Projekt des Monats (04/2020)

»Döner KulTour« – Auf Streifzug durch die internationale Gastronomie Stendals

Das Projekt richtete sich an junge Menschen aus Schulen und Jugendclubs, die gemeinsam die internationale Fast Food-Gastronomie Stendals erkundeten. Die Teilnehmer/innen besuchten Imbisse und Bistros, führten dort Interviews mit den Inhaber/innen und Beschäftigten, verfassten kleine Texte und sammelten Rezepte aus aller Welt. In Zuge von Kochtreffen näherten sie sich der internationalen Küche ganz praktisch an und kochten einige Gerichte nach, die sie schließlich zusammen mit Kurzportraits der besuchten Restaurants in einem Kochbuch festhielten. Das Vorhaben förderte die Auseinandersetzung mit den Lebensgeschichten von erwachsenen Migrant/innen und thematisierte die Erfolgsgeschichten ebenso wie die Stereotypenbildung rund um Migration und internationale Gastronomie.

»Einmal Döner mit Lebensgeschichte, bitte!« So oder so ähnlich hätten die Bestellungen beim kulinarischen Begegnungsprojekt »Döner KulTour« der Freiwilligen-Agentur Altmark in Stendal lauten können. Kinder und Jugendliche waren in zwei Gruppen unterwegs, um die internationale Gastronomie und die Restaurant- und Imbissbetreiber/innen in der Hansestadt kennenzulernen. Zudem wurde mit Lebensmitteln aus aller Welt gekocht und gebacken – und natürlich gemeinsam gegessen. Die gesammelten Rezepte, Geschichten und Bilder arrangierten die Projektteilnehmer/innen in einem bunten Kochbuch.

Die Freiwilligen-Agentur gewann rund 20 Schülerinnen und Schüler der Grundschule Juri Gagarin für das Projekt. Hier kamen Dritt- und Viertklässler/innen mit verschiedenen Herkunftskulturen, deren Familien aus Kasachstan, der Türkei, Syrien, Afghanistan, Russland und Deutschland stammen, in wöchentlichen Arbeitsgruppen zusammen. Über die Jugendfreizeitzentren »Mitte« und »MAD Club« kamen weitere Kinder und Jugendliche zwischen 7 und 16 Jahren in einer zweiten offenen Projektgruppe zusammen – darunter Teilnehmer/innen aus türkischen, syrischen und afghanischen Familien. Die Ansprache erfolgte hier via Flyer und persönlich. Die Teilnehmer/innenzahl pendelte sich im Projektverlauf auf etwa 15 Personen ein. Die Gruppe traf sich anders als die Schulgruppe nicht in einem wöchentlichen Turnus, sondern aufgrund der Konkurrenz von Freizeitangeboten an den Werktagen zunächst in den Schulferien und später an ausgewählten Wochenenden.

Von indischem Curry und marokkanischem Tee

Zunächst erstellten die Projektverantwortlichen eine Liste mit sämtlichen Restaurants und Bistros der Hansestadt Stendal. Diese wurden nach und nach persönlich oder auf telefonischem Weg kontaktiert und nach ihrer Bereitschaft zur Teilnahme am Projekt befragt. Es stellt sich heraus, dass größtenteils Inhaber/innen und Mitarbeitende von Döner-Imbissen Interesse daran bekundeten, das Projekt mit eigenen Rezepten und den Erfahrungen und Geschichten ihrer Familien zu bereichern.

Gemeinsam entwickelten die Projektteilnehmer/innen Interviewleitfäden für die Besuche in den Restaurants. Sodann suchten sowohl die Schüler/innen als auch die Teilnehmenden aus den Jugendzentren die verschiedenen Restaurants auf. Neugierig auf die Geschichten der Gastronomen stellten die Kinder und Jugendlichen ihre Fragen. Die Restaurantbesitzer/innen und Mitarbeitenden zeigten sich offen in den Gesprächen und gaben zur allgemeinen Begeisterung leckere Kostproben.

Im »Antalya Bistro« sprechen die Teilnehmer/innen etwa mit einem türkischen Mitarbeiter über seine persönliche Migrationsgeschichte, seine Lieblingsorte in der Stadt und über die langjährige Geschichte des Restaurants. Von den insgesamt sechs Mitarbeitern kamen fünf aus der Türkei und einer aus Pakistan. Ein Mitarbeiter des »Bistros Roland« wiederum verließ als Kurde aus politischen Gründen die Türkei. Zwar ist er gelernter Maler, arbeitet aber nun in der Gastronomie. Auch der syrische Interviewpartner im »Bistro Botan« ging in seinem Heimatland ursprünglich einem anderen Beruf nach: als Bauhandwerker. Die Gerichte des Restaurants schmecken ihm nach eigener Auskunft selbst sehr gut. Neben dem beliebten Döner stehen dort auch Reisund Couscousgerichte auf dem Speiseplan.

Über Stuttgart kam der Inhaber des Bistros »Na So Was« nach Stendal, wo bereits sein Onkel lebte. Zusammen mit einem Landsmann übernahm der gebürtige Inder vor einigen Jahren das Restaurant inklusive des Namens. Er schlägt den jungen Besucher/innen vor, das »Chicken Curry« zu probieren. Auch im Restaurant »Damaskos Küche« empfiehlt der syrische Inhaber Speisen aus seiner Karte und gibt den Projektteilnehmer/innen Rezeptvorschläge mit. Er berichtet über die Migration seiner Familie aus dem Bürgerkriegsland, wo er bereits in der Gastronomie tätig war.

Im »China Town Stendal« sprechen die Projektbeteiligten mit der Tochter der Inhaberfamilie, die über die chinesische Herkunft ihrer Eltern und ihre Kindheit in Berlin erzählt. Der Inhaber des »Bistros Casablanca« schwört auch knapp dreißig Jahre nach seiner Ankunft in Stendal auf sein Lieblingsgetränk, den marokkanischen Tee. Er berichtet darüber, wie Stendal im Verlaufe der Jahre zu seiner neuen Heimatstadt geworden ist.

Riechen, tasten, schmecken & selber kochen

Während des Projekts lernten die Kinder und Jugendlichen die internationale Küche mit allen Sinnen kennen. Mit verbundenen Augen ertasteten sie Lebensmittel oder rochen an Gewürzen und anderen Zutaten. Dann war Kreativität gefragt: Welches Gericht kann aus einer Zusammenstellung von Zutaten entstehen? Da alle beteiligten Einrichtungen über voll ausgestattete Küchen verfügten, wurden die gesammelten Rezepte ausprobiert. So lernten die Kinder und Jugendlichen neben einigen Zutaten viele neue Gerichte wie syrisches Schawarma (ähnlich einer Dönerrolle, mit Hühnerfleisch), bulgarische Kürbissuppe oder afgahnisches Kuku (ein Kräuteromelette mit Spinat) kennen. Sie alle wurden in einem gemeinsamen Kochbuch mit vielen Projektbildern von den Restaurantbesuchen festgehalten. Eine andere Form der Dokumentation erfuhr das Projekt über Social-Media-Kanäle, in denen die Teilnehmer/innen regelmäßig über den Verlauf des Projekts posteten.

Viele Eindrücke und starker Teamzusammenhalt

Das Projekt förderte die Koch- und Backkünste der beteiligten Kinder und Jugendlichen ebenso wie ihre Teamfähigkeit. Die Projektverantwortlichen freuten sich über die Offenheit, mit der die Teilnehmer/innen eigene Geschichten, Erfahrungen und Rezepte aus ihren Familien in das Projekt einbrachten, und die Neugier, mit der sie den Gastronomen gegenübertraten. Auch wenn – nach dem Wunsch der Projektverwantwortlichen – die im Projekt abgebildete Vielfalt der internationalen Küche durch die Einwilligung weiterer Restaurantbetreiber/innen noch ein wenig größer hätte ausfallen können, haben die beteiligten Kinder und Jugendliche viele unterschiedliche Eindrücke von ihren Ausflügen in die örtliche Gastronomie mitnehmen können. Der weitaus größte Teil der Projektgruppe blieb der »Döner KulTour« über den gesamten Projektzeitraum treu.

Ideentransfer aus Magdeburg

Das Projekt lehnte sich konzeptionell an ein gleichnamiges Projekt in Magdeburg an, das ebenfalls mit Mitteln aus dem Programm »Werkstatt Vielfalt« unterstützt wurde. Dort portraitierten Jugendliche im Jahr 2014 die Döner-Läden der Stadt. Drei intergenerative Gruppen besuchten die Bistros in ihren Stadtteilen und führten Interviews mit den Beschäftigten und Gästen. Auf einer Online-Plattform dokumentierten die Teilnehmer/innen ihre Ausflüge in die hiesige Gastronomie. So entstand nach und nach ein interaktiver »Döner-Stadtplan«. Die Freiwilligen- Agentur Altmark entschied bei der Neuauflage in Stendal nicht nur Kebab-Imbisse einzubeziehen, sondern das Projekt auf die gesamte internationale Küche auszuweiten. Dies war vor allem dem Umstand geschuldet, dass es nicht annährend so viele Döner-Läden wie in Magdeburg gibt. Bei der Durchführung des Projekts ließen sich die Verantwortlichen in Stendal im Zuge des »Ideentransfers« im Programm »Werkstatt Vielfalt« vom Ideengeber beraten. Der Leiter des Instituts für Caucasica-, Tatarica- und Turkestan-Studien (ICATAT e.V.) besuchte die Verwantwortlichen vor Ort und gab eigene Erfahrungen mit der Umsetzung des Projekts weiter.

Kontakt und weitere Informationen

Freiwilligen-Agentur Altmark e.V.
Marion Zosel-Mohr
Hallstraße 49
39576 Stendal
Web: www.fa-altmark.de
E-Mail: fa-altmark(at)web.de

Ansprechpartner für das Programm »Werkstatt Vielfalt«

Björn Götz-Lappe & Timo Jaster
Stiftung Mitarbeit
Am Kurpark 6
53177 Bonn
Tel. (02 28) 6 04 24-12/-17
Fax. (02 28) 6 04 24-22
E-Mail:goetz-lappe(at)mitarbeit.de
jaster(at)mitarbeit.de