mitarbeiten (2/2016)

»Bürgerbeteiligung muss Alltagshandeln werden«

Die Energiewende führt vielerorts immer wieder zu Konflikten und Protesten. Gerade um den Bau von Windkraftanlagen gibt es regelmäßig Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Akteursgruppen. Matthias Klopfer ist Oberbürgermeister von Schorndorf, einer Stadt mit knapp 40.000 Einwohner/innen im Regierungsbezirk Stuttgart. Er berichtet im Gespräch, welche konstruktive Rolle Bürgerbeteiligung bei kommunalen Konfliktthemen spielen kann.

Herr Klopfer, wie sind Ihre Erfahrungen mit Bürgerbeteiligung?

Matthias Klopfer: Als ich 2006 zum Oberbürgermeister gewählt worden bin, war mir klar, dass Politik im 21. Jahrhundert die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger braucht. Ich habe nie verstanden, warum man für Bürgerbeteiligung so wenig Geld ausgibt. Für jeden Statiker, für jeden Bodengutachter, für jedes Vogelgutachten gibt eine Stadt selbstverständlich Gutachten in Auftrag. Auch für Bürgerbeteiligung müssen wir einen Boden schaffen und Geld dafür bereitstellen. Das ist sicher ein Schlüssel zum Erfolg.

Ob Sport- und Verkehrsentwicklungsplanung, Schule oder Integrationskonzept: in Schorndorf haben wir in den letzten Jahren positive Erfahrungen mit Bürgerbeteiligung gemacht. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es gut ist, wenn der OB sich selbst zurücknimmt, damit die Bürgerinnen und Bürger wirklich frei diskutieren können. Die spannende Frage für mich ist immer, wann kommt der Gemeinderat mit ins Spiel? Da haben wir unterschiedliche Modelle. Wenn er von Anfang an dabei ist, führt das zwar zu schnelleren Ergebnissen, teilweise bestimmen dann aber auch die Gemeinderäte die Diskussion. Deshalb haben wir es auch schon ohne Gemeinderäte gemacht.

Bürgerbeteiligung spielt in Schorndorf auch eine besondere Rolle beim Thema Windenergie. Können Sie das etwas näher erläutern?

Der Ausbau der Windenergie im Zuge der Energiewende war ein Ziel der baden-württembergischen Landesregierung. Und so kamen auf einen Schlag ganz viele Windkraftstandorte ins Gespräch. Und auch bei uns gab es Gegner und Befürworter von Windkraftanlagen, das ist ja klar. Großes Glück in Schorndorf war, dass der Gemeinderat einstimmig beschlossen hat, wir wollen Windkraft und wir wollen eine Bürgerbeteiligung. Dann haben wir gemeinsam mit unserer Nachbarkommune per Zufallsstichprobe 70 Bürgerinnen und Bürger ausgewählt und diese Gruppe ergänzt durch Vertreter/innen von Bürgerinitiativen pro Windkraft und kontra Windkraft. Diese haben anschließend eine Bürgerempfehlung erarbeitet, die dann einstimmig vom Gemeinderat beschlossen wurde.

Wie sah der Prozess aus, mit dem Sie die Beteiligung der Bürger/innen sowie der Initiativen ermöglicht haben?

Wir haben zunächst ein externes Institut mit dem Prozessmanagement beauftragt. Es gab dann eine Auftaktveranstaltung, in der über das Vorhaben informiert und über den Ablauf der Bürgerbeteiligung aufgeklärt wurde. Danach wurden viele Sachfragen kontrovers diskutiert und in einem Fragenkatalog gebündelt, der Grundlage für ein anschließendes Expertenhearing war. Zudem gab es immer wieder Exkursionen zu verschiedenen vorgeschlagenen Standorten. Die Gesprächsatmosphäre dabei war ganz besonders, durch den intensiven Austausch der Argumente haben alle Beteiligten und auch ich viel gelernt.

Am Ende des Prozesses stand dann die Bürgerempfehlung, die von mehr als 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger zustimmend aufgenommen wurde. Zwar gibt es nach wie vor auch Gegenwind, ich glaube aber nicht, dass der Protest die positive Grundstimmung zum Kippen bringt.

Sie haben mit einer Zufallsauswahl von Bürger/innen gearbeitet. Wie sind Ihre Erfahrungen mit dieser Form der Beteiligung?

Das würde ich sofort wieder machen, es war mit Abstand die beste Bürgerbeteiligung, die wir bislang durchgeführt haben. Wenn es um eine Schulhofgestaltung geht, brauche ich keine Zufallsauswahl, das kann ich mit der Schule machen und mit den betroffenen Nachbarn. Aber in diesem Fall haben uns der gesunde Menschenverstand und die unterschiedlichen Lebenserfahrungen der zufällig ausgewählten Teilnehmerinnen und Teilnehmer sehr gut getan. Egal ob leitender Angestellter oder ›einfache‹ Bürgerin: die Leute freuen sich, dass sie gefragt werden. Die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger führt so interessanterweise auch zu einer Versachlichung von Gemeinderatsdiskussionen, da bin ich immer sehr positiv überrascht. Und plötzlich denkt man, ja guck mal, man kann es ja auch anders machen.

Wie funktioniert das Zusammenspiel mit der Verwaltung bei solchen Beteiligungsprozessen?

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen lernen, dass Bürgerbeteiligung zwar anstrengend ist, dass sie auch Zeit kostet, aber dass es anschließend in der konkreten Umsetzungsphase für sie als Mitarbeiter/innen leichter wird und die demokratische Legitimation von Politik und Verwaltungshandeln steigt. Die Projektverantwortlichen müssen aber auch Kompetenzen aufbauen und beispielsweise lernen, zu moderieren, weil wir nicht ständig Profis einkaufen können. Schlecht ist es, wenn man Bürgerbeteiligung immer bloß in Krisensituationen macht oder bei einem herausgehobenen Projekt; Bürgerbeteiligung muss Alltagshandeln werden.

Das vollständige Gespräch mit Matthias Klopfer finden Sie unter www.mitarbeit.de/video-interviews.html