mitarbeiten (4/2018)

Integration braucht demokratische Teilhabe

Die Integration von Migrant/innen und Geflüchteten in Deutschland ist nur dann erfolgreich, wenn sie auch durch deren demokratische Teilhabe und politische Partizipation flankiert wird: Dies ist das zentrale Ergebnis einer Fachtagung der Stiftung Mitarbeit, die Mitte Oktober 2018 in der Berliner Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung stattgefunden hat. Mehr als einhundertsechszig Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik diskutierten zwei Tage lang engagiert und intensiv, wie Demokratie in der Einwanderungsgesellschaft gelingen kann.

Migrantinnen und Migranten wie auch Geflüchtete sind Teil der vielfältigen Gesellschaft in Deutschland – unabhängig davon, ob sie schon lange hier leben, erst vor kurzem gekommen sind oder sich nur für einen begrenzten Zeitraum hier aufhalten. Deren Integration bedeutet nicht nur Nothilfe, Zugang zu Arbeit oder Spracherwerb; Flüchtlinge und Migrant/innen wollen sich in ihrer neuen Heimat Deutschland auch politisch und gesellschaftlich beteiligen. Folgerichtig rückte die Berliner Tagung die Partizipation und das Engagement von und mit Flüchtlingen und Zugewanderten in den Mittelpunkt der Diskussionen.

Zum Einstieg in die Veranstaltung stellte der Magdeburger Politikwissenschaftler und Demokratieexperte Roland Roth die Rahmenbedingungen, Herausforderungen und Gelingensfaktoren vor, unter denen sich Integration durch Engagement und Partizipation vollziehen kann.

Für repräsentative und direktdemokratische Formen der politischen Teilhabe konstatiert Roth, dass sie für die etwa 6 Mio. Menschen, die ohne deutschen Pass in Deutschland leben und die aus Staaten außerhalb der Europäischen Union kommen, kaum eine Rolle spielen, da sie in der Regel nicht wählen dürfen – eine Ausnahme bilden nichtdeutsche EU-Bürger/innen bei Kommunal- und EU-Wahlen. Erst mit der deutschen Staatsbürgerschaft erhielten Zugewanderte »volle politische Rechte«. Damit stünden laut Roth die beiden »einflussreichsten, mit unmittelbaren oder mittelbaren Entscheidungsmöglichkeiten verbundenen Formen der politischen Partizipation für Zugewanderte nicht oder nur sehr eingeschränkt« zur Verfügung. Die damit verbundene Repräsentationslücke führe dazu, dass die besonderen Interessen von Zugewanderten mit »Ignoranz im politischen Betrieb« zu rechnen hätten. Insgesamt leben in Deutschland knapp 11 Mio. Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit.    

Besser sieht es für Roth bei dialogischen Formen und Formaten demokratischer Teilhabe aus. Auch wenn diese in der Regel nicht mit Entscheidungsbefugnissen ausgestattet seien und »nur wenig direkten politischen Einfluss« erzielten, würden sie doch »für mehr Sichtbarkeit und öffentliche Interessenwahrnehmung von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte im vorpolitischen Raum« sorgen, weil sie »leichter zugänglich und nicht an den Staatsbürgerstatus gebunden sind, sondern nur den Einwohnerstatus voraussetzen«.    

Dr. Peymann Javaher-Haghighi, stellvertretender Vorsitzender des NeMO-Bundesverbands, wies in seinem Impulsvortrag zudem darauf hin, dass Deutsche mit Migrationshintergrund in Regierungsämtern, Parlamenten und Parteien »deutlich unterrepräsentiert« seien. Demnach haben aktuell beispielsweise lediglich 8,2 Prozent der Abgeordneten des Deutschen Bundestages einen Migrationshintergrund, während ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung laut Statistischem Bundesamt bei etwa 23,4 Prozent liege. Ähnlich schlechte Werte gibt es auch auf Ebene der Landtage (4,5 Prozent) und Kommunalparlamente (4 Prozent). Hier sei zukünftig eine noch stärkere »interkulturelle Öffnung von Parteien, Verwaltungen und Institutionen« nötig.

Dennoch spielen gerade Kommunen für die zukünftige Integrations- und Beteiligungskultur eine besondere Rolle. Zu den Mut machenden Erfahrungen der letzten Jahre gehört, dass sich eine wachsende Zahl von Kommunen »verstärkt um die politische Integration von Zugewanderten kümmern« und sie »sehr selbstverständlich und wo immer möglich an den sie betreffenden Angelegenheiten beteiligen«. Die Fluchtzuwanderung der letzten Jahre habe vielerorts zur Ausprägung von »Bürgerkommunen« geführt, in denen in »kollaborativen Netzwerken mit Rat und Verwaltung Politik unabhängig vom Bürgerstatus gestaltet« werde. Die Praxis vor Ort zeige darüber hinaus, dass Kommunen in Integrationsfragen offensichtlich dann am erfolgreichsten sind, wenn sie die neu Zugewanderten nicht als Problem, sondern als Teil der Lösung sehen können, so Roth.

Dieser Paradigmenwechsel, die »Abkehr von der Problemdebatte hin zu einer Ressourcenorientierung«, sei lange überfällig, ergänzt Javaher-Haghighi. Genauso wichtig sei es überdies, die Zugewanderten fit zu machen für die demokratischen Werte und Normen der Aufnahmegesellschaft.

Beide Referenten waren sich darin einig, dass der Umgang mit Menschen auf der Flucht und mit Migrant/innen zu einer »zentralen Konfliktachse« der Demokratie geworden sind und dass eine »Zivilisierung des Konflikts« unabdingbar sei, wenn demokratische Verhältnisse erhalten werden sollen. Im Interesse der Zugewanderten und mehr noch im Interesse einer demokratisch und menschenrechtlich orientierten Mehrheitsgesellschaft gelte es, »einer weiteren Polarisierung entgegenzuwirken«.

Wie vor diesem Hintergrund ein konstruktiver Umgang mit Konflikten in der Kommune gelingen und wie demokratiefeindlichen Strömungen begegnet werden kann, zeigten im weiteren Verlauf der Tagung Bettina Lobenberg und Hagen Berndt vom Forum Ziviler Friedensdienst sowie Tahera Ameer und Enrico Glaser von der Amadeu Antonio Stiftung im Rahmen praxisnaher Workshops. Weitere Themen waren das Empowerment, die Selbst­organisation und die politische Interessenvertretung von Geflüchteten und Migrant/innen, zudem wurden gute Beispiele lokaler und regionaler Netzwerke zur Integration, beispielsweise aus Mecklenburg-Vorpommern, vorgestellt.

Einen Rückblick auf die Tagung mit einer Auswahl der Vorträge, thematischen Inputs und Beiträgen aus den Workshops und Themenwerkstätten findet Sie  hier.