mitarbeiten (4/2003)

Tagung in Loccum – Politik und Verwaltung für mehr Bürger(innen)-beteiligung gewinnen

»Es gibt zu wenig ›echte‹ Möglichkeiten der Mitgestaltung von gemeindlichen Prozessen. Resultat dieses Mangels an Beteiligung sind enttäuschte Erwartungen und eine daraus resultierende ›Ohne-mich-Haltung‹. Der Bürger zieht sich zurück. Hierin liegt nicht zuletzt eine Gefahr für die Stabilität von Demokratie in unserem Land.«

Mit deutlichen Worten plädiert Dr. Yvonne Kempen, Bürgermeisterin der Stadt Meckenheim (Rheinland), für ein anderes Selbstverständnis von Politik und für mehr Bürger(innen)betei­ligung. »Ziel ist nicht die Abschaffung der repräsentativen Demokratie – eine Entmachtung der Politik. Nein, Ziel ist die Erweiterung der mittelbaren Demokratie um Elemente der direkten Demokratie. Wo gemeinsam an der Lösung von Problemen gearbeitet wird, lernen alle Beteiligte, mit gegensätzlichen Meinungen und Interessenkonflikten umzugehen. Das ist gelebte Demokratie.«

Den Worten hat sie längst schon Taten folgen lassen. Unter dem Motto »Einmischen erwünscht« werden seit ihrem Amtsantritt vor vier Jahren in der 26 000-Einwohnerstadt mit großem Erfolg neue Wege der Bürgerbeteiligung beschritten, die auch überregional Beachtung gefunden haben. Dazu gehören u.a. Planungszellen, Bürgerforen in den Stadteilen, Zukunftswerkstätten und Bürgerprojektgruppen. Langwierige Konflikte konnten im breiten Konsens gelöst werden, viele neue Ideen und Anregungen aus der Bürgerschaft flossen in Entscheidungen ein, und die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Stadt ist merklich gewachsen.

Beim Abschlusspanel der diesjährigen Tagung »Modelle der lokalen Bürger(innen)beteiligung« in Loccum diskutierte Yvonne Kempen mit dem Gütersloher Beigeordneten Ansgar Wimmer darüber, wie Politik und Verwaltung für mehr Bürger(innn)beteiligung gewonnen werden können. Wimmer war vor seiner jetzigen Tätigkeit Leiter des Projektes »Bürgerorientierte Kommune« (CIVITAS) bei der Bertelsmann-Stiftung. Vieles aus dieser Zeit ist in die neue Tätigkeit eingeflossen. Beispiele: die Erstellung eines Beteiligungsberichtes, die Durchführung einer Bürgermeile, die Einrichtung eines Jugendparlamentes sowie neue Formen lokaler Anerkennungskultur für das bürgerschaftliche Engagement. Es gab aber auch Rückschläge, wie Wimmer freimütig einräumt. Trotzdem lautet sein Fazit: »Eine stärkere Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an ihren eigenen Belangen ist alternativlos.«

Kempen und Wimmer waren sich darin einig, daß die Entwicklung von mehr Bürgerorientierung ein Prozess ist, der Geduld und einen langen Atem braucht. Erfolgreiche Praxiserfahrungen und -beispiele sind ganz wichtige Argumentationshilfen bei der erforderlichen Überzeugungsarbeit in Politik und Verwaltung. Notwendig ist aber auch ein politischer Grundkonsens zwischen den Parteien der Stadtpolitik sowie zwischen Stadtpolitik und Verwaltung über den Stellenwert, den bürgerorientiertes Handeln besitzt. Wimmer: »Nur wenn Bürgerbeteiligung und die Förderung bürgerschaftlichen Engagements nicht zu einem Spielball politischer Interessen in der Kommune werden, kann das Vorhaben einer stärkeren demokratischen Teilhabe für Bürgerinnen und Bürger vor Ort Gestalt gewinnen.«

Was passieren kann, wenn dieser Grundkonsens fehlt und ein eigentlich erfolgreich verlaufenes Mediationsverfahren (100% Zustimmung aller Beteiligten zum Mediationsergebnis) in die Mühlen eines Kommunalwahlkampfes gerät, hatte Tags zuvor der Nürnberger Stadtplaner und Moderator Reinhard Sellnow an einem Fallbeispiel aus einer anderen Kommune geschildert. Gemeinsam mit den Teilnehmenden diskutierte Sellnow, der zu den erfahrensten Mediatoren in Deutschland gehört, über Möglichkeiten, solche externen Einflüsse auszuschalten oder wenigstens gering zu halten.

Die nun bereits zum achten Mal durchgeführte Tagung in Loccum bot wieder ein breites Forum des Austauschs und der Vernetzung für an Fragen der Bürger(innen)beteiligung Interessierte aus dem ganzen Bundesgebiet. Zu weiteren Schwerpunktthemen gehörten diesmal »Bürgerhaushalt«, »Bürgerpanels«, »Gemeinsinn-Werkstatt« und »Die Kunst, sich nicht über den Runden Tisch ziehen zu lassen«.

Thesenpapiere zu einzelnen Beiträgen können in der Geschäftsstelle bestellt werden. Die Tagung »Modelle der lokalen Bürger(innen)beteili­gung« findet im nächsten Jahr vom 10. bis 12. September 2004 wieder in Loccum statt.

Weitere Themen

  • <LINK 90>Tagung in Loccum</LINK>
  • <LINK 92>Aktivierende Befragung</LINK>
  • <LINK 93>Abenteuer Vorlesen</LINK>