Projekt des Monats (11/2017)
»Refugees Welcome Tours« – Willkommenstouren für Neuberliner
Die Teilnehmer/innen dieses Kieztouren-Projektes waren junge Geflüchtete sowie interessierte Engagierte aus der Berliner Flüchtlingsarbeit. Sie erkundeten in Gruppen gemeinsam verschiedene Berliner Kieze und lernten Projekte und Organisationen aus der Nachhaltigkeitsszene, im Kultur- und Do-it-yourself-Bereich und das vielfältige Zusammenleben in Berlin kennen. Die Geflüchteten waren im Vorfeld der Touren bei der Konzeption und Anfertigung von mehrsprachigen Informationsmaterialien sowie später bei der Durchführung selbst aktiv beteiligt. Ebenso wirkten Mitarbeiter/innen der besuchten Projekte und Initiativen bei der Tourgestaltung mit. Insgesamt fanden neun Touren und zwei Begleit-Events statt, mit denen mehr als 180 Personen erreicht wurden. Die Teilnehmer/innen wurden für ein eigenes Engagement und die aktive Teilhabe in der Nachbarschaft z.B. im Rahmen der vorgestellten Projekte motiviert.
Viele junge Menschen sind auf der Flucht vor Krieg und Perspektivlosigkeit in den letzten Monaten und Jahren nach Deutschland gekommen. Stets gilt es für die Geflüchteten, sich am neuen Ankunftsort zu orientieren – so auch in Berlin. Die Willkommenstouren von id22: Institut für kreative Nachhaltigkeit e.V. hatten zum Ziel, gemeinsam mit den Neuberliner/innen die Stadt näher kennen zu lernen und sie zur aktiven Teilhabe einzuladen. Im Rahmen von Stadtteilführungen besuchten die Teilnehmenden inklusive, partizipative und beteiligungsoffene Projekte in der Stadt. Zu Fuß lernten sie Orte des kreativen Engagements in Berlin kennen.
Teilhabe und Engagement stärken
Ob gemeinschaftliche Wohn- und Arbeitsformen oder Nachbarschaftsgärten, gemeinsam erkundeten sie urbane Landschaften und entdeckten lokale Initiativen, die zur Lebensqualität in der Nachbarschaft beitragen und zu einer aktiven Teilhabe in der Nachbarschaft einladen. Die »Refugees Welcome Tours« sollten die Teilnehmer/innen zu eigenen Ideen inspirieren und ermöglichten einen Austausch zwischen Geflüchteten, lokalen Akteuren sowie Engagierten vor Ort. Außerdem boten die Touren den neu Ankommenden die Möglichkeit, die Stadt Berlin – genauer die verschiedenen Kieze in Mitte, Kreuzberg und Neukölln – kennen zu lernen und besser zu verstehen.
Kooperationspartner aktivieren
Zu Projektbeginn gingen Einladungsschreiben an relevante Träger und Institutionen, z.B. Kontakt- und Beratungsstellen für Geflüchtete und Migrant/innen. Auch über bestehende Kontakte des Projektträgers und über Communities in den sozialen Netzwerken wurde zu den Touren eingeladen. In der Frühphase des Vorhabens fanden mehrere Vorbereitungstreffen statt, an denen Menschen mit und ohne Fluchterfahrung teilnahmen. Sie diskutierten das Konzept der Touren, welches anschließend entsprechend der Hinweise überarbeitet wurde. Darüber hinaus entstanden informative Tour-Handouts in deutscher, englischer und arabischer Sprache. Um das Tourangebot bekannt zu machen, wurden über 35 relevante Organisationen, Verbände und Vereine kontaktiert. Die Projektverantwortlichen besuchten mehrere Organisationen persönlich, um ins Gespräch zu kommen, Vertrauen aufzubauen und die geplanten Besuche im Detail zu besprechen.
Von Stolpersteinen und Erfolgen
Nach zwei Probetouren für gemischte Gruppen (Studierende und Geflüchtete) fanden sieben weitere Touren und zwei Begleit-Events statt. Mehr als 180 Personen nahmen an den insgesamt elf Aktionen teil. Obwohl die Führungen in verschiedenen Sprachen angeboten wurden, haben sich die Teilnehmenden meistens gewünscht, in einfacher Weise auf Deutsch zu kommunizieren – auch wenn nicht immer alle Teilnehmer/innen gut Deutsch sprachen. Viele Führungen konnten nur nach intensiver Kommunikation verbindlich vereinbart werden und nicht alle gebuchten Termine fanden statt: Mehrmals sind Gruppen nicht am vereinbartenen Treffpunkt erschienen, ohne die Führung abzusagen.
Zahlreiche Organisation haben die Führungen mitgestaltet bzw. diese in das eigene Programm integriert – darunter ein Sprachcafe, soziokulturelle Netzwerke, ein Sprach-Tandem und Patenschaftsprojekt, ein betreutes Wohnangebot für junge Geflüchtete und ein theaterpädagogisches Zentrum und Mehrgenerationenhaus. Bei den Führungen wurden Do-it-yourself-Projekte in den Bereichen Stadtentwicklung, Co-housing, Co-working, ökologische Architektur sowie Kiezinitiativen, Nachbarschaftsgärten und andere Orte des kreativen Engagements erkundet. Darunter waren der Prinzessinnengarten, der Kinderbauernhof am Mauerplatz und das Haus Bethanien in Kreuzberg sowie die Spreefeld Genossenschaft und die Spreeacker Gärten. Es wurden außerdem historische sowie aktuelle Entwicklungen in der Stadt erläutert. Die exakte Route der Touren sowie die Diskussionsthemen orientierten sich an den jeweiligen Interessenschwerpunkten der einzelnen Gruppen. So wurde ein syrischer Abend mit Kultur und Austausch organisiert. Dazu bekamen mehrere Organisationen die Möglichkeit, sich gegenseitig vorzustellen und ein Netzwerk aufzubauen.
Bei der Durchführung der Touren waren anfängliche Unsicherheiten der Teilnehmer/innen schnell überwunden. Die jungen geflüchteten Menschen zeigten großes Interesse am Lernen und Verstehen der nachhaltigen zivilgesellschaftlichen Strukturen Berlins. Viele von ihnen sehen für sich eine Zukunft in Deutschland, möchten Deutsch lernen und eine Ausbildung machen. Das Feedback aus den Gruppen zeigte, dass die Touren die Teilnehmer/innen zum Mitmachen an beteiligungsoffenen Initiativen und Projekten motivieren konnten. So erkundigte sich ein junger Geflüchteter nach seiner Teilnahme an einer Führung in den Prinzessinnengärten nach einer Praktikumsmöglichkeit – als IT-Spezialist wollte er die Webseite des Gartens pflegen. Ein anderer junger Geflüchteter war beim ersten Projektevent im Juni als Teilnehmer des Sprachcafes im Kreativhaus Berlin dabei. Bei der Führung im Rahmen des Abschlußevents wurde bekannt, dass er selbstständig einen Termin bei der Initiative OMA vereinbart hatte und seitdem die Bildungs- und Beratungsangebote der Initiative wahrnimmt.
Flexibles Projektmanagement
Es zeigte sich, dass das Projekt Raum für Adaptionen und Weiterentwicklung zulassen muss. Die exakte Durchführung der Touren war nur schwer im Vorhinein zu planen. Es musste stets flexibel und spontan auf die Interessen und Vorkenntnisse der Teilnehmer/innen eingegangen werden. Dies hat einerseits die Vorplanung erschwert, andererseits konnten die Projektverantwortlichen viele neue Erfahrungen sammeln. Die größte Herausforderung entstand durch die aufwändige Kommunikation und Koordination bei der Vereinbarung konkreter Aktionen. Mehrmals wurden vereinbarte Termine abgesagt oder nicht wahrgenommen. Unregelmäßige Rückmeldungen und mangelnde Verbindlichkeit ließen sich vor allem auf die chronische Überlastung der Angestellten und der ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen sowie auf eine große personelle Fluktuation in den Initiativen zurückführen. Einige der in der Winterzeit geknüpften Kontakte waren zum Teil im Frühling und im Sommer nicht mehr erreichbar, da die Ansprechpersonen nicht mehr bei den Organisationen tätig waren.
Den Projektabschluss bildete ein Abend mit mehreren Projektpartner/innen und Interessenten, an dem die Ergebnisse und die Dokumentation des Projektes präsentiert wurden. Der Abend wurde durch ein syrisches Buffet abgerundet und bot Raum für informellen Austausch. Außerdem entstand aus einer Zusammenarbeit der Teilnehmer/innen eine Karte mit interessanten Orten in Berlin.
Ein Notizbuch als Dokumentation
Die gesammelten Erfahrungen wurden in Form einer Broschüre dokumentiert, die die Idee des Projektes visualisiert und darüber hinaus zu einer Weiterentwicklung und Fortführung einlädt. Das Notizbuch »Du in Berlin« stellt die Stadt und insbesondere die Bezirke Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln auf spielerische Art und Weise vor. Diese Dokumentation ist keine »fertige« Übersicht der Stadt, sondern bietet vielmehr Impulse und Ideen sowie Platz für eigene Ergänzungen und Notizen auf den leeren Seiten.
Als Dankeschön erhielten die Tourteilnehmer/innen sowie Kooperationspartner/innen und interessierte Organisationen nach Abschluss des Projekts einige der insgesamt 500 gedruckten Notizbücher, damit die Idee des Projektes über den geförderten Zeitraum hinaus verbreitet und weitergeführt werden. Gleichzeitig haben viele positive Rückmeldungen der beteiligten Initiativen und Organisationen gezeigt, dass der Bedarf groß ist und sich das Projekt daher sicher auch gut auf andere Städte übertragen lässt.
Kontakt und weitere Informationen
id22: Insititut für kreative Nachhaltigkeit e.V.
Larisa Tsvetkova
Wilhelmine-Gemberg-Weg 12
10179 Berlin
E-Mail: institute(at)id22.net
Web: www.id22.net
Fotos: Anja Dankowska, Larisa Tsvetkova
Ansprechpartner für das Programm »Werkstatt Vielfalt«
Björn Götz-Lappe & Timo Jaster
Stiftung Mitarbeit
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53119 Bonn
Tel. (02 28) 6 04 24-12/-17
Fax. (02 28) 6 04 24-22
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