mitarbeiten (1/1999)

Bürgerstiftungen: Investitionen für die Zukunft

»Der Staat und die Kommunen können es alleine nicht mehr schaffen, für die wachsenden Probleme unserer Gesellschaft die richtigen Lösungen zu entwickeln und diese zu finanzieren. Darum wollen wir Bürgerinnen und Bürger zum Stiften anstiften«, so umschrieb Professor Dr. Christian Pfeiffer die Idee der Bürgerstiftung bei der jüngsten Gremiensitzung der Stiftung Mitarbeit in Limburg/Lahn. Der Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen ist Initiator der Bürgerstiftung Hannover und engagiert sich beim Aufbau eines bundesweiten Netzwerkes von Bürgerstiftungen.

Konzept und Idee stammen aus den USA. Dort haben sogenannte Community Foundations in den letzten Jahren einen gewaltigen Aufschwung genommen. Ihre Gesamtzahl ist auf über 500 angestiegen. Zusammen verfügen sie über Vermögenswerte von über 17 Milliarden Dollar. Die größte Stiftung ist der New York Community Trust mit einem Vermögen von 1,38 Milliarden Dollar.

In Europa hat die Idee der Gemeinschaftsstiftung zunächst vor allem in Großbritannien Fuß gefaßt, wo insbesondere das Beispiel Newcastle mit inzwischen rund 60 Millionen Pfund Stiftungsvermögen Furore gemacht hat. In Deutschland gibt es nach Angaben Pfeiffers inzwischen 17 Bürgerstiftungen, die ihre Arbeit bereits aufgenommen haben oder in der Gründungsphase sind. Die erste war die Stadtstiftung Gütersloh.

Anders als die klassische Unternehmens- oder Familienstiftung, die aus Einzelvermögen errichtet wird, führen Gemeinschaftsstiftungen das Engagement einer Vielzahl von Stifterinnen und Stifter zusammen, um gemeinnützige Projekte in einer Region zu fördern. So können auch kleinere Zuwendungen, Spenden und Erbschaften, die für sich allein nur beschränkte Wirkung hätten, einen relevanten Beitrag darstellen.

Im Unterschied zu Spendenparlamenten und anderen wohltätigen Einrichtungen, die das ihnen zur Verfügung gestellte Geld zeitnah zur Bekämpfung aktueller Notlagen verwenden, zielen die Gemeinschaftsstiftungen darauf, mittlelfristig ein möglichst großes Stiftungskapital anzusammeln, um von dessen Erträgen wirksame Projektförderung zu leisten.

Die Bürgerstiftung Hannover beispielsweise wurde Ende 1997 gegründet, um Projekte in den Bereichen Jugend, Kultur und Soziales in Hannover und Umland zu fördern. Vorrangig unterstützt werden sollen Modellvorhaben, die neue Wege erproben und wichtige Anstöße und Erfahrungen erwarten lassen. Dazu gehören im Moment Projekte zur Nachmittagsbetreuung von Kindern, zur Konfliktschlichtung in der Schule, zur Hilfe für Kinder aus Problemfamilien und ein Wettbewerb »Unsere Schule soll schöner und besser werden«. Neben der angestrebten Breitenwirkung ist den Initiator(inne)n die ehrenamtliche Mitarbeit von Bürger (inne)n an der Planung und Verwirklichung der Projekte wichtig.

Das Startkapital der Stiftung wurde von 30 Bürger(inne)n Hannovers aufgebracht, die sich bereiterklärten, mindestens 1500,– ¤ zur Verfügung zu stellen. Durch größere Einzelspenden und Benefizveranstaltungen konnte das Stiftungskapital inzwischen auf über 500.000 ¤ anwachsen. Die Stifter bilden zusammen die Stifterversammlung, die alle vier Jahre den Stiftungsrat wählt, der wiederum den Vorstand benennt. Der Vorstand setzt Fachausschüsse ein, die Projekte initiieren und begutachten und bei Fundraising und Werbung mitarbeiten.

Christian Pfeiffer sieht angesichts des privaten Reichtums ein immenses Spendenpotential für diese Form der Stiftungen. Viele wohlhabendere Bürger(innen) seien bereit, etwas für gemeinnützige Zwecke abzugeben oder auch zu vererben, wollten dies aber nicht an anonyme und bürokratisierte Großorganisationen spenden, sondern konkrete Projekte fördern. Nach Ansicht Pfeiffers zeigen die amerikanischen und britischen Erfahrungen, daß über die Community Foundations weit mehr Geld für soziale Zwecke aktiviert werden kann, als vorher dafür ausgegeben wurde.

Beim Aufbau von Bürgerstiftungen sieht Christian Pfeiffer aus seiner Erfahrung zwei kritische Phasen. 1.) Bevor ausreichendes Startkapital zusammen sei, müsse die Bürgerstiftung bereits mit Aktivitäten öffentlich in Erscheinung treten, damit die angesprochenen Bürger(innen) auch wüßten, worum es bei dem Stiftungszweck gehe. Daher empfehle es sich, im ersten Jahr vornehmlich Spenden für zeitnah zu realisierende Projekte zu sammeln und erst ab dem zweiten Jahr stärker auf die Kapitalbildung zu setzen. 2.) Es habe sich ab einem bestimmten Zeitpunkt als notwendig erwiesen, eine hauptamtlich besetzte und professionell arbeitende Geschäftsstelle zu haben, da die mit einem größeren Stiftungsprojekt verbundenen organisatorischen Arbeiten nicht einfach bloß nebenbei erledigt werden könnten.

Notwendig sind zudem Geduld und langer Atem. Selbst in den USA, wo Stiftungsgedanke und die Idee der privaten Hilfe in der politischen Kultur tief verankert ist, geht man von mindestens fünf Aufbaujahren aus, die eine Gemeinschaftsstiftung braucht, bis sie wirksam arbeiten kann. Ebenso sollte deutlich sein, daß Gemeinschaftsstiftungen kein Ersatz, sondern vielmehr eine wertvolle bürgergesellschaftliche Ergänzung staatlichen Handelns werden können.

Nähere Informationen: Bürgerstiftung Hannover, Lützerodestraße 9, D-30161 Hannover, Telefon (05 11) 3 48 36 60, Telefax (05 11) 3 48 36 63

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