mitarbeiten (4/2017)

»Demokratie braucht gemeinsame Öffentlichkeit«

E-Partizipation, OpenData und OpenGovernment: Das Internet, die neuen sozialen Medien und die damit verbundene digitale Kommunikation bieten vielfältige Potentiale zur Demokratisierung der Gesellschaft. Zugleich führt die Digitalisierung der politischen Kommunikation jedoch zunehmend zur Fragmentarisierung von Öffentlichkeit und zum Verfall politischer (Diskussions-)Kultur. Der Publizist Dr. Serge Embacher erläutert im Gespräch die demokratiepolitischen Ambivalenzen des Internets und der sozialen Medien.

Woran liegt es, dass die Grenzen des Internets und sein Einfluss auf die Demokratie so wenig thematisiert werden?

  
Das liegt zum einen an der extremen Überlagerung von ökonomischen und politischen Interessen, zum anderen an einer bis weit in die Zivilgesellschaft hinein spürbaren Unreflektiertheit. Das Problem ist, dass das Internet dazu einlädt, lauter kleine Parallelwelten zu erzeugen, die unvermittelt nebeneinander herlaufen können. Das ist einerseits ein Freiheitsgewinn, weil ich mein eigenes Ding machen kann und nicht mehr davon abhängig bin, wofür der andere sich interessiert. Auf der anderen Seite ist das aber auch ein Problem für demokratische Aushandlungsprozesse, die darauf angewiesen sind, dass wir eine gemeinsame Öffentlichkeit als Bezugspunkt haben. Das Charakteristikum von sozialen Medien ist, dass sie die one-to-many-Kommunikation durch eine many-to-many Kommunikation ablösen und so das Monopol des Senders aufheben. Das ist im Grunde ein basisdemokratisches Wunderland für Menschen, die sich schon lange mit der Frage beschäftigen, wie man Kommunikation demokratisieren kann. Wenn man aber auf der anderen Seite sieht, wie damit Schindluder getrieben wird, kann einem schon angst und bange werden.

Mit dem Internet und der digitalen Kommunikation war stets die Hoffnung verbunden, den demokratischen Dialog zu stärken. Wieso gelingt das so selten?

Im Internet kann man den Stand der politischen Kultur in einer Weise ablesen, wie man das bisher nicht konnte. Wissenschaftler/innen weisen seit Jahrzehnten darauf hin, dass zwischen 10 und 20 Prozent der Bevölkerung aus unterschiedlichsten Gründen abgehängt sind vom demokratischen Grundkonsens. Und diese Menschen werden nun im Zeitalter des Internets und der Sozialen Medien sicht- und hörbar. Das Internet als digitaler Stammtisch ist ein erheblicher Resonanzverstärker für alle möglichen guten Dinge, aber eben auch für den Rechtspopulismus und für Hass-Bürger, die mit den Mitteln der elektronischen Kommunikation gegen die Demokratie agitieren. Positiv gewendet ist es natürlich auch gut, dass diese Stimmen an die Oberfläche kommen, weil man jetzt sehen kann, dass der Weg zu einer wirklich demokratischen Gesellschaft, die auf Toleranz und die friedliche Aushandlung von Konflikten setzt, noch weit ist und viel Arbeit erfordert.  

Was bedeutet diese Entwicklung für die Demokratie und den politischen Meinungsbildungsprozess?

Zunächst einmal ist es eine Frage der politischen Rahmensetzung. Im Bundestagswahlkampf hat Digitalisierung eine große Rolle gespielt, ich habe aber kein einziges Mal die Forderung gehört, so etwas wie ein öffentlich-rechtliches Internet zu schaffen. Es wird völlig selbstverständlich akzeptiert, dass das Internet und dessen Infrastruktur eine privatwirtschaftliche, kommerzielle Angelegenheit ist. Das sehe ich nicht so. Warum soll man nicht demokratische Räume schaffen in diesen elektronischen Welten, die öffentlich subventioniert sind und demokratischen Qualitätsstandards entsprechen? Und ich glaube, die Politik muss die Internetkonzerne mehr in die Pflicht nehmen, was die strafbaren Inhalte der Kommunikation angeht. Menschenverachtende und rechtsradikale Inhalte müssen unterbunden werden. Ich glaube, dass die Konzerne an dieser Stelle bisher nur minimale Anstrengungen unternehmen, am Erhalt einer demokratischen Gesellschaftsordnung mitzuwirken.

In Zukunft müsste die Politik den Mut aufbringen, diese Konzerne zu regulieren und zu sagen, wenn ihr zu den und den Bedingungen euer Geschäftsmodell nicht betreiben könnt, dann ist das in Deutschland eben nicht möglich. Das ist das eine. Das andere geht mehr in Richtung politische Kultur. Die politische Sprache ist ja oft bis zur Unkenntlichkeit verwässert. Durch das Internet und die digitale Kommunikation ist die Politik genötigt, sich ehrlich zu machen, zu sagen, wofür sie wirklich steht. Ich denke, dass die Parteien und die politischen Akteure – die ja im Internet sehr präsent sind und die sozialen Medien ganz stark nutzen – sich zukünftig mehr bemühen müssten, im Netz eine politische Kultur des offenen Austausches zu etablieren und die Kanäle zu nutzen, um Klartext mit den Menschen zu reden und zu sagen, was man will und was man nicht will.

Was könnte die Zivilgesellschaft in diesem Zusammenhang tun?

In der Zivilgesellschaft gibt es bereits heute Initiativen und Vereine, die sich sehr kritisch mit der Nutzung Sozialer Medien und den Ambivalenzen des Internets beschäftigen. Die Innovationskraft der Zivilgesellschaft hat dazu geführt, dass es mittlerweile nichtkommerzielle Plattformen gibt, die dieselben Funktionen haben wie zum Beispiel Facebook, die aber leider noch von zu wenig Menschen und Organisationen genutzt werden. Trotz allen Wissens um die fehlende Datensicherheit und die verschiedenen Zugriffsbegehrlichkeiten von Politik, Industrie und Geheimdiensten ist das Standardargument vieler Organisationen, wer nicht auf Facebook ist, der kommt im Netz nicht vor. Ich würde mir schon wünschen, dass diese neuen Angebote viel stärker genutzt würden und man nicht immer sagt, Facebook ist Facebook und da kann man eh nichts machen.

Hier finden Sie das Video-Gespräch mit Dr. Serge Embacher