Projekt des Monats (04/2017)

»Sprachmiteinander um Afro-Mülheim« – Pidgin-Englisch verbindet Kulturen

Dieses interkulturelle Sprachprojekt für Studierende am Englischen Seminar der Ruhr-Universität Bochum und subsaharisch-afrikanische Migrant/innen, die in erster und zweiter Generation in Mülheim leben, schuf bei den Studierenden ein Bewusstsein für die spezifischen sprachlichen Herausforderungen der afrikanischen Migrantengruppe. Die jungen Migrant/innen wiederum setzten sich kreativ mit ihrer Mehrsprachigkeit auseinander und wurden für die Bedeutung einer guten Sprachbeherrschung für Schule und Beruf sensibilisiert. Im Rahmen verschiedener Aktivitäten befassten sich die Teilnehmenden mit den charakteristischen sprachlichen Eigenschaften der Gemeinschaft. Dazu dienten Gesprächsrunden und gemeinsame Unternehmungen wie Musikworkshops und eine Fotoreportage. Eine abschließende Ausstellung wurde in der Volkshochschule und der Universitätsbibliothek gezeigt.

Migrantische Gemeinschaften sind in vielen Kommunen selbstverständlicher Teil der Stadtgesellschaft. Sie gestalten mit Vereinen und Geschäften das öffentliche Leben mit und tragen zu einem vielfältigen Stadtbild bei. So auch in Mülheim an der Ruhr. Hier leben zwei Generationen einer subsaharisch-afrikanischen Diasporagemeinschaft. Das Projekt »Sprachmiteinander um Afro-Mülheim« brachte Mitglieder dieser Gemeinschaft und Studierende der Ruhr-Universität Bochum zusammen und ermöglichte eine (wissenschaftliche) Auseinandersetzung mit den kulturellen und sprachlichen Eigenschaften der Gemeinschaft. Es wurde vom Lehrstuhl für Englische Sprachwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum zwischen Oktober 2015 und Januar 2017 durchgeführt.

Kooperationspartner & Teilnehmer/innen

Die Ruhr-Universität Bochum kooperierte eng mit dem Verein Afro-Mülheimers e.V., über den die Projektteilnehmer/innen aus der afrikanischen Gemeinschaft im Schneeballprinzip gewonnen wurden. Das Projekt wurde in bestehenden Netzwerken der Diaspora (Kirchengemeinden, Vereine, Geschäfte, Mund-zu-Mund Propaganda) und in der Studierendenschaft (Homepage des Instituts, Aushänge) beworben. Gemeinsam mit der afrikanischen Gemeinschaft wurde in dieser Zeit auch der Zeitplan konkretisiert, um diesen mit den sonstigen Aktivitäten der Gemeinschaft zu koordinieren. Am Projekt nahmen verteilt über den gesamten Zeitraum, d.h. über drei Semester, insgesamt 16 Studierende sowie sieben Jugendliche der zweiten Einwanderergeneration, sechs junge Erwachsene und 13 ältere Erwachsene der jeweils ersten Generation teil. In der zweiten Projektphase waren außerdem die kamerunische katholische Gemeinde in der St. Mariae Rosenkranz Kirche Mülheim/Ruhr, die Presbyterian Church Ruhrgebiet und die Mülheimer Pfingstgemeinde beteiligt.

Ziele & Erwartungen

Das Projekt zielte darauf ab, langfristige Strategien für den Abbau von Kontaktschwellen und für ein stärkeres Miteinander der Diasporagemeinschaft und der übrigen Bevölkerung Mülheims sowie der Ruhr-Region zu schaffen. Darüber hinaus sollte das Projekt der zweiten Generation Zugänge zum tertiären Bildungssystem (Berufsfachschulen, Universitäten etc.) aufzeigen und ein Bewusstsein für ihre Mehrsprachigkeit schaffen. Gleichzeitig wurden Mitglieder der ersten Diasporageneration beteiligt, um im Projekt von deren Erfahrungen zu profitieren.

Durchführung

Zunächst stand das Kennenlernen im Mittelpunkt. Hierzu fanden im Dezember 2015 und im Januar 2016 zwei von Afro-Mülheimers e.V. organisierte Treffen in Mülheim statt. Bereits während des ersten Treffens zeigte sich, dass sich zahlreiche Mitglieder der afrikanischen Gemeinschaft wenig integriert fühlten. Bedingt durch zahlreiche berufliche Verpflichtungen – nicht zuletzt um die Verwandschaft im Heimatland finanziell zu unterstützen – bleibt ihnen oft wenig Zeit, Aktivitäten nachzugehen, bei denen sie stärker mit der übrigen Bevölkerung in Kontakt kommen. Entsprechend positiv reagierte die Gemeinschaft auf das Projekt.

Es zeigte sich aber auch, dass zahlreiche afrikanische Migrant/innen vom deutschen Schulsystem enttäuscht waren. Die Empfehlungen am Ende der Grundschulzeit empfanden sie als ungerecht und das System insgesamt als undurchsichtig. Als Konsequenz wurde von zwei Studierenden für das zweite Treffen spontan eine Präsentation zu den unterschiedlichen Schulformen und den vielen Möglichkeiten des Zugangs zu Abitur und Universität vorbereitet. Es gelang dabei, Verständnis für die Empfehlungen der Lehrer/innen zu schaffen und die vielfältigen Möglichkeiten eines erfolgreichen Einstiegs ins Berufsleben zu vermitteln.

Die Sorgen der ersten Generation wurden nicht unbedingt von der zweiten geteilt, da diese oft andere Vorstellungen von ihrem Bildungsverlauf hat als ihre Eltern. Zwei ausschließlich von den Studierenden und den Jugendlichen organisierte Gesprächskreise an der Ruhr-Universität ermöglichten, sich unbeobachtet über unterschiedliche Möglichkeiten des Bildungssystems und erfolgversprechende Zugänge zum tertiären Bildungssektor auszutauschen. Dies schuf die Grundlage für eine enge Zusammenarbeit in der nächsten Projektphase.

Im Januar und Februar 2016 begaben sich die Studierenden gemeinsam mit den Jugendlichen in die afrikanische Gemeinschaft. Sie besuchten Lebensmittelgeschäfte und nahmen dort Gespräche zwischen Afrikaner/innen auf, um deren Mehrsprachigkeit zu dokumentieren. Ausgewählte Gesprächsteile wurden von den Studierenden verschriftlicht und für die spätere Ausstellung aufbereitet. Dabei zeigte sich, dass bei der ersten Einwanderergeneration neben den Muttersprachen der Heimatländer auch eine informelle, pidginisierte Variante des Englischen eine zentrale Rolle spielt. In dieser Phase gelang es außerdem, die Studierenden und die Jugendlichen zu eigenständigem Austausch zu motivieren. Spontan bildeten sie zwei WhatsApp-Gruppen, in denen nicht nur die »offiziellen« Projekttermine diskutiert wurden.

Im zweiten Projektblock stand die fotografische Dokumentation der afrikanischen Gemeinschaft im Mittelpunkt. Wieder begleitet von den Jugendlichen, besuchten die Studierenden im April und Mai Lebensmittelgeschäfte, Friseure, eine Schneiderin sowie drei Kirchengemeinden und hielten das Leben  der Gemeinschaft im Bild fest. Die Fotos dokumentieren, wo die Gemeinschaft lebt, wie sie durch Geschäfte, Poster etc. im Stadtraum in Erscheinung tritt, und wie vielfältig sie ist (z.B. in Aussehen, Kleidung, Mahlzeiten und Sprachen). Sie zeigen Motive für Migration, illustrieren die historische Entwicklung der Diasporagemeinschaft und weisen auf Orte hin, an denen die Mülheimer Bevölkerung mit ihr in Kontakt treten kann.

In dieser Projektphase erarbeiteten außerdem zwei Fachkräfte aus den Reihen der Studierenden gemeinsam mit den Jugendlichen einen Rap-Song. Organisation und Vorbereitung der späteren Auftritte wurden dabei vollständig von den Projektteilnehmer/innen übernommen. Sie diskutieren den Wert und die Grenzen nicht-standardsprachlicher Ausdrucksformen und die Notwendigkeit, neben solchen identitässtiftenden Sprachmustern auch die Standardvarietäten des Deutschen und des Englischen zu beherrschen. Beim Texten wurde schnell deutlich, dass die zweite Generation sich persönlich und sprachlich eindeutig als deutsch identifiziert. Entsprechend ist der Raptext bis auf wenige englische Zeilen auf Deutsch gehalten.

Ausstellungen

Im April 2016 konnten mit der Volkshochschule Mülheim (VHS) und der Universitätsbibliothek der Ruhr-Universität Bochum starke Partner für zwei abschließende Ausstellungen gewonnen werden. Großformatige Poster machten die Diasporagemeinschaft für die Besucher/innen der VHS und die Studierenden der Ruhr-Universität an den Ausstellungsorten in besonderer Weise sichtbar.

Mit Auftritten der Rap-Gruppe und des Chors der Presbyterian Church sowie mit afrikanischem Finger Food wurde die einmonatige Ausstellung an der VHS im November 2016 eröffnet. Sie stieß auf großes Interesse. Die Presse berichtete anschließend ausführlich über die Eröffnung und das Projekt. Die Ausstellungshalle lag zentral zwischen den Veranstaltungsräumen. Kursteilnehmer/innen – insbesondere der angebotenen Deutschkurse – tauschten sich in den Pausen gerne vor den Postern aus, die für einige die eigene Heimat abbildeten.

Die dreimonatige Ausstellung in der Universitätsbibliothek wurde von den Studierenden gut angenommen. Die Studierendenzeitung und das Hochschulradio berichteten. Zur Eröffnung machten sich auch neun junge Mitglieder der afrikanischen Gemeinschaft ein Bild von der Universität.

Perspektiven

Bochum, Dortmund, aber auch Düsseldorf und Köln haben noch wesentlich größere afrikanische Diasporagemeinschaften, welche sich in einer ähnlichen Situation wie die Gemeinschaft in Mülheim befinden. Insbesondere Missverständnisse und Enttäuschungen in der ersten Generation im Zusammenhang mit dem deutschen Bildungssystem sind zweifellos nicht auf Mülheim beschränkt. Mit einem Transfer der Projektidee könnte daher an einem anderen Ort ein ähnlicher Begegnungsprozess gestaltet werden.

Kontakt und weitere Informationen

Ruhr-Universität Bochum – Englisches Seminar
Lehrstuhl für Englische Sprachwissenschaft
Prof. Dr. Christiane Meierkord
Universitätsstraße 150
44801 Bochum
E-Mail: christiane.meierkord(at)rub.de
Web: http://www.ruhr-uni-bochum.de/engling/

Ansprechpartner für das Programm »Werkstatt Vielfalt«

Björn Götz-Lappe & Timo Jaster
Stiftung Mitarbeit
Ellerstraße 67
53119 Bonn
Tel. (02 28) 6 04 24-12/-17
Fax. (02 28) 6 04 24-22
E-Mail:goetz-lappe(at)mitarbeit.de
jaster(at)mitarbeit.de