Projekt des Monats (02/2017)

»Hinter der Lippe« – Ein Geschichtenprojekt rund um Flüsse und Gewässer

In diesem Erzähl- und Begegnungsprojekt für Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund sowie für Bürger/innen in Dorsten standen individuelle Biografien und erzählerische Fähigkeiten der Teilnehmenden im Mittelpunkt. In Erzählworkshops stellten sich die Teilnehmer/innen gegenseitig Geschichten rund um Flüsse und Gewässer vor. Ziel war es, über die Geschichten Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Biografien und Kulturkreisen kennenzulernen. In einem »Tagebuch der Dorstener«, an dem alle Bürger/innen der Stadt mitwirken konnten, wurden stadtweit weitere Geschichten gesammelt. Am Projekt beteiligte Jugendliche stellten sich wiederum in Video-Kurzportraits vor und vermittelten persönliche Geschichten aus ihrem Leben. Das Vorhaben förderte  somit erfolgreich einen lokalen Austausch zwischen verschiedenen Generationen und Kulturen.

Wie es gelingen kann, Menschen unterschiedlicher Generationen und verschiedener kultureller Hintergründe mit literarischen Mitteln anzusprechen und in einen Dialog miteinander zu bringen, zeigte das Projekt »Hinter der Lippe«. Träger des Projektes war der Verein Sozialwirtschaftliche Projekte Organisieren (SPO) e.V. mit Sitz im nordrhein-westfälischen Dorsten, der im Projekt verschiedene Erzählformate und -methoden mit den Teilnehmenden durchführte. Die Koordinierung des Vorhabens übernahm ein Pädagoge. Für die Projektleitung im ersten Projektteil konnte eine Kulturpädagogin, Journalistin, Trainerin und Moderatorin gewonnen werden. Sie war auch ursprüngliche ldeengeberin für das Projekt. Für die zweite Projektphase gab es eine Kooperation mit Schreibmodus e.V. – einem Verein, dessen Zweck die (multi-)kulturelle Förderung und Bildung junger Menschen ist.

Inhalte des Projekts, Methoden, Zeitplan

Projektes war das Sommerkulturevent »LippePolderPark« – ein poetisches und Generationen verbindendes Kultur- und Naturereignis. Nahezu täglich gab es viele interessante Angebote (Konzerte, Filme, Lesungen, Bewegung, Ausstellungen bis hin zum Gemüseanbau und naturkundlichen Führungen). Der so genannte »Polder« zwischen dem Fluss Lippe und dem Wesel-Datteln-Kanal bietet einen Naturraum, den viele Menschen sofort mit ihrer Heimatstadt Dorsten verbinden. Über das daran angedockte Projekt »Hinter der Lippe« sollte eine junge und vielfältige Zielgruppe eingeladen werden, ihr Lebensumfeld mit dem Leben am Fluss zu verknüpfen.

Teilnehmende: Anzahl, Zusammensetzung, Akquise

Um den Teilnehmerkreis zusammenzustellen, wurde für die erste Projektphase zu einem Round-Table-Gespräch mit Gästen aus Institutionen, die bereits mit jungen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund sowie mit Flüchtlingen arbeiteten, eingeladen. Die Aufgabe war, Synergien zur bisherigen Arbeit mit den Jugendlichen und dem Projekt »Hinter der Lippe« zu finden. Das erste Projektelement »Tafel der Kulturen« ermöglichte die Begegnung unterschiedlicher Kulturen sowie das Erzählen, Zuhören und Teilen von Erfahrungen. Zu den Projektterminen im Rathaus der Stadt Dorsten und im LippePolderPark konnten unter anderem spontan Teilnehmende gewonnen werden, die Geschichten vorgetragen haben. Zu den kostenfreien Veranstaltungen fanden sich sowohl junge als auch wesentlich ältere Menschen ein. So ergaben sich neben dem intendierten interkulturellen Austausch auch generationenübergreifende Begegnungen.

In der zweiten Projektphase bestand der Kreis der Teilnehmenden aus Schüler/innen sowie jungen Erwachsenen mit und ohne Migrationshintergrund und den Autorinnen und Autoren des »Tagebuchs Dorsten«, das mit Beginn der zweiten Projektphase gestartet wurde. Viele der teilnehmenden jungen Erwachsenen waren entweder aus Gründen einer negativ verlaufenden Bildungssozialisation, aus familiären oder sozialen Gründen (z.B. Heimaufenthalte) benachteiligt. Die junge Zielgruppe wurde sowohl über Peergroups angesprochen, als auch mit Hilfe der Kooperationspartner erreicht.

Kooperationspartner

Durch ein örtlich gut funktionierendes Netzwerk und gewachsene Kontakte gelang es den Projektverantwortlichen, zahlreiche Kooperationspartner zu gewinnen. Dabei waren u.a. Jugendzentren und städtische Ämter wie z.B. das Sozialamt, das Amt für Familie und Jugend, Schule und Sport oder das Referat für Migration, Flüchtlingsarbeit und Integration.

Auch zivilgesellschaftliche und religiöse Akteure wie der Verband der Evangelischen Kirchengemeinden, das Dorstener Integrationsforum e.V., der Türkisch-Islamische Kulturverein DITIB und das Jüdische Museum waren mit an Bord.

»Tafel der Kulturen«

Im August 2015 folgten insgesamt rund 90 Menschen den Einladungen zur »Tafel der Kulturen«, zunächst veranstaltet im Rathaus der Stadt Dorsten, dann auch im LippePolderPark. Die Gäste waren zwischen fünf und 75 Jahre alt, vielfältige Speisen wurden für die Termine gekocht und mitgebracht. Ein polnischer Liedermacher kam zufällig vorbei und gab ein Spontan-Konzert vor den Gästen.  Und es wurden Geschichten erzählt: Johanna, die aus Kalety in Polen nach Deutschland gekommen war, erzählte die Geschichte vom Fluss Mala Panew in ihrer Heimat, an dem sie viel Zeit in ihrer Kindheit verbracht hat. Sie erzählte auch über einen alten slawischen Osterbrauch, der in Polen sehr verbreitet ist: Smigusdyngus – »nasser Montag«.

Gudrun erzählte davon, wie sie von der Aller in Wolfsburg mit sieben Jahren an die Lippe geschickt wurde und als Halbwaise in einem Internat in Dorsten lebte. Diese Geschichte hatte sie für das Treffen als Überraschung für ihren Sohn geschrieben, der davon in der Form noch nie gehört hatte.

Erika erzählte die Geschichte, wie sie als junges Mädchen immer über die Lippe musste, die Grenze zwischen Ruhrgebiet und Münsterland. Vom Rio Tejo, dem längsten Fluss in Portugal, erzählte Zeza, die vor rund 20 Jahren aus Portugal nach Dorsten gekommen war. Klaus Fronius aus Herrnstadt erzählte über den Cibin (deutsch Zibin, siebenbürgisch-sächsisch: Zeben) den Fluss seiner Heimat im heutigen Rumänien.

Schwierigkeiten & Veränderungen der Planung

Aufgrund der steigenden Anzahl geflüchteter Menschen, die ab Sommer 2015 auch nach Dorsten kamen, gestaltete sich die weitere Arbeit mit geflüchteten Jugendlichen für SPO e.V. schwierig. Die Ressourcen aller Kooperationspartner waren nun zunehmend im Bereich Soforthilfe gebunden. Zusätzlich erforderte ein Personalwechsel bei der Projektleitung eine organisatorische Anpassung des weiteren Projektverlaufs. Der Projektträger konnte für die weitere Gestaltung von »Hinter der Lippe« den Verein Schreibmodus e.V. gewinnen, der sich auf die Umsetzung literaturspezifischer Jugendprojekte spezialisiert hat.

Dorsten-Tagebuch & Geschichten von Jugendlichen

Mit der zweiten Projektphase und dem »Tagebuch der Dorstener« öffnete sich das Projekt daraufhin für alle Dorstener Bürgerinnen und Bürger. Ein möglichst großer Querschnitt aus der Bevölkerung sollte die Vielfalt der Menschen in Dorsten symbolisieren – nach dem Motto: »Wo Vielfalt vertreten ist, ist Schönheit unvermeidbar«. Ziel war es, das Tagebuch zum Stadtgespräch zu machen. Der Bürgermeister machte mit dem ersten Eintrag den Anfang. Über eine Veröffentlichung der Beiträge auf Facebook sollten weiter Teilnehmer/innen motiviert werden, ihre Geschichte zu erzählen. Die Tagebuchschreiber/innen meldeten sich per Zuruf oder reagierten auf Aufrufe in den sozialen Medien. Insgesamt wurden die Einträge von rund 1.500 Menschen abgerufen.

Den Abschluss des Projektes bildete ein Workshop im Rahmen der  Wanderausstellung »Lesen und Schreiben mit Anne Frank«. Schüler/innen einer 9. Klasse einer Realschule, sowie Jugendliche und junge Erwachsene, viele davon mit Migrationshintergrund, die in der Vergangenheit an Projekten des Vereins Schreibmodus e.V. beteiligt waren oder auch schon an den frühen Aktivitäten von »Hinter der Lippe« teilgenommen hatten, gewannen über die Ausstellung einen Einblick in die Möglichkeiten literarischer Ausdrucksformen. Das Motiv des Flusses bildete nun die Inspiration dafür, die jungen Teilnehmer/innen über Ihre Lebensgeschichten berichten zu lassen. So gleicht das Leben junger Menschen einem Fluss: immer in Bewegung, sich vielseitigen Einflüssen anpassend und trotzdem selbstbewusst. In Videointerviews erzählten die Teilnehmer/innen persönliche Geschichten zu Themen, die sie berühren.

Das Projekt »Hinter der Lippe« förderte  somit erfolgreich einen lokalen Austausch zwischen verschiedenen Generationen und Kulturen und zeigte, dass es möglich ist, ein Projekt trotz widriger Umstände im Sinne der ursprünglichen Idee erfolgreich zu beenden. Die Grundidee, Flüsse als Metapher für Lebensläufe und -geschichten zu nutzen, erwies sich als übertragbar auf verschiedene Projektmethoden. In diesem Kontext betont der Projektträger, dass ein Transfer der Projektidee von der Lippe aus auch an andere Flüsse und Orte wünschenswert ist.

Kontakt und weitere Informationen

SPO e.V.
Alfred Zavodnik
Fürst-Leopold-Platz 1
46284 Dorsten
E-Mail: office@spo-ev.de 
Web: www.spo-ev.de

Ansprechpartner für das Programm »Werkstatt Vielfalt«

Björn Götz-Lappe & Timo Jaster
Stiftung Mitarbeit
Ellerstraße 67
53119 Bonn
Tel. (02 28) 6 04 24-12/-17
Fax. (02 28) 6 04 24-22
E-Mail:goetz-lappe(at)mitarbeit.de
jaster(at)mitarbeit.de