mitarbeiten (3/2018)

»Wir müssen das Wir-Gefühl im Quartier stärken«

Burhan Cetinkaya ist Stadtentwickler und hat als Integrationsbeauftragter und Stadtteilmanager für verschiedene Kommunen in NRW gearbeitet. Heute ist er als Koordinator im Bereich Sozialraumplanung für die Stadt Berlin tätig. Er ist überzeugt: damit Integration im Quartier gelingt, braucht es aktive Menschen, gute Beteiligung und Netzwerke, Dialog und Begegnung auf Augenhöhe sowie die solidarische Stärkung des Wir-Gefühls.

Herr Cetinkaya, in den letzten Jahren sind viele Menschen nach Deutschland geflüchtet. Nach dem Ankommen gilt es nun, das Bleiben zu organisieren und den Menschen eine Perspektive zu bieten. Was ist dabei im Kontext der Quartiersentwicklung wichtig?

Nach dem Ankommen bestand die Aufgabe zunächst darin, die Betreuung und die menschenwürdige Unterbringung der Leute sicherzustellen. Jetzt geht es darum, den Integrationsprozess zu organisieren. Integration findet vor Ort statt, in den Quartieren und Stadtteilen. Wir müssen vor allem die Strukturen in solchen Quartieren fördern und zum Beispiel Begegnungsmöglichkeiten und Begegnungsorte schaffen. Wir können überall dort Vorurteile abbauen, wo Begegnungen stattfinden. Wir brauchen eine soziale Integration, aber natürlich auch Teilhabemöglichkeiten in allen relevanten Bereichen.

Die Praxis zeigt, dass Neuzuwanderer oft in Quartiere kommen, in denen ohnehin schon relativ viele sozial benachteiligte und marginalisierte Menschen leben. Diese Situation ist nicht immer einfach.

In der Tat stehen solche sogenannten Brennpunkt-Stadtteile aus den unterschiedlichsten Gründen immer wieder in der Diskussion, zum Teil auch, weil sie über Jahre von Politik und Stadtentwicklung vernachlässigt worden sind. Dennoch haben solche Quartiere auch Ressourcen, beispielsweise weil dort neben vielen anderen Initiativen auch Migrantenselbstorganisationen aktiv sind, die ehrenamtlich Beratungsangebote anbieten und sich um die Neuzuwanderer kümmern. Dort wohnen und leben Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, die ihre positiven wie negativen Erfahrungen weitergeben können. Problematisch für einen Stadtteil – und insbesondere für die dort lebenden Kinder und Jugendlichen – ist es, wenn vor Ort die Vorbilder fehlen, die beispielsweise einer geregelten Arbeit nachgehen.

Wie lassen sich die Quartiere konkret stärken?

Erst einmal müsste es natürlich darum gehen, die Menschen gesamtstädtisch gerechter zu verteilen und nicht die Fehler der »Gastarbeiterzeit« zu wiederholen, sie ausschließlich in bestimmten Quartieren und segregierten Stadtvierteln unterzubringen. Dann gibt es ja bereits durch die Soziale-Stadt-Programme bundesweit zahlreiche erprobte und erfolgreiche Ansätze und Formate. Es geht unabhängig von der Flüchtlingsfrage beispielsweise darum, die Netzwerkstrukturen in den Stadtvierteln zu reaktivieren und zu stärken. Das heißt auch, die Träger und Organisationen der Stadtteilarbeit zu unterstützen, Flüchtlingsinitiativen genauso wie die Kirchengemeinden vor Ort, auch durch mehr Geld und mehr Personal. Aber auch dadurch, dass Parallelstrukturen vermieden werden. Die unterschiedlichen Akteure und Träger müssen wissen, was der andere tut, es geht um möglichst miteinander abgestimmte sozialraumorientierte Prozesse, aus denen vielleicht auch gemeinsame Aktionen entwickelt werden.

Was ist zu tun, um die Teilhabe zu stärken? Was sind Ihre Erfahrungen?

Teilhabe zu stärken, ist natürlich eine ganz wichtige Frage, die sich allerdings nicht nur an Geflüchtete und Zuwanderer, sondern an alle im Quartier wohnenden Menschen richtet. Ich persönlich habe gute Erfahrungen mit gemeinwesenorientierter Stadtteilarbeit gemacht, wir müssen die Menschen in die Quartiersentwicklung mit einbeziehen. In Düren-Nord haben wir beispielsweise 2006 eine Stadtteilvertretung gegründet, das wichtigste Gremium auf Stadtteilebene mit 32 Mitgliedern. Darunter waren Vertreter lokaler Vereine und örtlicher Institutionen ebenso wie Gewerbetreibende, Bewohnerinnen und Bewohner des Quartiers mit und ohne Migrationshintergrund. Das Gremium hat mit seinen Arbeits- und Projektgruppen über die Zukunft des Stadtteils mitentschieden. In Stadtteilvertretungen arbeiten unterschiedliche Menschen mit unterschiedlicher Herkunft und Religion gemeinsam für dasselbe Ziel. Gute Erfahrungen gibt es auch mit Sprachcafés als dialogische Begegnungsorte, in denen unter Anleitung von Moderatoren Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenkommen und miteinander reden. Überhaupt ist Sprache ein Schlüssel für erfolgreiche Integration und für Teilhabe. Gleichzeitig müssen aber auch die Einwohnerinnen und Einwohner selbst aktiv werden, die Zukunft des Quartiers liegt in ihren eigenen Händen. Damit sich ein Stadtteil nach vorne bewegt, müssen auch sie sich bewegen, das ist ganz wichtig. Dafür brauchen wir aber gute Beteiligungskonzepte.

Wie sehen Sie die weitere Entwicklung im Themenfeld Integration?

Integration ist als Querschnittsaufgabe zu verstehen. Und Integration beginnt mit jedem Einwanderer aufs Neue. Sie ist ein Dauerprozess, der auch Konflikte mit sich bringt, das ist ganz normal. Grundsätzlich müssen wir das Wir-Gefühl stärken, im Quartier, in der Nachbarschaft. Aber Integration ist kein Kurzstreckenlauf, sondern ein Marathon mit Hürden. Integration braucht vor allem konkrete Taten, denn die besten Appelle und Konzepte nutzen wenig, wenn die personellen, finanziellen und politischen Rahmenbedingungen nicht vorhanden sind.