Projekt des Monats (05/2017)

»Kommst du heut‘ nicht, kommst du morgen« – Viel Theater für alle, mit allen

Dieses Theaterprojekt richtete sich an Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 21 Jahren aus einem bestehenden Theaterensemble (davon rund die Hälfte mit geistiger, seelischer oder körperlicher Beeinträchtigung) sowie an junge Flüchtlinge. Gemeinsam erarbeiteten die Teilnehmer/innen ein Theaterstück zum Thema »Gelassenheit«. Das Stück lud Mitwirkende und Zuschauende gleichermaßen zu einer Auseinandersetzung mit dem täglich erlebten Leistungs- und Zeitdruck, mit Stress oder Hektik, ein. Interessierte potenzielle Teilnehmer/innen wurden bereits im Rahmen eines vorangeganenen Workshops angesprochen. Die Aufführung des Stückes erfolgte abschließend an vier Veranstaltungstagen. Neben der Aufführung des Stückes gab es ein Mitmach-Programm für Familien, bei denen durch theater-, musik- und bewegungspädagogische Angebote Begegnungsmöglichkeiten für die Gäste und Angehörigen der Projektteilnehmer/innen geschaffen wurden.

In diesem Projekt brachte ein 34-köpfiges Kinder- und Jugendensemble zwei Stücke auf die Bühne des städtischen Theaters in Emden. Der auf inklusive Theaterarbeit spezialisierte Verein Theartic e.V. öffnete sich mit dem Vorhaben »Kommst du heut‘ nicht, kommst du morgen« verstärkt für Kinder aus Flüchtlings- und Migrantenfamilien. Im einjährigen Projektzeitraum partizipierten insgesamt rund 50 Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 21 Jahren. Das Projekt verdeutlichte, dass sowohl Inklusion als auch Integration sehr wohl gelingen können und so dazu beitragen, Vorurteilen und Ausgrenzungen entgegenzuwirken und Vielfalt als Bereicherung erlebbar zu machen. Das Projekt verdeutlichte, daß sowohl »Inklusion« als auch »Integration« dazu beitragen, Vorurteilen und Ausgrenzungen entgegenzuwirken und Vielfalt als Bereicherung erlebbar zu machen. Mit dem Projekt möchte Theartic e.V. andere ermutigen, sich mit ihrer Jugend- und Kulturarbeit für Menschen mit Behinderungen und Menschen mit Migrationsgeschichte zu öffnen und mit ihnen gemeinsam Projekte zu entwickeln.

Start ins Projekt

Zu Beginn wurde in zwei Gruppen gearbeitet: Theartic junior (Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen) und Theartic kunterbunt (Kinder mit und ohne Migrationsgeschichte) probten zunächst getrennt voneinander. Bei der bereits länger bestehenden Gruppe Theartic junior ging es schon zu Beginn darum, Ideen für das neue Theaterstück zum Thema Gelassenheit zu entwickeln, Rollenfiguren zu erarbeiten und in Improvisationen Szenen zu gestalten. Im erst einige Monate vor Projektbeginn neu gegründeten Ensemble Theartic kunterbunt ging es dagegen erst einmal darum, sich kennenzulernen, miteinander vertraut zu werden und mithilfe von Muttersprachler/innen Sprachbarrieren zu überwinden. Die Gruppe entstand aus einem Sommerferien-Workshop in einer Notunterkunft für Geflüchtete und erhielt in der Folgezeit weiteren Zulauf.

Wichtig war den projektverantwortlichen Theaterpädagog/innen schon in der Anfangsphase die lockere Begegnung beider Gruppen. Deshalb wurden die Probenzeiten so gelegt, dass es beim Wechsel der Gruppen schon zu ersten Kontakten zwischen den Theater-Erprobten und jenen kam, die noch keinerlei Theatererfahrungen hatten.

Der erste Höhepunkt im Projekt war ein Wochenend-Workshop mit einer Choreographin und Theaterpädagogin aus Hannover. An diesem Wochenende gelang es, alle Teilnehmer/innen »in Bewegung« zu bringen, ängstliche oder sehr gehemmte Kinder und Jugendliche freier, offener und mutiger werden zu lassen und »nebenbei« erste Choreographien für die Bühne zu erarbeiten. Beim gemeinsamen Essen in den Pausen kamen sich alle Beteiligten näher, lernten etwas über Gewohnheiten in den verschiedenen Ländern, alberten herum, kabbelten sich auch mal und vertrugen sich wieder.

Grundsätze und Methoden

Der Verein folgte seinem Grundsatz, alle Teilnehmer/innen – egal ob mit oder ohne Behinderungen und nun auch ob mit oder ohne Deutschkenntnisse – zu fördern, zu fordern und zu ihrem Recht kommen zu lassen. So, wie Kinder und Jugendliche mit Behinderungen nicht als »Statist/innen« neben nichtbehinderten »Hauptdarsteller/innen« inszeniert wurden, so erhielten auch geflüchtete und andere zugewanderte Kindern keinesfalls nur Nebenrollen.

Da viele von ihnen erst nach und nach in örtliche Schulen aufgenommen wurden und bisher kaum Deutsch sprachen, galt es, attraktive Rollen ohne umfangreiche Texte zu entwickeln. Dabei kam den Projektverantwortlichen ihre Erfahrung mit Kindern zugute, die wegen einer Behinderung nicht sprechen können oder wollen, aber trotzdem sehr wohl mit viel Präsenz und Ausstrahlung auf der Bühne auftreten.

Die vergleichweise große Altersspanne bereitete im Projektverlauf keine Probleme. Die älteren Jugendlichen, die schon länger bei Theartic spielten, hatten sichtlich viel Freude daran, sich um jüngere und insbesondere um nicht-deutschsprachige Kinder zu kümmern. So war ein schauspielerfahrener Praktikant unter den Teilnehmern. Er engagierte sich freiwillig in einer Erstaufnahmestelle und Notunterkunft und wurde damit eine wichtige Identifikationsfigur vor allem für einige arabischsprachige Kinder.

Ein schöner Nebeneffekt: Gleichaltrige trafen sich auch jenseits der Theaterarbeit. In Einzelfällen entstanden Kontakte zwischen deutschen und nicht-deutschen Eltern und Familien.

Herausforderungen

Sehr problematisch war es, Übersetzer und Dolmetscher für die Theaterarbeit zu finden. Professionelle Dolmetscher/innen für die benötigten Sprachen gab es in Emden nicht; die vom Netzwerk Integration vermittelten Helfer/innen waren Muttersprachler/innen, welche die Aufgabe gegen ein geringes Entgelt übernahmen.

Eine besondere Herausforderung war die Fluktuation bei den geflüchteten Kindern: Einige verließen Emden nach kurzer Zeit wieder, anderen fiel es schwer, trotz des eingerichteten Fahrdienstes, sich auf eine regelmäßige Teilnahme festzulegen, die bei einer Theatergruppe – anders als z.B. bei offenen Sportangeboten oder Spielenachmittagen – nötig ist.

Wie viel Rücksicht auf die persönliche Geschichte und den kulturellen Hintergrund sind nötig und wie viel Gleichbehandlung ist möglich? Hier die jeweils richtigen Entscheidungen zu treffen, eine Balance zu finden und damit allen Beteiligten gerecht zu werden, war für die Projektverantwortlichen ein ständiger Lernprozeß. Im Laufe des Projekts mußten sie zudem lernen, sich nicht immer und nicht in jedem Fall um an sie herangetragene Dinge kümmern zu können (z.B. um das Beschaffen von Fahrrädern oder Papieren, um Probleme in der Schule oder in den Familien).

Vier Aufführungen an zwei Wochenenden

Wie geplant, brachte die Gruppe zwei Theaterstücke auf die Bühne. Neben dem neuen Stück »Kommst du heut‘ nicht, kommst du morgen« wurde auch das Stück »Das Was-auch-immer« mit neuer Besetzung aufgeführt. Es beteiligten sich unter anderem Kinder- und Jugendliche mit Behinderung, junge Geflüchtete und Zugewanderte aus Afghanistan, dem Irak, Syrien und Polen und aus bi-nationalen Familien mit Migrationshintergrund aus Jemen, Marokko, Polen und der USA. Die Vorstellungen an zwei Wochenenden im Juni wurden durch ein Mitmach-Programm für Familien flankiert.

Die Aufführungen waren für alle Beteiligten der Höhepunkt des gesamten Projekts. Die Kinder und Jugendlichen waren begeistert vom aufwendigen Bühnenbild, der Live-Musik, den Kostümen und Requisiten und genossen es sichtlich, auf der großen Bühne des städtischen Neuen Theaters zu stehen. Alle Beteiligten - auch die, die während des Probenprozesses festgestellt hatten, daß Theater auf Dauer nicht das Hobby ihrer Wahl sein würde, und auch die, die Probleme damit hatten, sich auf regelmäßiges und konzentriertes Proben einzulassen, haben die Aufführungen mit Stolz und Selbstbewußtsein gemeistert. Mit hoher Konzentration, Spielfreude und Bühnenpräsenz begeisterten sie das Publikum und die Kritik. Der Oberbürgermeister würdigte das künstlerische Engagement der Beteiligten in einem Grußwort. Alle Kinder und Jugendlichen berichteten zudem von sehr positiven Reaktionen aus ihrem jeweiligen Umfeld.

Einige der Teilnehmer/innen wurden nach Projektende dauerhaft in die bestehenden Ensembles integriert, andere zeigten Interesse, später einmal wieder bei einer Theaterproduktion mitzumachen.

Kontakt und weitere Informationen

Theartic e.V.
Ulrike Heymann
Pannewarf 18
26725 Emden
E-Mail: ulrike.heymann(at)theartic-emden.de
Web: www.theartic-emden.de

Ansprechpartner für das Programm »Werkstatt Vielfalt«

Björn Götz-Lappe & Timo Jaster
Stiftung Mitarbeit
Ellerstraße 67
53119 Bonn
Tel. (02 28) 6 04 24-12/-17
Fax. (02 28) 6 04 24-22
E-Mail:goetz-lappe(at)mitarbeit.de
jaster(at)mitarbeit.de