mitarbeiten (1/2017)
»Eine andere Form des Dialogs hat eine produktive Kraft entstehen lassen«
Auch in unserem Nachbarland Österreich gibt es viele Menschen, die seit dem Sommer 2015 als Flüchtlinge ins Land gekommen sind. Und wie in Deutschland gibt es auch in Österreich vielerorts kontroverse Diskussionen in Politik und Gesellschaft über den Umgang mit den geflüchteten Menschen und über die Herausforderungen gelingender Integration. Hier wie dortgilt: Insbesondere Bürgermeisterinnen und Bürgermeister stehen in der Flüchtlingsfrage unter besonderem Druck. Sie vor diesem Hintergrund positiv zu ermutigen, zu stärken und zu vernetzen – das war die Intention der sogenannten Bürgermeisterdialoge. Im Gespräch stellt Dr. Martina Handler, verantwortlich für den Themenbereich Partizipation bei der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik (ÖGUT), das Dialogformat vor.
Frau Handler, Sie haben mit anderen das Format der »Bürgermeisterdialoge« ins Leben gerufen. Was waren die Motive, die zur Gründung des Projekts geführt haben?
Im Sommer 2015 waren die Themen Asyl und Flüchtlinge ganz massiv in Politik und Medien präsent. Gerade die Unterbringung von Flüchtlingen war ein Thema, weil die vorhandenen Asylquartiere vollkommen überfüllt waren und Flüchtlinge bereits in den Parks, auf den Straßen, in Bussen und Zelten genächtigt haben. Zugleich wurde deutlich, dass viele Verantwortliche auf der kommunalen Ebene, die bislang noch keine Flüchtlinge in ihren Gemeinden hatten, hofften, dass dieser Kelch an ihnen vorüber gehen möge. Auf Initiative des ehemaligen EU-Kommissars Franz Fischler als Leiter des »Europäischen Forums Alpbach« ist die Idee entstanden, auf kommunaler Ebene partizipative Dialogprozesse zu organisieren und so insbesondere Bürgermeister/innen zu vernetzen, um sie zu ermutigen, diese Herausforderung anzunehmen. Anfang September 2015 fand das erste Treffen statt und es waren über 100 Bürgermeister/innen dabei.
Eingeladen waren aber nicht nur Bürgermeister/innen, sondern auch Amtsleiter/innen. Ein Ziel war es, durch das Treffen – neben den Inputs von Expert/innen – ein ›peer-to-peer-Lernen‹ zu ermöglichen; die kommunalen Verantwortlichen sollten von ihresgleichen erfahren, wie Integration vor Ort gelingen kann. Denn in Österreich gibt es Kommunen, die seit Jahren Erfahrung bei der Integration und der Unterbringung von Flüchtlingen haben. Es ging darum, anhand guter Beispiele möglichst viel an Erfahrungswissen weiterzugeben.
In welcher Form sind das Erfahrungswissen und die Ergebnisse der Treffen aufbereitet worden?
Zwanzig Bürgermeister/innen von »Pionierkommunen« waren eingeladen, ihre Erfahrungen in der Gemeinde in Form einer Geschichte zu erzählen: wie hat es begonnen, wer ist aktiv geworden, welche Probleme sind aufgetaucht, welche Problemlösungen wurden gefunden. Die teilnehmenden Bürgermeister/innen saßen in kleinen Gesprächsrunden zusammen und hörten vor allem zu.
Danach gab es die Möglichkeit zum intensiven Austausch. Wir als Organisator/innen haben uns neben vielem anderen überlegt, wie wir die Ergebnisse der Dialoge – bislang haben fünf Treffen stattgefunden – so nachhaltig sichern und dokumentieren können, damit auch jene, die keine Zeit hatten zu kommen, davon profitieren können. Letztendlich ist ein Offenes Handbuch entstanden, das im Netz abrufbar und so angelegt ist, dass es jederzeit mit neuen Informationen ergänzt werden kann. Es enthält bislang 25 Porträts von Gemeinden, die die Erfahrungen der Kommunen praxisnah widerspiegeln. Zudem gibt es Informationen und Empfehlungen zu verschiedenen Themenfeldern, die bei der Arbeit mit Geflüchteten wichtig sind, also Wissen zu Asylrecht oder Wissen über psychosoziale Aspekte, über förderliche Strukturen in der Gemeinde oder über Freiwilligenmanagement. Es gibt aber auch Erfahrungsberichte von Flüchtlingen oder Informationen zu Fluchtursachen und Herkunftsländern.
Das Handbuch ist eine Sammlung von Erfahrungs- und Expertenwissen, das alle Informationen beinhaltet, die für die alltägliche Arbeit der Bürgermeister/innen vor Ort relevant sein können. In dem Zusammenhang wurde klar, wie viel Wissen bereits heute in den Kommunen vorhanden ist; sich gegenseitig dieses Wissen zur Verfügung zu stellen und das Rad nicht immer neu erfinden zu müssen, ist ein zentrales Ergebnis, das die Treffen aus meiner Sicht so positiv gemacht hat.
Welche Impulse und Anstöße gibt es in den Kommunen durch das Dialogformat? Gibt es Überlegungen, dieses Format zu verstetigen und kontinuierlich zu wiederholen?
Die Rückmeldungen, die ich erhalte, zeigen, dass die Treffen unter den Bürgermeister/innen eine positive Stimmung erzeugt haben und sie sich fragen, wieso sie solche Treffen nicht schon früher regelmäßig gemacht haben. Und auch das Gefühl, wir können das schaffen, ist ganz stark zu spüren gewesen. Das war ja auch ein Ziel dieser Veranstaltungen, nämlich die Verantwortlichen zu ermutigen und sie zu stärken für diese Aufgabe. Ich habe den Eindruck, dass auf Gemeindeebene viel in Bewegung geraten ist. Die Treffen waren sicher ein guter Beitrag, um Wissen zu vernetzen und Energie aufzubauen. Diese intensive und einander zugewandte Form des Dialogs war anders als das, was üblicherweise bei Bürgermeistertreffen gemacht wird – Podium, top down, frontale Sesselreihen –, es war eine andere Form des Redens und des Austauschs, die eine produktive Kraft hat entstehen lassen.
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