mitarbeiten (4/2006)
Bürgerinnen und Bürger an der Haushaltsplanung beteiligen
Die leeren öffentlichen Kassen lassen den politischen Handlungsspielraum der Kommunen weiter schrumpfen, die Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger wächst. Dieser Druck erzwingt jedoch gleichzeitig die Suche nach neuen Wegen, die kommunale Politik und Verwaltung effizienter und bürgernäher zu gestalten. Im Rahmen der diesjährigen Tagung »Modelle der lokalen Bürger/innenbeteiligung« in Loccum berichtete einer der Initiatioren des Hamburger Bürger-Dialogs von den Erfahrungen mit der Bürgerbeteiligung an der Haushaltsplanung.
Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger heute fragen, was sie morgen wollen, damit die Politik dies in den nächsten Jahren schrittweise umsetzen kann«, begründet Rüdiger Kruse, der Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion für Haushalt & Nachhaltige Entwicklung, seine Initiative. »Es geht um die Frage: Was soll der Staat, was soll die Stadt Hamburg in der Zukunft für uns Bürger leisten und was wollen wir lieber selbst organisieren?«
Im Juni 2005 beschloss die Hamburgische Bürgerschaft einstimmig, die Bürgerinnen und Bürger an der Hamburger Haushaltsplanung zu beteiligen. Ziel dieser Initiative war es, die Bürgerinnen und Bürger nach ihren Einstellungen und Meinungen zu befragen, konkrete Einsparungsvorschläge zu entwickeln und eine breite Diskussion zur Hamburger Haushaltslage zu initiieren. Im Frühjahr 2006 wurde der internetgestützte Dialog zur Haushaltsplanung durchgeführt.
Die Freie und Hansestadt Hamburg befindet sich – wie die meisten deutschen Städte und Kommunen – in einer angespannten finanziellen Situation. Gegenwärtig müssen jedes Jahr etwa 1 Mrd. Euro an Zinsen für laufende Kredite aufgebracht werden. Nur etwa 10 Prozent der Ausgaben können kurzfristig verändert werden, 90 Prozent sind mittel- bis langfristig festgelegt: knapp die Hälfte für Personalkosten, der Rest für Mieten, langfristige Verpflichtungen, gesetztliche Leistungen. Um Gestaltungsspielraum für eine grundsätzliche Neuorientierung des Haushalts zu erreichen, muss deshalb mittel- bis langfristig auch der festgelegte Teil des Haushalts verändert werden.
Vor diesem Hintergrund wurden die Hamburgerinnen und Hamburger befragt, welche Leistungen sie zukünftig – Zeitperspektive war das Jahr 2016 – vom Staat erwarten und welche sie für verzichtbar halten. Es wurde ein Internetforum mit einem Diskussionsbereich auf der Grundlage des DEMOS-Beteiligungsverfahrens geschaffen.
Um das Thema greifbarer und die Auswirkungen konkreter zu machen, enthielt die Plattform zusätzlich einen interaktiven Haushaltsplaner, der den Hamburger Haushalt in seinen Details im Internet abbildete. Anhand der Haushaltsdaten des Jahres 2005 konnten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer eigene »Buchungen« vornehmen und die verschiedenen Etats reduzieren oder erhöhen. Die individuellen Haushalte gingen dann in eine Gesamtauswertung ein.
»Der virtuelle Haushaltsplaner war der Clou des Projektes. Jeder Bürger konnte sehr einfach seinen eigenen Haushalt aufstellen, die gegenwärtigen Ausgaben durch einen Schieberegler erhöhen oder reduzieren«, berichtet Rüdiger Kruse. Dabei gab es aber eine Bedingung: der individuelle Haushalt musste ausgeglichen sein. Keiner durfte Schulden machen, das individuelle Plus auf der einen Seite musste durch ein Minus auf der anderen Seite ausgeglichen werden.
»Das überwältigende war, dass die Teilnehmer/innen des Internetdialogs weniger Geld ausgegeben haben als zur Verfügung stand«, sagt Rüdiger Kruse, »die meisten Bürger haben einen Haushalt aufgestellt, der ca. 5 Prozent weniger Ausgaben vorsieht als der heutige.«
Von Einsparungen besonders betroffen waren die Finanzbehörde, der Bereich »Bauordnung und Hochbau« und das Landesamt für Verfassungsschutz. Für eine Aufstockung des Etats sprachen sich die Teilnehmer/innen in den Bereichen Schule und Kindertagesbetreuung aus. Auch der Wissenschaft wurde ein größeres Budget zugestanden.
Die Bürger/innen erarbeiteten zudem insgesamt 38 Vorschläge detaillierter aus. Dabei ging es um konkrete Einsparpotentiale (z.B. Reduzierung oder Streichung von Subventionen), Maßnahmen zur Schaffung von Mehreinnahmen (z.B. Einführung einer City-Maut) und langfristige investitionsbasierte Verbesserungsstrategien (z.B. alternative Hafenerweiterungsstrategie).
Inzwischen sind diese Vorschläge zusammen mit dem Bericht zum Hamburger Bürger-Dialog in die Hamburger Bürgerschaft und in den Haushaltsausschuss eingebracht worden.
Nähere Informationen zum Hamburger Bürger-Dialog finden sich bei Lührs, Rolf/ Hohberg, Birgit: »Was wollen wir uns leisten?« In: Beteiligungsprojekte im Internet. Erfahrungen und Anregungen aus der Praxis, Verlag Stiftung MITARBEIT 2006; die Publikation erscheint im Dezember 2006.
Die Thesenpapiere und Dokumentationen zu den Referaten und Methodenwerkstätten der Tagung in Loccum können unter www.mitarbeit.de heruntergeladen werden. Die nächste Fachtagung »Modelle und Methoden« der Bürger/innenbeteiligung findet vom 21.–23. September 2007 in Loccum statt.
- (PDF, 820 KB)