mitarbeiten (4/2008)
Bedingungen gelingender Beteiligung
Wie kann es gelingen, die lokale Demokratie für die Menschen konkret erlebbar zu machen? Welche Barrieren verhindern eine breite Beteiligung der Bürgerschaft? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des Forums für Bürger/innenbeteiligung und kommunale Demokratie, das die Stiftung MITARBEIT in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Loccum veranstaltet hat. Ein zentrales Ergebnis der Tagung: Um den Anforderungen einer Bürgerkommune gerecht zu werden, bedarf es eines kooperativen Miteinanders und klarer festgeschriebener Beteiligungs-Spielregeln zwischen Bürgerinnen und Bürgern, gewählten Politiker/innen und kommunalen Entscheider/innen.
Nimmt man die Freiwilligensurveys von 1999 und 2004 zum Maßstab, dann ist die Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Engagement in der bundesdeutschen Bevölkerung stark verankert. Das Engagement für lokale Bürgerbeteiligung ist dagegen mit ca. 2 % der Engagierten eher unbedeutend. Festzustellen ist ein offensichtlicher Widerspruch zwischen der Engagement-Bereitschaft der Bevölkerung – an vielen Indikatoren ablesbar – und ihrem passiven Verhalten im politischen Raum.
Die Erklärung dieses Widerspruchs muss nach Ansicht von Prof. Dr. Helmut Klages (Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer) bei den inneren und äußeren Barrieren ansetzen, die sich bei den Bürgerinnen und Bürgern selbst, wie auch bei Politik und Verwaltung im kommunalen Raum finden lassen. Klages plädiert für ein kooperatives Bürgerbeteiligungskonzept, das für die Bürgerinnen und Bürger ebenso attraktiv ist wie für die kommunalen Entscheider/innen. Nach seiner Meinung ist es unerlässlich, schon bei der Verfahrensgestaltung der Bürgerbeteiligung sowohl bürgerbezogenen wie auch entscheiderbezogenen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen. Gerade die kommunalen Entscheider/innen, egal ob aus Politik oder Verwaltung, dürfen sich durch die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in ihrer Amtsausübung nicht bedroht fühlen: Erst wenn die kommunalen Akteure aus Politik und Vewaltung Bürgerbeteiligung nicht als eine lästige, ihre Tätigkeit erschwerende Komplexitätsvermehrung erleben, sondern als eine stabile und verlässliche Orientierungs- und Entscheidungshilfe, wird ihre Bereitschaft wachsen, bürgerbeteiligende Prozesse zu unterstützen.
Mit Blick auf die Instrumente kommunaler Bürgerbeteiligung empfiehlt Klages die Einführung »kommunaler Bürgerpanels«, mit denen beispielsweise in Großbritannien seit Jahren erfolgreich gearbeitet wird. Unabhängig von einzelnen Verfahren ist es seiner Meinung nach generell geboten, mehr Nachdruck auf die Entwicklung und Anwendung kombinierter Beteiligungskonzepte zu legen, um den Unausgewogenheiten des verfügbaren Instrumentariums zu begegnen.
Das Spannungsverhältnis von Rat, Verwaltung und Bürgerschaft erörterten Prof. Paul-Stefan Roß (Berufsakademie Stuttgart) und Thomas Haigis (Referent für Bürgerbeteiligung und Stadtentwicklung in Filderstadt) am Beispiel Filderstadt. Die baden-württembergische Kommune versteht sich als Bürgerkommune, hier sind konkrete beteiligungsorientierte Strukturelemente und Verfahrensweisen entwickelt und umgesetzt worden. Die Erfahrungen in Filderstadt zeigen, dass sich die kommunalen Probleme im transparenten und fairen Zusammenspiel von Bürgerschaft, öffentlicher Verwaltung und Gemeinderat besser lösen lassen, als es jeder der Beteiligten für sich allein könnte.
Dass eine Bürgerkommune qualifizierte Verwaltungsmitarbeiter/innen braucht, machte Prof. Klaus Wermker (Büro Stadtentwicklung Essen) deutlich. Die Stadt Essen hat eine Vielzahl von Maßnahmen entwickelt, um ihre städtischen Mitarbeiter/innen für das Thema Bürgerbeteiligung zu sensibilisieren und auf Verwaltungsebene Rahmenbedingungen für eine bürgerbeteiligende Verwaltung zu schaffen.
Gerald Häfner (Sprecher des Bundesvorstands von Mehr Demokratie e.V.) plädierte in seiner kritischen Analyse der bundesdeutschen Demokratie und Politik für eine kohärente »Demokratiepolitik«. Durch eine Verzahnung von Elementen der repräsentativen, direkten und partizipativen Demokratie kann nach seiner Meinung eine neue Qualität der Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse erreicht werden. Beim »Haus der Demokratie« bilde die Bürgerbeteiligung das Fundament, der Bürgerentscheid müsse den Schlussstein bilden. Alleine die Möglichkeit von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden erhöht nach Häfners Ansicht die Sensibilität der politischen Entscheidungsinstanzen. Dies habe auch zu vermehrter Anwendung neuer Beteiligungsformen auf kommunaler Ebene geführt. Umgekehrt sei die Beteiligung nur dann wirksam, wenn die Bürgerinnen und Bürger Gelegenheit hätten, »notfalls« ein Bürgerbegehren oder einen Bürgerentscheid zu starten.
Thesenpapiere und Dokumentationen zu den Impulsreferaten und den Werkstätten sind online unter www.mitarbeit.de/loccum2008.html abrufbar. Ausgewählte Beiträge der Referent/innen sind im Newsletter 20/2008 des Wegweisers Bürgergesellschaft veröffentlicht unter www.buergergesellschaft.de/106739/#36756.
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