mitarbeiten (4/2000)

Gesetzentwurf im Internet – Volksentscheid auf Bundesebene?

Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Dieser Satz mag in den Sinn kommen, wenn man an die Entwicklung der Diskussion über die Einführung direktdemokratischer Elemente in unser Verfassungssystem denkt. Vor gar nicht allzu langer Zeit noch als eher exotische Vorschläge abgetan, wurden Bürgerbegehren und -entscheid längst in die Kommunalverfassungen fast aller Bundesländer eingeführt und Möglichkeiten zu Plebisziten in den meisten Länderverfassungen verankert. Nun ist die Diskussion auch auf Bundesebene wieder neu entfacht. Wie aber könnte eine Verfassungsänderung zugunsten der Einführung von Volksentscheid und Volksbegehren auf Bundesebene aussehen?

Mit dem sogenannten Hofgeismarer Entwurf liegt hierzu bereits seit Anfang der neunziger Jahre ein abwägend begründeter Vorschlag und der Entwurf für ein rechtstechnisch ausformuliertes Ausführungsgesetz vor. Vor 10 Jahren waren auf Einladung der Stiftung MITARBEIT und der Evangelischen Akademie Hofgeismar im Herbst 1990 namhafte Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Initiativen zusammengekommen, um einen gemeinsamen Vorschlag zu erarbeiten. Dieser Entwurf scheint vor dem Hintergrund der neu entfachten Diskussion heute aktueller denn je.

Die Teilnehmenden verständigten sich damals auf das Quorum von 100.000 Stimmberechtigten, die das Recht haben sollen, den Erlaß, die Veränderung oder die Aufhebung eines Gesetzes zu beantragen. Gibt der Bundestag diesem Volksantrag nicht statt, können die Initiator(inn)en die Durchführung eines Volksbegehrens beantragen. Erreicht dieses die Unterstützung von 2,5 Millionen Stimmberechtigten, findet, sofern das Parlament sich den Vorschlag nicht zu eigen macht, ein Volksentscheid statt.

Beim Volksentscheid entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Änderungen des Grundgesetzes bedürfen der Zustimmung von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens jedoch von einem Drittel der Stimmberechtigten. Zulässig sind nur Volksanträge, die nicht gegen geltendes Verfassungs- und Völkerrecht verstoßen.

Den Betreiber(inne)n des Volksbegehrens sind zur Gewährleistung von Chancengleichheit ausreichende Möglichkeiten zur Bekanntmachung ihres Anliegens sowie die Erstattung der notwendigen Kosten für eine angemessene Information der Bürgerschaft einzuräumen.

Am umstrittensten war auch in Hofgeismar die Frage der Quoren. »Einerseits sollen sie nicht zu niedrig sein, damit nicht allzu häufig und womöglich über nebensächliche Themen Abstimmungen stattfinden. Andererseits darf das Quorum auch nicht zu hoch angesetzt werden, sonst kommt es nie oder kaum je zum Volksentscheid«, resümiert Otmar Jung, einer der federführenden Autoren. Die Zahlen von 100.000 Unterschriften für den Volksantrag und 2,5 Millionen für den Erfolg eines Bürgerbegehrens sind ein Kompromiß und liegen deutlich über denen für das Erfolgsquorum von 1 Million für das Volksbegehren im Vorschlag der bundesweiten Initiative Mehr Demokratie e.V., die seit Jahren die Diskussion über die Direkte Demokratie vorantreibt.

Der Hofgeismarer Entwurf sieht bei nicht verfassungsändernden Volksentscheiden bewußt kein Zustimmungsquorum vor, um Abstimmungsabstinenz und damit verbundene Gefahren (z.B. Boykottaufrufe, Wahlgeheimnis etc.) nicht zu begünstigen. Abgelehnt werden auch alle verkürzten Formen plebiszitärer Beteiligung, bei denen dem Volkssouverän entweder keine volle Entscheidungskompetenz (bloß konsultative Volksbefragung, inhaltliche Beschränkungen) zugestanden oder die Initiative zur Volksabstimmung in die Hände eines Organs des repräsentativen Systems gelegt wird.

Trotzdem: Die vorgeschlagene Einführung der Volksgesetzgebung wäre kein Ersatz, sondern eine Ergänzung unseres repräsentativen Systems. »Die Einführung der Volksgesetzgebung müßte von Parteipolitikern, denen Leistung und Legitimität des Staatswesens angesichts wachsender Probleme angelegen ist, nicht als Schmälerung, ihrer unverzichtbaren Funktion verstanden werden, sondern als Ergänzung und Entlastung«, schreiben Diemut Schnetz und Tilman Evers in ihrer Einführung. »Die Möglichkeit direktdemokratischer Mitsprache führt weder im Guten noch im Schlechten zu einer anderen Republik; sie ist nicht risikolos, auch kein Allheilmittel, aber ein jetzt anstehender Schritt zu erweiterter demokratischer Teilhabe und Mitverantwortung.«

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