vorbehalte der Bürger/innen ernst genommen werden, meint Martina Richwien, IFOK-Expertin für Bürgerbeteiligung. Im Gespräch mit der Redaktion zeigt sie sich überzeugt: Je früher die Bürger/innen beteiligt werden, desto erfolgreicher kann Bürgerbeteiligung sein.

Nicht erst seit Stuttgart 21 gibt es eine Debatte über Bürgerbeteiligung bei der Planung von großen Infrastrukturprojekten. Was läuft unter beteiligungspolitischen Gesichtspunkten schief bei der derzeitigen Planungspraxis?

Richwien: Bürgerinnen und Bürger erfahren von diesen Infrastrukturvorhaben in der Regel zu spät. Mit der Auslegung der fertig gestellten Pläne in irgendwelchen Hinterzimmern ist das Kind definitiv schon in den Brunnen gefallen. Das Gegenteil wäre richtig: die Bürgerinnen und Bürger müssen früher beteiligt werden, nämlich dann, wenn noch Spielräume vorhanden, Varianten und Diskussionen möglich sind.

Was gibt es für Möglichkeiten, diese frühzeitige Bürgerbeteiligung zu realisieren?

Frühzeitige Bürgerbeteiligung startet eigentlich mit der Idee des Projektes. Schon zu diesem Zeitpunkt kann gefragt werden: Wer ist vor Ort davon betroffen? Diese Akteure müssen in die Planungen eingebunden werden. So kann es gelingen, das Wissen der Vielen in die Planung einzubeziehen und gemeinsam mit Planern und Vorhabenträgern gute Lösungen zu finden.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, bei dem dieser Prozess gelungen ist?  

Der Ausbau der Stadtbahn Nord in Mannheim ist so ein Beispiel. Die Stadtspitze ist in einem Stadium an IFOK herangetreten, in dem noch keine fertigen Planunterlagen vorlagen. Wir haben dann mit allen Betroffenen einen informellen, dialogischen Beteiligungsprozess in Gang gesetzt. An dessen Ende stand eine vorher nicht beabsichtigte Trassenvariante, die zu geringeren Beeinträchtigungen der Anwohnerschaft geführt hat. Der Gemeinderat ist dieser Empfehlung dann gefolgt.

Das ist übrigens grundsätzlich ein sehr wichtiger Punkt, der im Vorfeld geklärt werden muss: wie klappt der Ergebnistransfer aus einem informellen Beteiligungsverfahren in den Gemeinderat? Wenn das nicht belastbar geklärt ist, verlaufen die Beteiligung und das Engagement der Bürgerinnen und Bürger im Sande. Ohne eine solche Vereinbarung kann man eigentlich keinen ordentlichen Beteiligungsprozess führen und die Leute guten Gewissens vom Mitmachen überzeugen.

Was sind Erfolgsfaktoren, damit so ein Dialog funktioniert?

Der Ausbau der Stadtbahn Nord ist in Mannheim seit 30 Jahren ein Thema mit Konfliktgeschichte. Als der Gemeinderatbeschluss in der Zeitung zu lesen war, war der Sturm der Entrüstung groß. Wir haben am Anfang des Dialogs u. a. Bürgerinitiativen und Initiativgruppen angesprochen, es waren aber auch Anwohner/innen der drei zur Diskussion stehenden Trassenvarianten eingebunden. Die Ortsbeiräte waren mit dabei, so dass die Anbindung an die Politik gesichert war. Das heißt aber nicht, dass es keine Kritik gab. Wichtig war es, eine qualifizierte Diskussion zu führen und einen gemeinsamen Lernprozess anzustoßen. Das gegenseitige Zuhören hat die Auseinandersetzung versachlicht und vorangebracht.

Meine zentrale Botschaft ist: der ernstgemeinte informelle Beteiligungsprozess im Vorfeld des eigentlichen Verfahrens hat zu einer guten Planung geführt und zur weitgehenden Akzeptanz und Anerkennung des Projekts durch die Bürger/innen. Wenn man Vorbehalte ernst nimmt, lassen sich solche Infrastrukturprobleme auf kommunaler Ebene konstruktiv lösen.

Das Video zum vollständigen Gespräch finden Sie unter: www.mitarbeit.de/richwien_interview_forum2013.html