mitarbeiten (3/2014)

»Keine Angst vor den Meinungen der Menschen«

Im kommenden Jahr startet der Vollbetrieb des neuen Wiener Hauptbahnhofes. Auf einem 109 Hektar großen Areal ist in den vergangenen Jahren ein neuer Bahnhof und ein ganzes Stadtviertel mit Wohnungen, Schulen und Parks entstanden. Wie die Bürger/innen beteiligt wurden, erläutert Georg Engel von Kienast & Kienast.

Herr Engel, Sie begleiten im Auftrag Ihres Unternehmens seit einigen Jahren den Bau des Wiener Hauptbahnhofs. Wie waren die Ausgangsbedingungen?

Georg Engel: Die Ausgangssituation war insofern ideal, als dass es ein grundsätzliches Übereinkommen zwischen allen beteiligten Akteuren gab, den Plan zum Bau des Wiener Hauptbahnhofs gemeinsam umzusetzen. Zudem wurde schnell klar, dass es sich bei dem Vorhaben nicht nur um ein verkehrstechnisches Infrastrukturprojekt, sondern gleichzeitig um ein Stadtentwicklungsprojekt handelt, da in einem dicht besiedelten Gebiet, wenige Kilometer vom Wiener Stephansdom entfernt, Flächen frei werden würden, die bisher von Bahngleisen belegt waren.
 
In Deutschland lösen die Planungen von großen Infrastrukturprojekten, siehe Stuttgart 21, in der Regel Diskussionen und Widerstände aus.

Auch in Wien gab und gibt es Gruppen, die dagegen sind oder Aspekte des Projekts anders sehen als die Planer der ÖBB (Österreichischen Bundesbahn). Doch schon zu Beginn des Projekts im Jahr 2006 – als die Pläne noch nicht stabil waren und lange bevor es das gesetzliche Behördenverfahren vorgesehen hätte – haben wir uns entschlossen, die Öffentlichkeit einzubinden und mit möglichst allen direkt und indirekt von den Plänen betroffenen Gruppen in Kontakt zu treten. Aber auch die Fachleute aus Politik und Verwaltung aus den fünf betroffenen Wiener Bezirken wurden ins Boot geholt. Gemeinsam mit der Projektleitung, den Planern und Gutachtern wird bis heute in von uns konzipierten Bezirksforen über das Projekt und seine Auswirkungen informiert und diskutiert.

Worüber wurde diskutiert?

Diskutiert wurden alle Fragen rund um die zukünftige Verkehrs- und Lärmbelastung, um Dreck und Staub während der Bauphase, um die geplante Architektur, aber auch um technische Details und bauliche Vorgaben. Durch den ständigen Austausch in den Dialogforen ist das Wissensniveau deutlich angestiegen, die Menschen vor Ort haben verstanden, was verändert werden kann und welche Dinge Fixpunkte sind. Aber auch die Planer/innen haben verstanden, wo Veränderungen gewünscht sind und diese teilweise auch umgesetzt. Zugleich wurden im Prozess gemeinsam neue Ideen entwickelt. So entsteht nun auf dem Gelände die größte Fahrradgarage Mitteleuropas.

Was hat aus Ihrer Sicht zum Erfolg des Projekts beigetragen?

Ein Erfolgsfaktor ist sicherlich, dass die Kommunikation mit den Betroffenen frühzeitig erfolgt ist und nicht erst, als die Entscheidungen schon getroffen waren. Ganz wichtig ist auch, dass bei den Bezirksforen die Projektleitungen anwesend waren. Die Entscheider haben mit den Bürgern persönlich gesprochen und versucht, ihnen das Projekt zu erklären. Dadurch ließen sich manche Ängste und Widerstände vor Ort überwinden. Es sind tragfähige Beziehungen zwischen den Vertreter/innen der Dialoggruppen und den Projektverantwortlichen entstanden. Zugleich haben wir unserem Auftraggeber zu vermitteln versucht, dass er sich nicht fürchten muss vor den Perspektiven und Meinungen der Menschen, sondern dass es sich ganz im Gegenteil lohnt, diese Meinungen bewusst in den Prozess hereinzuholen. Denn erfahrungsgemäß führen die Perspektiven der Betroffenen ja sehr oft zu besseren Ergebnissen.