mitarbeiten (3/2019)

»Dialog ist die Mutter der Demokratie«

Demokratie lebt vom Dialog. Ein demokratischer Dialog verschiedener Akteure erfordert in der Regel die Bereitschaft und den Mut, sich offen auf ein Gespräch über Grenzen des eigenen Verständnisses und der eigenen Positionen hinweg einzulassen. Um jedoch miteinander ins Gespräch kommen zu können, sind neben Kompetenzen und Ressourcen auch Orte und Räume vonnöten, an denen Menschen sich treffen und austauschen können. Was Dialog mit Zuhören, Verständnis, Vertrauen, Respekt und nicht zuletzt mit Demokratie zu tun hat, erklärt der Politikwissenschaftler Roland Roth.

Dialog ist einer der Schlüsselbegriffe, wenn von Demokratie und Bürgerbeteiligung die Rede ist. Was ist in diesem Kontext mit Dialog gemeint?

Roland Roth: Dialog ist der Austausch von Meinungen, von Ideen und Vorstellungen, die sich im Gespräch entwickeln und verändern können. Dialog ist das Grundprinzip demokratischer Verständigung. Dialog setzt Empathie voraus, Dialog bedeutet, sich auf die Perspektiven des anderen einzulassen. Wenn das gelingt, kann es sein, dass man die eigenen Präferenzen und Vorstellungen verändert.

Wie steht es um die Dialogfähigkeit in der Gesellschaft?

Der Dialog ist zu einem knappen Gut geworden. Das hat auch mit veränderten Arbeitsprozessen zu tun, die immer weniger auf Dialoge, auf Gespräche, auf Zusammenarbeit mit anderen Menschen angewiesen sind. Eine weitere Quelle ist die Mediatisierung in dem Sinne, dass Dialoge und Gespräche immer stärker medienvermittelt sind. Das hängt auch mit der Ausbreitung der neuen sozialen Medien oder eher »unsozialen« Medien zusammen. Heute ersetzen alle möglichen Formen der Internet-Kommunikation zunehmend das direkte Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Dadurch gehen zentrale demokratische Qualitäten verloren, zum Beispiel der Aufbau von Vertrauen, das für politische Kontexte besonders wichtig ist. Ich kann Vertrauen nur mit Menschen und zu Menschen entwickeln, wenn ich direkt mit ihnen kommuniziere. Ich kann das nicht abstrakt in irgendeinem medialen Zusammenhang tun, in dem Wut-Kommunikation, Vorurteile oder Vorbehalte dominieren.

Es ist zentral für die demokratische Qualität des Dialogs, gute Argumente für die eigene Perspektive, für die eigenen Vorschläge zu liefern, aber auch die Bereitschaft mitzubringen, nicht nur Meinungen auszutauschen und nicht nur ja oder nein zu irgendeiner Ansicht zu sagen, sondern sich genauer anzuhören: Weshalb ist die oder der Betreffende denn ganz anderer Ansicht als man selber? Dialog ist die Mutter der Demokratie. Je knapper diese Ressource im demokratischen Prozess ist, desto geringer ist die demokratische Qualität.

Was ist notwendig, um Dialoge führen zu können, welche Kompetenzen und Ressourcen sind dafür nötig?

Man muss den Dialog im Grunde genommen von klein auf lernen. Beteiligungsprozesse, in Kitas, in Kinderstuben aller Art, in der Familie, sind dafür notwendige Lernorte. Sich eine Meinung zu bilden, sie auch in der Auseinandersetzung begründen und andere überzeugen zu können, diese Grunderfahrung zu stärken, ist wesentlich. Weil sie auch bedeutet: ich nehme mich selber ernst und werde ernstgenommen. Aber auch: Du bist mir wichtig genug, Dir zuzuhören und ich gehe davon aus, dass Du etwas zu sagen hast, was für mich Bedeutung hat. Und von daher ist es sehr wichtig, Orte zu schaffen, an denen das möglich ist. Und das umso mehr, je heterogener und vielfältiger unsere Gesellschaften werden.

Dazu braucht es natürlich auch eine Sprache, die der Verständigung dient und nicht der Aus- und Abgrenzung. Es ist für mich ein beruhigendes Zeichen, dass in den letzten Jahren große Energie darauf verwendet wird, solche Dialoggelegenheiten zu schaffen, gerade auch im Hinblick auf Migrantinnen und Migranten. Niedrigschwellig und ohne gezielte inhaltliche Vorgaben. Das kann zum Beispiel die Organisation eines gemeinsamen Essens sein, das den Beteiligten die Chance bietet, Gespräche zu führen, die nicht anspruchsvoll sein müssen, aber in der wechselseitigen Anerkennung münden können. Sonst landen wir alle in Echokammern, in denen wir uns mit einigen wenigen Gleichgesinnten wechselseitig bestätigen, dass wir die gleichen Ansichten haben.

Wie kann es gelingen, solche Dialogorte zu stärken?

Wenn wir Demokratie stärken wollen, dann kommt es nicht nur darauf an, eine Dialogstruktur zu ermöglichen, sondern auch darüber nachzudenken, wie wir öffentliche Räume und Institutionen, zum Beispiel Schulen und Kindergärten, so gestalten können, dass solche Gespräche möglich sind. Es geht darum, öffentliche Räume so zu gestalten, dass man sich gerne dort aufhält und Begegnungen erleichtert werden. Da kann Architektur viel leisten.  Es lässt sich sehr viel dafür tun, öffentliche Orte lebbar zu gestalten. Ein Weg ist beispielsweise, öffentliche Räume mit künftigen Nutzerinnen und Nutzern zu planen und sie damit zu freundlicheren, gesprächseinladenden Orten zu machen.

Welche weiteren Ansatzpunkte gibt es? Was können wir dafür tun, dass Dialog noch stärker gelernt, geübt und praktiziert wird?

Wir müssen noch viel stärker – angefangen beim Bundestag bis in die Kommunalparlamente hinein – darüber nachdenken, wie wir Dialogelemente stärken können, um überzeugend zu sein. Repräsentation lebt davon, dass Argumente ausgetauscht werden, Pro und Contra möglich ist, dass Alternativen öffentlich verhandelt werden.

Daneben finde ich es hoffnungsvoll, dass einige Ministerien oder Bundesländer anfangen, ihre Gesetzgebungsprozesse und ihre Gesetzentwürfe sehr viel stärker öffentlich zur Debatte zu stellen und einen Diskussionsprozess, beispielsweise mit der Zivilgesellschaft, zu organisieren und zu ermöglichen. Viele politische Akteure – vor allem auf lokaler Ebene –  versuchen, einen stärkeren diskursiven Unterbau für ihre Tätigkeit zu finden.

Es gibt noch viel zu tun, um glaubhaft zu machen, dass hier wirklich eine breitere Repräsentation gesellschaftlicher Interessen in einer fairen Weise stattfindet, die dann – auf der Suche nach der besseren Lösung – auch Demokratie wieder neu erfahrbar macht. Gute Beteiligungsprozesse im Vorfeld von Gesetzgebungsverfahren und Vorhaben sind ein ganz entscheidender Mechanismus, um Dialoge im politischen Raum in einem urdemokratischen Sinne zu stärken.

Das vollständige (Video-)Interview in Kürze unter www.mitarbeit.de/publikationen/video_gespraeche