mitarbeiten (1/2008)

Bi-kulturelles Selbstbewusstsein als gesellschaftliche Bereicherung

Die »Milieus der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland« sind Gegenstand einer aktuellen sozialwissenschaftlichen Studie des Heidelberger Instituts Sinus Sociovision. Ziel der Studie ist es, die Lebens- und Alltagswelten von Migrant/innen, ihre Wertorientierungen, Lebensziele, Wünsche und Zukunftserwartungen kennen- und besser verstehen zu lernen. Dazu entwickelten die Autoren der Studie ein Modell, das acht unterschiedliche Migrant/innen-Milieus identifiziert und beschreibt. Ein Ergebnis der Studie: Teile des sog. intellektuell-kosmopolitischen Milieus, das sich an Werten wie Aufklärung, Toleranz und Nachhaltigkeit orientiert, haben das »Potential, zu Leitgruppen in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts zu werden«.

Die Studie, die neben den in Deutschland lebenden Ausländern auch alle Zuwander/innen (u.a. Spätaussiedler/innen, Eingebürgerte) und ihre in Deutschland lebenden Nachkommen einbezieht, zeichnet ein facettenreiches Bild. Die in der Bundesrepublik lebenden Menschen mit Migrationshintergrund stellen keine soziokulturell homogene Gruppe dar. Vielmehr zeigt sich eine vielfältige und differenzierte Milieulandschaft. Die Migrant/innen-Milieus unterscheiden sich dabei weniger nach ethnischer Herkunft und sozialer Lage als nach Wertvorstellungen, Lebensstilen und ästhetischen Vorlieben. Es ist nach Meinung der Autoren in dem Zusammenhang unzulässig, von der Herkunftskultur auf das Milieu zu schließen. Ebenso wenig ist der Umkehrschluss erlaubt: Faktoren wie ethnische Zugehörigkeit, Religion und Zuwanderungsgeschichte beinflussen zwar die Alltagskultur, sind aber nicht milieuprägend und identitätsstiftend. Der Einfluss religiöser Traditionen wird dabei häufig überschätzt.

Das Spektrum der Grundorien­tie­rungen stellt sich bei Migrant/innen heterogener dar als bei Bürger/innen ohne Zuwanderungsgeschichte. Es reicht vom verhaftet sein in archaischen, bäuerlich geprägten Traditionen über das Streben nach materieller Sicherheit, Konsumteilhabe, Erfolg und gesellschaftlichem Aufstieg. Gleichzeitig finden sich neben dem Wunsch nach individueller Selbstverwirklichung und Emanzipation auch Tendenzen der Entwurzelung, Unangepasstheit und Perspektivlosigkeit.

Die meisten der Migrant/innen-Milieus sind um Integration bemüht und verstehen sich als Angehörige einer multikulturellen deutschen Gesellschaft. Dabei zeigt sich, dass der Integrationsgrad im Wesentlichen bildungs- und herkunftsabhängig ist: Je höher das Bildungsniveau und je urbaner ihre Herkunftsregion, desto leichter gelingt die Integration. Viele der befragten Migrant/innen – vor allem aus der zweiten und dritten Generation – verfügen über ein ausgeprägtes bi-kulturelles Selbstbewusstsein und empfinden Migrationshintergrund und Mehrsprachigkeit als Bereicherung sowohl für sich, als auch für die Gesellschaft. Quer durch alle Milieus wird die häufig mangelhafte Integrationsbereitschaft der Mehrheitsgesellschaft und deren mangelndes Interesse an Migrant/innen kritisiert.

Die Ergebnisse der Studie stehen online zur Verfügung unter www.sinus-sociovision.de/Download/Zentrale_Ergebnisse_16102007.pdf