mitarbeiten (1/2004)

Streitschlichtung an Schulen: Es geht auch anders!

Wenn es Zoff gibt an einer Schule, sind in erster Linie die Lehrerinnen und Lehrern für die Befriedung verantwortlich. Einen anderen Weg der Beilegung von schulischen Streitfällen gehen Schulen, wenn sie Jugendliche zu »Streitschlichtern« ausbilden. Der 1. Streitschlichterkongress für Schülerinnen und Schüler in Streitschlichterprojekten widmete sich der Bestandaufnahme, der Vertiefung des Know-how und dem Erfahrungsaustausch der Jugendlichen und der sie begleitenden Lehrerinnen und Lehrer.

Das »Wunderbare ist, dass inzwischen so viele Schulen in Deutschland das Modell der konstruktiven, gewaltfreien Konfliktlösung über zahlreiche Streitschlichterprojekte in den Schulalltag integriert haben«, resümierte Detlef Beck, Geschäftsführer des Bundes für soziale Verteidigung (BSV) in Minden, der die Idee des Kongresses auf den Weg gebracht hat. Darin schwingt auch Überraschung mit. Denn dass das Interesse so groß sein würde, kam für die Organisatoren – neben dem BSV das Bildungswerk Umbruch in Dortmund und die Stiftung MITARBEIT – unerwartet. Mehr als 500 Schülerinnen und Schüler aus der gesamten Bundesrepublik, aus allen Schulformen wollten dabei sein. Platz gab es »nur« für 150, die aus allen Bewerbungen so ausgewählt wurden, dass aus jedem Bundesland und aus jeder Schulform Schülerinnen und Schüler auf dem Kongress vertreten waren.

Streitschlichter vermitteln zwischen verschiedenen Personen oder Gruppen mit dem Ziel, einen Konflikt dauerhaft zu lösen. Seit ungefähr zehn Jahren gibt es dieses Modell in Deutschland. Seitdem sind viele Projekte in der ganzen Bundesrepublik, in allen Schulformen gegründet worden. Damit geben die Jugendlichen eine ganz praktische und alltägliche Antwort auf Konflikte und Gewalt in der Schule.

Allen Streitschlichtungsprojekten gemeinsam ist die Idee und die Haltung der gewaltfreien Konfliktlösung. In der konkreten Umsetzung gibt sehr verschiedene Modelle. Ein wesentliches Problem ist dabei die Verankerung im Schulalltag: Ist das Projekt im Stundenplan eingeplant? Ziehen das Kollegium und die Schulleitung mit? Gibt es Finanzierungsquellen und Standards, um die Ausbildung der Schülerinnen und Schüler zu bezahlen? Verfügen die Schüler über einen Raum, in dem sie ungestört arbeiten können?

»Interessant war für uns, wie das Verhältnis der Streitschlichtung zu den anderen an Schulen üblichen und praktizierten Konfliktlösungsverfahren wie Recht und Macht ist«, sagt Detlef Beck. »Gibt es Ideen und Ansätze, die über das Bisherige und Bewährte hinausgeht und andere Akteure in Schule einbezieht?«

Daniel Waterreus, 16 Jahre, ist seit einem Jahr Streitschlichter an der Kurt-Tucholsky-Gesamtschule in Minden. Er ist einer, der stellvertretend für 14 Mitschüler und Mitschülerinnen seiner Streitschlichter-AG am Kongress teilnahm. »Ich möchte gerne zum sozialen Leben der Schule beitragen«, sagt Daniel auf die Frage nach seiner Motivation. »Ich kann damit anderen Schülern helfen und es gibt einen Vermerk über das Engagement auf dem Zeugnis. Das ist nicht schlecht für eine spätere Bewerbung.« Es sind aus seiner Erfahrung die kleinen Auseinandersetzungen, die eskalieren und dann zu echten Problemen führen. Sein erster Fall war ein Streit um einen Tintenkiller. »Viele stellen sich kompliziert an, » sagt er, »aber wenn Sie Hilfe in Anspruch nehmen, dann ist das Problem meist schnell gelöst.« Für Daniel war es wichtig, Ideen zu bekommen, die er später in seinem Projekt umsetzen kann. Sein größtes Problem ist, dass – obwohl alle in seiner AG engagiert dabei sind – noch viel zu wenige Schüler und Schülerinnen das Angebot nutzen. Denn die Breitwilligkeit zu den Streitschlichtern zu kommen ist noch nicht so hoch, wie es sich die Aktiven an der Kurt-Tucholsky-Gesamtschule wünschen.

»Streitschlichterinnen und Streitschlichter zeigen, dass es anders geht«, schreibt Renate Schmidt, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in ihrem Grußwort an die Jugendlichen. Denn, so die Ministerin, die Jugendlichen helfen, Konfrontationen abzubauen, sie zeigen Alternativen zur Gewalt auf, sie zeigen, dass Stärke nicht gleichbedeutend mit körperlicher Kraft ist und geben anderen Anlass, das eigene Handeln zu reflektieren. Ministerin Schmidt: »Wer früh lernt, Auseinandersetzungen zu einem konstruktiven Ende zu führen, wird davon ein Leben lang profitieren.«

Ende 2004 soll ein Kongress der Lehrer(innen) und Multiplikator­(in­n)en von Streitschlichtungsprojekten stattfinden (10.–12. Dezember 2004). Und spätestens im Jahr 2005 ist der 2. Streitschlichterkongress mit Schülerinnen und Schüler geplant.

Nähere Informationen bei Claudia Leinauer (leinauer(at)mitarbeit.de) in der Bundesgeschäftsstelle, beim Bund für Soziale Verteidigung, Detlef Beck, Schwarzer Weg 8, 32423 Minden, Tel.: (05 71) 2 94 56, E-Mail: soziale_verteidigung(at)t-online.de oder im Internet unter www.streitschlichtungskongress.de, www.buergergesellschaft.de.

Weitere Themen

  • <LINK 73>Wo bleibt die Zeit?</LINK>
  • <LINK 74>Transparenz im Spendenwesen</LINK>