mitarbeiten (4/2001)

Tagung »Modelle der lokalen Bürger(innen)beteiligung« – Politik als Experiment

Experimente sind keine Allheilmittel, aber sie können ein ganz wichtiges Hilfsmittel sein, die Demokratie zu erneuern und Reformprozesse in Gang zu setzen. Dies war das Fazit des Beitrages von Aino Ryynänen, Professor am Institut für Kommunalwissenschaften an der Universität Tampere in Finnland, während der Bundestagung »Modelle der lokalen Bürger(innen)beteiligung«. Inzwischen zum sechsten Mal als Kooperation von Stiftung MITARBEIT und Evangelischer Akademie Loccum veranstaltet, kamen Anfang September wieder Interessierte aus Politik, Verwaltung, Bürgerinitiativen und Wissenschaft zusammen, um neue Formen politischer Partizipation zu diskutieren und Erfahrungen auszutauschen.

Ryynänen stellte das finnische Reformmodell vor. Finnland, lange Zeit nicht unbedingt ein Vorreiter im Bereich kommunaler Selbstverwaltung, hat Anfang der neunziger Jahre mit den so genannten Freikommunenexperimenten einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht. Nach dem Vorbild anderer skandinavischer Länder hatten Kommunen in einem sehr viel weiteren Rahmen, als es die bei uns bekannten Experimentierklauseln zulassen, die Möglichkeit, Freistellungen von bestimmten gesetzlichen Regelungen und Auflagen zu erhalten, um neue Lösungswege zu erproben.

Die Freikommunenversuche führten zu einer Vielzahl von Reformen, u.a. einem neuen Schulrecht (1991) und einem neuen kommunalen Selbstverwaltungsrecht (1995), das den Kommunen wesentlich größere Handlungsspielräume gibt.

Die durchgeführten Evaluationsstudien fanden den Haupteffekt der Freikommunenversuche weniger in der Entwicklung ganz neuer Ideen, als vielmehr in einer Art »Bulldozer-Effekt« für Veränderungsvorschläge, die bereits seit längerem diskutiert worden waren und zusätzliche Legitimation erhielten. Die Freikommunen-Projekte lieferten zudem ein Beispiel dafür, wie Reformprozesse in einem offenen Verfahren von unten nach oben gestaltet werden können.

Bezogen sich die Freikommunenversuche vor allem auf das Verhältnis Staat und Kommunen, so startete das finnische Innenministerium Ende der neunziger Jahre in ähnlicher Weise ein so genanntes »Partizipationsprojekt«. Ziel ist es, in den Gemeinden die Diskussionskultur, Planungszusammenarbeit, bürgerschaftliche Mitwirkung auf Stadtteilebene zu entwickeln und Jugendräte zu fördern. Die Experimente – darunter auch ein Projekt zur Aufstellung lokaler Demokratiebilanzen – sind noch nicht abschließend ausgewertet, haben aber schon jetzt nachhaltige Spuren in den beteiligten Kommunen hinterlassen.

Einen ganz anderen Akzent setzte Verner Denvall, Dozent an der Sozialhochschule Lund in Südschweden. Denvall, der sich seit Jahren mit Methoden der politischen Aktivierung befasst, zeigte die praktischen Hindernisse und Schwierigkeiten auf, die sich aus der Logik des Beharrens bei der Veränderungsarbeit ergeben. Wirksame Veränderungen sind nach seiner Meinung nur möglich, wenn sie von unten kommen.

Einer strukturkonservativen Veränderung stellt Denvall das Modell der strukturverändernden Steuerung gegenüber. Erstere ist vom »mehr desselben«-Denken geprägt. Erfolgreiche Lösungen der Vergangenheit werden aber vielfach selbst zu Problemen, wenn sie nicht überprüft und an neue Bedingungen angepasst werden. Strukturverändernde Steuerung enthält dagegen die Bereitschaft zu Experiment, Risiko und Entwicklung von Visionen. Denvall versucht in Schweden in Kommunen und unterschiedlichen Organisationen, unter anderem mit der Methode Zukunftswerkstatt nach Robert Jungk und mit Zukunftskonferenzen nach Marvin Weisbord Entwicklungsprozesse anzustoßen und »common ground« für Veränderungen zu schaffen. Es kommt aber nicht allein auf die Methode an, sondern auf die Bereitschaft, ihre Ergebnisse auch tatsächlich umzusetzen.

Neben der Diskussion internationale Erfahrungen war die Bundestagung aber vor allem auch wieder ein Forum für Erfahrungsaustausch und Diskussion über unterschiedliche methodische Ansätze in der Bürger(innen)beteiligung. Andreas von Zadows stellte in seinem Referat  das Verfahren der Perspektivenwerkstatt in den Mittelpunkt (siehe auch Seite 3). Im Rahmen der Methodenwerkstätten ging es u.a. um lebendigere Bürger(innen)versammlungen (Moderatorin: Maria Lüttringhaus, Essen), wirksame Anspracheformen im Stadtteil (Michael Stiefel, Berlin), Bürger(innen)beteiligung als Prävention gegen Rechtsextremismus (Markus Birzer, Hamburg), Mediation in der Stadtplanung (Bettina Oppermann, Stuttgart), Erfolgskriterien und Erfolgsmessung in der Bürger(innen)beteiligung (Peter-Henning Feindt, Hamburg und Angela Oels, Berlin) sowie Bürgerengagement im ländlichen Raum (Hans-Heinrich Hackmann und Werner Heydorn).

Weitere Beispiele für das breite Spektrum innovativer Modelle der Bürger(innen)beteiligung präsentierten zudem Heide Hoffmann mit der Bewegungslandkarte als Instrument der Kinder- und Jugendbeteiligung sowie Cem Sey und Iris Müller mit einer interkulturellen Zukunftswerkstatt.

Auch im nächsten Jahr wird es wieder die Tagung »Modelle der lokalen Bürger(innen)beteiligung« geben. Termin ist der 11. bis 13. Oktober 2002

Weitere Themen

  • <LINK 117>Perspektivenwerkstatt</LINK>
  • <LINK 118>Von guten Beispielen lernen</LINK>